Schwäbische Schätze:Das Ländle der Heuschrecken

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Finanzinvestoren fliegen bevorzugt auf Baden-Württemberg. Kritiker befürchten, dass sie ausgeraubte Firmen hinterlassen - doch bisher ist davon nichts zu sehen.

Simone Boehringer und Dagmar Deckstein

Für die Bauern im Donautal waren sie jahrhundertelang eine Plage. Europäische Wanderheuschrecken fraßen in regelmäßigen Abständen die Ernten ab und schwärmten davon. "Zum letzten Mal in Süddeutschland auffällig geworden sind Heuschrecken etwa 1930", sagt Peter Detzel. "Ein paar leergefressene Kartoffeläcker, mehr war da aber nicht", erzählt der Stuttgarter Biologieprofessor, "jedenfalls nichts, das rechtfertigen würde, diese inzwischen in Deutschland bedrohte Tierart zur Metapher für diese Seite der aktuellen Kapitalismusdebatte zu machen".

Detzel ist Autor des Standardwerks "Die Heuschrecken Baden-Württembergs" und einer der anerkanntesten Experten für das Thema in Deutschland. Mit Finanzmärkten hatte er eigentlich sonst nicht viel am Hut. Aber nachdem SPD-Chef Franz Müntefering im vergangenen Jahr renditehungrige Firmenjäger als Heuschrecken bezeichnete und damit ein geflügeltes Wort geschaffen hatte, entdeckte die Stuttgarter Börse Detzel und bat ihn, auf der Anlegermesse einen Vortrag über die Namensgeber einer wirtschaftlichen Diskussion zu halten, die für Süddeutschland brisanter scheint als irgend sonst in der Republik.

So wie die für Baden-Württemberg typischen Streuobstwiesen mit ihrer Vielfalt an Gräsern und Kräutern bis heute zahlreiche selten gewordene Tierarten anlocken, so wirkt auch die typische Unternehmenslandschaft im Südwesten offenbar besonders attraktiv für Finanzinvestoren aller Art. Mit ihrer ausgeprägt mittelständischen Struktur bieten die 10 000 Unternehmen im Lande mit 50 und mehr Beschäftigten auch den modernen "Heuschrecken" reichlich Nahrung. Nicht von ungefähr nimmt Baden-Württemberg in den Statistiken des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften regelmäßig Platz eins ein: So flossen 2005 immerhin 457,9 Millionen Euro in 164 baden-württembergische Unternehmen, im ersten Halbjahr 2006 kauften sich Investoren mit 312,2 Millionen Euro in 85 schwäbische und badische Betriebe ein, was fast 40 Prozent der deutschlandweit investierten 820 Millionen Euro bedeutet.

Eine ganze Reihe von Fällen hat auch weit über die Landesgrenzen hinaus Furore gemacht, etwa der Verkauf des Großmotorenbauers MTU Friedrichshafen an den schwedischen Investor EQT, die Übernahme des Telefondienstleisters Debitel durch Permira oder der Verkauf des Göppinger Mini-Eisenbahnbauers Märklin an Kingsbridge Capital. Aber auch beim Geislinger Besteckhersteller WMF, den Autozulieferern Mahle und Schefenacker oder dem Ulmer Gartengerätehersteller Gardena sind inzwischen die Finanzinvestoren im Hause. Die Menschen im "Musterländle" sehen dies mit gesunder Skepsis, aber nicht unbedingt mit Ablehnung. Fälle wie der des westfälischen Armaturenherstellers Grohe, der nach dem Einstieg eines Firmenjägers durch die hohe Fremdfinanzierung an den Schulden zu ersticken droht, sind hier noch nicht zu besichtigen.

Starke Marken und schwäbische Tüftlerleidenschaft

Es mag die Mischung aus starken Markennamen und legendärer schwäbische Tüftlerleidenschaft sein, die hohe Dichte von Weltmarktführern in ihren maschinenbaugeprägten Nischen, die die Fondsmanager auf das Bundesland zwischen Rhein und Neckar fliegen lässt - auf ein Land, das seiner Eigenwerbung zufolge alles kann außer Hochdeutsch.

Volker Heuer beherrscht sogar auch noch das Hochdeutsch, denn der 53-jährige Geschäftsführer der MTU Friedrichshafen wurde in Paderborn geboren. Soeben hat er als eine der ersten Amtshandlungen unter neuer EQT-Regie die Umfirmierung der weltweit agierenden Gruppe in die Tognum GmbH bekannt gegeben und lehnt sich jetzt mit einer Tasse Kaffee tief in den schwarzen Ledersessel zurück. Mehr Produkte, neue Märkte, Dezentralisierung des Vertriebs - Heuer schwärmt, "dass wir jetzt in Phase zwei unserer Wachstumsstrategie eintreten", dass der frühere "Off-Highway"-Wurmfortsatz des DaimlerChrysler-Konzerns mit dem neuen Eigner EQT vor "Riesenchancen" stehe. "Wir haben jetzt eine neue Situation, wir können unsere Ideen umsetzen", freut sich Heuer.

Vom früheren Daimler-Management habe sich zum Beispiel nie jemand in der MTU-Zentrale am Bodensee blicken lassen. Mit dem Einzug des Finanzinvestors EQT, der MTU Friedrichshafen vor einem knappen Jahr für 1,7 Milliarden Euro kaufte, säßen jetzt immerhin richtige Unternehmer im Aufsichtsrat. Ach ja, und von Stellenabbau könne nun überhaupt keine Rede sein, beteuert Heuer. Im Gegenteil: "Wir sind gerade dabei, neue Leute einzustellen und suchen vor allem händeringend Ingenieure. Gerne auch ältere."

Dieses Phänomen, das er Buy-out-Effekt nennt, fasziniert auch Michael Philips immer wieder. "Es ist erstaunlich, welche Kräfte im Management freigesetzt werden, wenn es für Leistung belohnt wird", sagt der Managing Partner der Beteiligungsfirma Apax. Im Klartext: Viele Konzerne betrachten ihre Beteiligungen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, als reine Geldquellen, stecken aber wenig Ressourcen und Aufmerksamkeit in deren Geschäfte.

"Ich orientiere mich an der Gefechtstaktik der Marines"

Manchmal werden allerdings auch Kräfte durch Investoren freigesetzt, die dann gleich ganze Teile der alten Unternehmensführung hinwegfegen. Einer der spektakulärsten Fälle ist der Karlsruher Maschinenbaukonzern IWKA, in den sich 2003 der amerikanische Investor und Vietnam-Veteran Guy Wyser-Pratte einkaufte. Der berüchtigte Firmenjäger sagt: "Ich orientiere mich an der Gefechtstaktik der Marines.". Er hält inzwischen acht Prozent an IWKA und setzte dem früheren Firmenchef Hans Fahr und dem alten Aufsichtsrat so massiv zu, dass die schließlich den wenig geordneten Rückzug antraten. Fahr trat im Juni 2005 am Morgen vor Beginn der Hauptversammlung zurück. Er wurde vom Aufsichtsrat, der später ebenfalls abtrat, durch Wolfgang-Dietrich Hein ersetzt.

Der neue Firmenchef bestand anfangs noch darauf, die Drei-Säulen-Strategie fortzuführen, also zugleich auf Automobil-, Verpackungs- und Robotertechnik zu setzen. Doch inzwischen scheint Hein, wenn man seinen Bekundungen folgt, auf die Linie des US-Investors umzuschwenken. Wyser-Pratte wäre es am liebsten, wenn IWKA nur noch die Robotersparte behielte und die übrigen Konzernbereiche verkaufte. Noch ringt das Management mit der Frage, wohin sich die IWKA in den nächsten Jahren entwickeln soll, noch steht keiner der 12 000 Arbeitsplätze im Feuer, aber wie lange noch? "Was wir nicht akzeptieren, ist eine Zerschlagung eines gesunden und profitablen Konzerns", schrieb etwa Konzernbetriebsratsvorsitzender Walter Prues dem wild entschlossenen Wyser-Pratte vor der letzten außerordentlichen Hauptversammlung ins Stammbuch.

Einer, der sich in den letzten dreieinhalb Jahren tief in den Konzern eingearbeitet und Anstrengungen "in dieser Intensität nicht erwartet" hat, ist der externe Arbeitnehmer-Aufsichtsrat Mirko Geiger. Während man nun erwarten könnte, dass der Metaller-Funktionär über der "Heuschrecke" Wyser-Pratte das verbale Donnerwetter eröffnet, überrascht der mit auffallend differenziertem Blick auf den amerikanischen Arbeitnehmer- und Managerschreck im Karlsruher Konzern. Natürlich dürfe IWKA nicht zum Spielball kurzfristiger Profitinteressen werden, sagt Geiger. Aber in seiner Argumentation liege Wyser-Pratte gar nicht so falsch: "In den letzten sechs bis acht Jahren hat die Robotik die übrigen Sparten des Konzerns finanziert. Es sollte aber jedes Geschäftsfeld profitabel arbeiten." Selbst ohne Finanzinvestoren wie den poltrigen Wyser-Pratte, der nach seinem Geschmack zu lahmen Managern seiner Beteiligungsfirmen schon mal zuruft: "Wacht auf und riecht das Napalm", hat sich die Strategie des Vor-Vorgängers von IWKA-Chef Hein wohl überlebt. Wolf Hartmut Prellwitz, der die Geschicke des Konzerns von 1979 bis 1996 leitete, schuf ein Konglomerat von mehr als hundert Beteiligungen nach dem Motto: Wir müssen IWKA schön unübersichtlich halten, dann kauft uns keiner. Solche verschachtelten Mischkonzerne sind heute gerade ein gefundenes Fressen für Firmenjäger.

"Internes Wachstum kostet Geld"

Aber auch wenn das IWKA-Management in den letzten Jahren kräftig aufgeräumt und Beteiligungen reihenweise verkauft hat, auch wenn Mitarbeiter auf den Erhalt der drei Konzernsäulen pochen, dem Metaller Mirko Geiger leuchtet zumindest ein, warum Wyser-Pratte aus IWKA einen reinen Roboter-Spezialisten formen will. "Bei einer Eigenkapitalquote von elf Prozent und 1,7 Milliarden Euro Umsatz dürfte es schwer werden, alle drei Bereiche gleichzeitig weiterzuentwickeln. "Internes Wachstum kostet erst einmal einen Haufen Geld", meint der Aufsichtsrat. Das sieht auch sein Mit-Wächter über den IWKA-Vorstand im Auftrag der Kapitaleigner, Reiner Beutel, nicht anders. Beutel ist zugleich Finanzchef des Autozulieferers Schefenacker und wird als solcher von den Fondsmanagern in London und New York als neue Herren im Haus monatlich zum Rapport gebeten: "Da werden wir massiv gelöchert." So gesehen tue auch Wyser-Pratte "der IWKA nur gut", ziele er doch als Finanzinvestor "auf wertorientiertes Management" ab.

Dieses Interesse kann man wohl auch Siegfried Jaschinski nicht absprechen, dem Chef der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Auch die LBBW hält inzwischen fünf Prozent an IWKA, schon um Wyser-Pratte Kontra zu bieten. Jaschinski lehnte sich am 11. September diesen Jahres vor der deutsch-amerikanischen Handelskammer in Stuttgart weit aus dem Fenster mit seiner Suada über Heuschrecken als "aggressive Firmenjäger." Deren Geschäftsmodell sei es, so Jaschinski in Müntefering'scher Diktion, "Unternehmen aufzukaufen, auszusaugen und möglichst kurze Zeit später wieder gewinnbringend abzustoßen."

Noch sind in Baden-Württemberg, mit seinen Streuobstwiesen das Heuschreckenland Nummer eins, keine leeren Firmenhüllen zu beklagen. "Auf hochgedüngten Nitrat-Äckern gehen Heuschrecken ein, weil die Pflanzen, die sie dort fressen, nicht genügend Mineralien zum Überleben bieten", weiß Detzel. Übersetzen auf die Finanzwelt kann das der Stuttgarter Experte für Familienunternehmen, Brun-Hagen Hennerkes: "Ein solides Controlling ist bei schwäbischen Unternehmen meist vorhanden, aber die Strukturen sind oft auf die in den Firmen führenden Familienmitglieder zugeschnitten und daher selten optimiert. Das lieben Finanzinvestoren, da können sie noch Werte heben".

© SZ vom 30.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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