Schlecker-Prozess:Der Patriarch schweigt

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Der gestürzte Drogerie-Kaufmann Anton Schlecker muss sich nach der Pleite seines Imperiums erstmals dem Gericht stellen. Die Angeklagten sollen 26 Millionen Euro beiseite geschafft haben, sie lassen nur ihre Anwälte sprechen.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Das Phantom wirkt kleiner, schwächer und älter, als man es sich vorgestellt hat. Anton Schlecker betritt mit weißem Haar und fast ebenso weißem Gesicht den Sitzungssaal 18 des Landgerichts Stuttgart. Er trägt einen schwarzen Pulli und ein dunkelblaues Nadelstreifen-Sakko, und jede Faser seines Körpers signalisiert: Das hier ist die Höchststrafe für mich. Der 72-Jährige, der sich jahrzehntelang in Ehingen hinter den Mauern seines Wohnanwesens und der Glasfassade seiner Unternehmenszentrale verschanzte, ist jetzt minutenlang den Blitzlichtern und Scheinwerfern der Medienleute ausgesetzt.

Mit verbissenem Gesichtsausdruck nimmt er auf der Anklagebank neben seinen zwei Anwälten Platz. Der gefallene Patriarch der Drogeriemarktkette Schlecker muss sich wegen des Verdachts auf vorsätzlichen Bankrott und Insolvenzverschleppung verantworten. Die 11. Große Wirtschaftskammer - das sind drei Berufsrichter und zwei Schöffen - werden voraussichtlich bis Oktober eine der aufsehenerregendsten Firmenpleiten in der Geschichte der Bundesrepublik aufarbeiten. Die vielen Gläubiger blieben damals im Januar 2012 auf mehr als einer Milliarde Euro sitzen. Und vor allem standen mehr als 23 000 Menschen quasi über Nacht vor dem Nichts - und bekamen bei aller Existenzangst auch noch ein Etikett aufgeklebt, das sie nicht mehr loswurden: "Schlecker-Frauen". Einige von ihnen sitzen in dem Gerichtssaal, vor dem sich am Montag schon eine Stunde vor Prozessstart eine lange Schlange gebildet hatte. Als sie ihren ehemaligen Chef erblicken, kommen Emotionen hoch: "Oioioi", ruft eine, "armer Anton". Sie meint das ernst. Ihre Sitznachbarin fragt sich selbst erstaunt: "Warum tut mir das jetzt auch noch weh?"

Anton Schlecker am Montag bei seiner Ankunft im Landgericht Stuttgart, wo er sich wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen Bankrotts verantworten muss. (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Sie sind gekommen, weil sie hören wollen, was Schlecker zu den massiven Vorwürfen sagt. Aber sie werden enttäuscht. Er sagt am ersten Verhandlungstag kein Wort. Auch seine Ehefrau Christa, sein Sohn Lars und seine Tochter Meike schweigen. Alle Angeklagten lassen ihre Verteidiger sprechen. Sie weisen alle Vorwürfe entschieden zurück. "Die Anklagevorwürfe sind unzutreffend", sagt Anton Schleckers Anwalt Norbert Scharf. Die Insolvenz seines Unternehmens sei für seinen Mandanten "schlicht unvorstellbar" gewesen.

Anwalt Scharf zieht all die Überweisungen, Schenkungen und Übertragungen, die Schlecker vor dem Gang zum Insolvenzgericht vorgenommen haben soll, gar nicht erst in Zweifel. Er stellt aber klar: "Es wird zu entscheiden sein, ob dies strafrechtlich vorwerfbar ist". Damit spielt der prominente Strafverteidiger, der unter anderem auch Ex-Formel-1-Boss Bernie Ecclestone erfolgreich vertreten hat, auf die entscheidende Frage des Prozesses an: Wann genau musste Schlecker davon ausgehen, dass sein Unternehmen nicht mehr zu retten ist? Denn erst ab diesem Zeitpunkt sind die Geldtransfers strafbar - vorher sind sie allenfalls moralisch verwerflich, aber juristisch unangreifbar. Verteidiger Scharf hebt hervor, Schlecker habe bis zum Schluss nicht weniger als 50 Millionen Euro in das Unternehmen gesteckt. Scharf wirft der Anklage Widersprüche vor: "All dies beißt sich".

Damit löst er ein erstes Rededuell aus, Staatsanwalt Thomas Böttger will diese Attacke nicht stehen lassen. "Natürlich" habe Schlecker stets versucht, die drohende Insolvenz noch zu vermeiden, sagt der Ankläger. Aber gleichzeitig habe er Geld beiseite geschafft, damit es im Fall der Fälle nicht an die Gläubiger gehe. "Das ist kein Widerspruch", tönt der Staatsanwalt.

Vorher haben sein Kollege und er genau eine Stunde gebraucht, um die Anklageschrift zu verlesen. Diese zählt 45 Sachverhalte auf, mit denen sich der Selfmade-Milliardär zum Selfmade-Pleitier gemacht haben soll. Er und seine Familie sollen dem Unternehmen 26 Millionen Euro entzogen haben, um diese dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Die Staatsanwälte werfen den Angeklagten vor, sie hätten "aus überzogenem, rücksichtslosem und sittlich anstößigem Erwerbsinteresse" gehandelt. Diesen Satz bekommen die Schleckers etwa ein Dutzend Mal zu hören. Anton Schlecker lauscht den Ausführungen der Ankläger weitgehend regungslos. Nur einmal schüttelt er leicht den Kopf - als der Staatsanwalt sagt, bereits 2009 habe es keine Aussicht gegeben, "dass der Konzern wieder in die Gewinnzone kommt".

Die Anklagebank besteht in diesem Verfahren aus sechs Reihen. Hinter Anton Schlecker sitzt seine Ehefrau Christa, 69, eine Reihe weiter hinten Sohn Lars, 45, ganz hinten an der Wand Tochter Meike, 43. Sie hatte damals, im Januar 2012, bei einer Pressekonferenz gesagt: "Es ist nichts mehr da." Ihr Vater habe sein ganzes Geld "in die Firma eingebracht". Eine dreiste Lüge? Das Gericht wird es klären.

Als Einzelkaufmann haftet Anton Schlecker mit seinem gesamten Privatvermögen, doch nach der Insolvenz war bei ihm nichts mehr zu holen. Vorher hatte er sich noch sehr großzügig gegeben: Das Wohnhaus überschrieb er seiner Frau. Tochter und Sohn schenkte er eine Reise nach Antigua im Wert von 58 000 Euro. Seinen vier Enkeln überwies er 800 000 Euro, und Meike spendierte er 108 000 Euro Jahresmiete für ihre Wohnung in Frankfurt. Es sind nur vier Beispiele von vielen. Angesichts der einzelnen Summen können sich die Ex-Mitarbeiterinnen Zwischenkommentare nicht verbeißen. "Sauerei", sagt eine Jüngere. Ihre ältere Sitznachbarin zischt: "Das kann doch nicht wahr sein."

Anton und Christa Schlecker wohnen weiterhin in ihrer Villa inmitten eines Parks. Gütertrennung macht's möglich. Irgendwann werden sich auch die Angeklagten äußern, kündigen die Anwälte an. Wann genau, lassen sie offen. Nach zwei Stunden ist der erste Prozesstag zu Ende, das Gericht vertagt sich auf nächsten Montag. Vor dem Sitzungssaal kommt die Zeit der früheren Angestellten, sie geben Interviews. "Da mangelt's bei der ganzen Familie im sozialen und moralischen Bereich gewaltig", sagt Christel Hoffmann, die einstige Chefin des Gesamtbetriebsrats. All die Millionenverschiebungen seien "schon heftig", sagt sie. Aber noch viel mehr ärgere sie, dass die Schleckers dem Betriebsrat damals bis zuletzt "vorgegaukelt haben", alles sei in Ordnung. "Wir haben von der Insolvenz aus den Medien erfahren", sagt sie und kämpft auch fünf Jahre danach wieder mit den Tränen. "So geht man mit Menschen nicht um", schimpft sie. "Wir warten seit fünf Jahren auf eine Entschuldigung."

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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