Sanktionen:109 Euro im Monat weniger

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Job-Angebot abgelehnt, Termin geschwänzt: Wann das Jobcenter Hartz-IV-Empfängern Geld streicht.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Sich als Hartz-IV-Empfänger vor der Arbeit zu drücken, geht nicht. Wer gegen die Auflagen des Jobcenters verstößt und etwa Arbeits- und Ausbildungsangebote ablehnt oder zu Terminen mit dem Vermittler unentschuldigt nicht kommt, muss mit Sanktionen rechnen. Die Jobcenter können dann den Regelsatz von derzeit 404 Euro für einen Alleinstehenden schrittweise vorübergehend kürzen - und im äußersten Fall sogar ganz streichen. Aber darf das der Staat überhaupt?

Die Sanktionen sind schon lange umstritten, nicht erst seit die Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann ( siehe Artikel links) dagegen Sturm läuft. Die Linken lehnen diese Maßregelungen durch die Behörden schon immer ab. Sie sehen dadurch das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt. In einer Petition sprachen sich 2013 etwa 90 000 Bürger für die Abschaffung der Sanktionen aus. Das Sozialgericht Gotha in Thüringen stufte die Kürzungen von Hartz-IV-Leistungen sogar als verfassungswidrig ein und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor. Die Richter hatten über einen Mann zu entscheiden, dem zweimal Hartz IV um jeweils 30 Prozent gekürzt worden war, weil er zweimal eine Arbeit abgelehnt hatte.

Tatsächlich geht es bei den Sanktionen meist jedoch nicht darum, dass ein Langzeitarbeitsloser keinen Job annimmt. So verhängten die Jobcenter 2015 knapp eine Million Sanktionen. In 77 Prozent aller Fälle gab es aber Strafen, weil die Hartz-IV-Bezieher Termine im Jobcenter versäumt hatten. Bei nur etwa jedem Zehnten wurden Sanktionen ausgesprochen, weil eine Arbeit, eine Weiterbildung oder etwa ein Minijob abgelehnt wurde. Im Schnitt wurden die Leistungen um 109 Euro im Monat gekürzt. Fällt Hartz IV ganz weg, gibt es im Notfall einen Lebensmittelschein im Wert von maximal 202 Euro.

Besonders umstritten sind die Extra-Sanktionen für unter 25-Jährige

Diese Praxis haben bislang alle Bundesregierungen als Teil der Arbeitsmarktreformen mit der Leitidee "Fördern und Fordern" verteidigt. Es geht dabei um ein Grundprinzip des Sozialrechts: Danach muss eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, selbst mithelfen, aus der eigene Misere herauszukommen. Studien legen zudem den Schluss nahe, dass allein die Drohung mit Sanktionen den Anreiz verstärkt, eine Arbeit anzunehmen. Selbst ein Großteil der Sanktionierten stimmt nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Aussage zu, "dass das Jobcenter mit einer Kürzung drohen müsse und dass ohne diese Drohung alle machen würden, was sie wollen".

Dass unter 25-Jährige schneller härter bestraft werden können als ältere Hartz-IV-Empfänger wird jedoch selbst in der Bundesagentur für Arbeit kritisch gesehen. Bei dieser Gruppe können die Jobcenter die staatliche Hilfe bereits nach dem ersten gravierenden Verstoß gegen die Auflagen für drei Monate komplett kappen. Nach der zweiten Pflichtverletzung kann es auch kein Geld mehr für Heizung und Miete geben, so dass den jungen Menschen sogar die Obdachlosigkeit und ein Abrutsch ins kriminelle Milieu droht. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wollte die Sonderregeln für junge Hartz-IV-Empfänger deshalb abschaffen und die Sanktionspraxis vereinheitlichen. Damit konnte sie sich gegen die CSU aber nicht durchsetzen. Die hatte die Bild-Zeitung auf ihrer Seite, die damals titelte: "Weniger Strafen für Drückeberger".

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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