Rum aus Guatemala:Piratengesöff mit Vanilleduft

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Als Lorena Vásquez bei Zacapa anheuerte, wurde sie nicht ernst genommen. Dann entwickelte sie edlen Rum.

Von Steffen Uhlmann, Guatemala City

Der Feuervulkan brodelt und spuckt. Mal wieder. Eine Aschewolke türmt sich nach der Eruption des 3763 Meter hohen Volcán de Fuego am Himmel. Die Behörden rufen die zweithöchste Alarmstufe Orange für die nahe gelegene Hauptstadt des mittelamerikanischen Landes aus. Der Flughafen von Guatemala-Stadt wird für Stunden dicht gemacht, Schulen werden geschlossen. Wenig später liegt ein grauer Teppich auf weiten Teilen der Millionenmetropole. Lorena Vásquez hat sich ein Tuch über das Gesicht gezogen, um Nase, Mund und Gaumen zu schützen. Sie braucht all ihre Sinne, braucht, damit Guatemalas ganzer Stolz einzigartig bleibt - edler Rum der Marke Zacapa. Lorena Vásquez hat den Tropfen vor 30 Jahren komponiert und so ihren Ruhm in der männlich dominierten Spirituosenwelt begründet.

Vásquez ist die Master-Blenderin von Ron Zacapa, einer Schnapsfabrik aus dem Hause Industrias Licoreras de Guatemala (ILF), das der Großfamilie Botrán und dem Spirituosenkonzern Diageo gehört. Die 60-jährige Frau gilt als Seele des Zacapa-Geschäfts. Sie hat aus einem verruchten Piratengesöff, das spanische Kolonialisten einst in die Karibik brachten, einen sanftmütigen karamellfarbigen Premium-Brand gemacht. Hier der Geruch von Pflaume, Aprikose, Feige oder Orangenschale, dort der Duft von Kaffee, Vanille, Honig, Schokolade, Karamell und Kardamom. Seit 23 Jahren altern gemächlich die Rumsorten Centenario XO oder Solera in Fässern, in denen früher Sherry, Whisky oder Cognac reiften.

"Riechen Sie das?", fragt die Meistermischerin. "Ein olfaktorisches Stakkato, nicht wahr?" Studien zufolge kann der Mensch etwa eine Billion Mischungen von Riechstoffen unterscheiden. Ungeübte haben es aber schwer, diese Vielfalt an Geruchsnuancen zu erkennen und korrekt zu benennen - Trefferquote: höchstens 50 Prozent. Profis schaffen deutlich mehr als 90 Prozent. Aber wie soll man das überprüfen? "Ist überhaupt nicht wichtig", sagt Lorena Vásquez und stupst sich mit dem Zeigefinger kokett an die Nase. "Meine ist überaus empfindsam, das habe ich schon in früher Kindheit gemerkt." Dies habe ihr häufig mehr geschadet als genutzt. "Das Leben bei uns spielte sich zumeist in der Küche ab", erzählt die gebürtige Nicaraguanerin. "Roch es dort nach meiner Lieblingsspeise, nach gebratenen grünen Bananen, überbacken mit frischem Käse, dann war die Küche mein Lieblingsort. Aber fast alle anderen Gerüche haben mir die Küche verleidet." Eine Zeitlang habe sie sogar keine Milch mehr trinken können, erinnert sich Vásquez. "Meine Eltern fanden heraus, dass unsere Kühe ein bestimmtes Gras fraßen, und dessen Geruch mochte ich einfach nicht", sagt sie. "So manches Mal hat mir die Nase das Leben sauer gemacht."

Lorena Vásquez ist Master-Blenderin beim Rum-Hersteller Zapaca in Guatemala. Die 60-Jährige gilt als Seele des Betriebs. (Foto: oh)

"Den Zacapa kann man nicht nach einer Formel herstellen."

Vásquez folgt schon seit jeher immer ihrer Nase, bisweilen auch auf Umwegen. In Nicaragua hat sie pharmazeutische Chemie und Betriebswirtschaft studiert. Ende der Siebzigerjahre startete sie dann als Lebensmitteltechnologin. In einer Zeit, als die linksgerichteten Sandinisten in ihrem Heimatland die Revolution ausriefen und die Somoza-Diktatur stürzten. Haben sie die Unruhen aus Nicaragua vertrieben? Lorena Vásquez nickt erst und schüttelt dann doch den Kopf. "Eigentlich hat mich die Liebe nach Guatemala gebracht." In ein Land, das noch heute zu den ärmsten, korruptesten und gefährlichsten Ländern Lateinamerikas gehört und zum Drogenkorridor in Richtung USA verkommen ist. Wo eine Sicherheitsindustrie Extraprofite aus dem Geschäft mit der Angst zieht, wo Familienclans Politik und Gesellschaft beherrschen, wo nicht zuletzt Frauen diskriminiert und unterdrückt werden. Auch das hat Lorena Vásquez in Guatemala erfahren. Die Mutter zweier jetzt erwachsener Kinder ist längst geschieden.

Als sie vor mehr als 30 Jahren bei Ron Zacapa anfing, haben ihre männlichen Mitarbeiter sie erst einmal nicht ernst genommen. Dann hat die junge Lebensmitteltechnologin ihnen aber gezeigt, wie man den Alkoholgehalt im Rum exakter bestimmt, die Temperatur genauer misst oder den Reifeprozess wirkungsvoll steuert. Nur macht das noch längst keine Master-Blenderin aus. "Den Zacapa kann man nicht nach einer Formel herstellen. Das ist eine Kunst, die man nur mit Leidenschaft betreiben kann", sagt sie.

Diese Kunst beginnt schon bei der Zuckerrohrernte. Das Süßgras wird auf fruchtbaren Vulkanböden und bei feuchtheißem Klima oberhalb der Pazifikküste angebaut und immer noch per Hand geerntet. Wanderarbeiter schlagen das Rohr knapp über der Bodenkrume ab. "Das schafft so keine Maschine", erklärt die Brennmeisterin. "Dabei ist der unterste Teil so immens wichtig, dort sitzt die meiste Süße." In der Mühle wird das Zuckerrohr zu Extrakt verarbeitet, daraus entsteht in der Destillerie ein Roh-Rum mit 60 Prozent Alkoholgehalt. Das Destillat ist noch weit entfernt von einem Solera 23, der Stoff muss in kühlere Regionen.

Spirituose für Genießer

Rum wurde lange vor allem als Zutat für Cocktails verwendet und auch als Beimischung für Cola oder Tee. Das Zuckerrohrdestillat wird zunehmend zur Spirituose für Genießer, ähnlich wie Whisky und Cognac.

Stroh-Rum

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(Foto: x)

Als "Inländer-Rum" wird in Österreich der Stroh-Rum hergestellt. Dabei handelte es sich ursprünglich um einen Rum-Ersatz, weil nicht genügend Zuckerrohr zur Verfügung stand.

Edel-Rum

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Rum muss jahrelang in Fässern reifen, um den gewünschten Geschmack zu bekommen. Das ist für Anbieter wie Zacapa, Bacardi und Havana Club eine Wissenschaft für sich.

In einem Hallenkomplex im Industriegebiet von Quetzaltenango, mehr als 2000 Meter über dem Meer, vollzieht sich in alten Eichenfässern die Metamorphose. Bei kühlem Klima und sauerstoffarmer Luft zieht sich der Reifeprozess teils über Jahrzehnte hin. Gut zwei Drittel seines Geschmacks und seine immer dunkler werdende Farbe nimmt der Rum an, in dem er jahrelang verschiedene Fässer durchläuft. Diese Art der Veredelung (sistema solera) haben vor gut 500 Jahren die Spanier erfunden. Lorena Vásquez kommt alle zwei Wochen nach Quetzaltenango, um das Wechselspiel der Fässer und Verblendungen persönlich zu dirigieren. "Meine Nase und meine Zunge haben das Sagen, ich allein entscheide über die Komposition."

Die kleine Frau ist ein Erfolgsgarant für Zacapa. Roberto Garcia Botrán macht daraus keinen Hehl. "Wir haben ein gutes Stück unseres Aufstiegs auf dem weltweiten Spirituosenmarkt ihr zu verdanken", sagt der Präsident von Industrias Licoreras. Mit Rum, Zucker, Ethanol und anderen Rohprodukten setzt er jährlich 250 Millionen Dollar um und gehört mit 2500 Beschäftigten zu den wichtigsten Arbeitgebern des Landes. Rum mache etwa die Hälfte des Umsatzes aus, rechnet Botrán vor. "Doch wir wollen weg vom Massengeschäft, vor allem der Marge wegen. Mit Señora Vásquez und ihren Zacapa-Edelmarken sind wir da auf gutem Wege." Er hofft, dass die quirlige Dame mit der feinen Nase ihre Lust am Mischen behält. "Ach diese Düfte, Aromen, Klänge und Geschichten", sagt Lorena Vásquez versonnen. "Nur keine Angst, diese Arbeit ist Bestimmung und noch immer ein Luxus für mich."

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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