Rückrufe:Ein Millionenrisiko

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Daimler hat gerade wieder einen Rückruf gestartet. (Foto: Thomas Kienzle/AP)

Daimler muss eine Million Autos zurückrufen, das wird teuer. Beim Zulieferer Brose zahlen Versicherer insgesamt 100 Millionen Euro.

Von Nina Nöthling und Herbert Fromme, Köln

Für mehr als eine Million Besitzer von Mercedes-Pkw und anderen Daimler-Fahrzeugen ist es mehr als ein großes Ärgernis: Sie müssen ihre Wagen in die Werkstatt bringen, um einen Produktionsfehler reparieren zu lassen, der ein echtes Sicherheitsrisiko darstellt. Bei ihren Wagen ist die Lenkstange nicht richtig geerdet, sie lädt sich deshalb statisch auf. Weil auch noch ein Kabel einen Defekt hat, kann es schwere Konsequenzen geben: Durch einen möglichen Stromschlag kann der Airbag ausgelöst werden. Daimler hält sich bedeckt zu der Frage, in wie vielen Fällen es auf diese Weise zu ausgelösten Airbags kam. Sicher ist, dass neben dem Reputationsverlust auch ein hoher finanzieller Schaden entstehen wird.

Nicht nur in den technischen und logistischen Abteilungen des Stuttgarter Konzerns sorgt der Vorfall deshalb für ein hohes Aktivitätsniveau. Auch Hausjuristen, Versicherungsfachleute, Anwaltskanzleien und Versicherer prüfen eine entscheidende Frage: Wer muss für den Schaden zahlen? Muss Daimler selbst dafür aufkommen, oder kann der Konzern einen Zulieferer und damit möglicherweise dessen Versicherer haftbar machen?

Billig sind solche Schäden nicht. Das musste gerade das Konsortium feststellen, das den Coburger Teilehersteller Brose versichert hat. Von Brose gelieferte Türschlösser waren nach Ansicht von US-Aufsichtsbehörden unsicher, Hunderttausende Schlösser mussten vor allem in den USA bei verschiedenen Marken ausgetauscht werden.

Jetzt haben die Versicherer unter Führung des US-Anbieters AIG nach SZ-Informationen satte 100 Millionen Euro gezahlt, die gesamte versicherte Summe. Möglicherweise ist der Gesamtschaden noch höher, dann bleibt Brose auf der Differenz sitzen.

Zu dem Fehler und den Rückrufen wollte die Coburger Firma nichts sagen, genauso wenig wie zur Versicherung. "Da Rückrufaktionen über die Automobilhersteller erfolgen, darf sich Brose zu diesen Maßnahmen nicht äußern", teilte eine Sprecherin mit. "Unser Unternehmen stellt jedoch fest, dass Verbraucherschutzbestimmungen zunehmend strenger ausgelegt werden, insbesondere in den USA." Durch dieses Vorgehen würden Hersteller, Zulieferer und auch die Versicherer stärker belastet.

Aktuell sind Rückrufversicherungen bei den Versicherungsgesellschaften nicht sehr beliebt, auch wenn AIG beteuert, man werde solche Risiken weiter abdecken. Der Trend ist klar: In diesem Segment steigen die Preise kräftig, während sie in anderen Bereichen der industriellen Haftpflichtversicherung deutlich sinken.

Zur Skepsis der Versicherer trägt der Megaschaden des japanischen Airbag-Herstellers Takata bei. Weltweit mussten rund 50 Millionen Wagen zurückgerufen werden, weil darin verbaute Airbags der Firma fälschlicherweise auslösten und die Verkleidung der Fahrzeugkonsole sprengten. Durch die umherfliegenden Plastik- und Metallteile starben bereits mehrere Menschen. Grund für die Fehlzündungen waren die Gaskartuschen in den Airbags. Takata hatte dem Gasgemisch kein schützendes Trockenmittel beigegeben, sodass die Zylinder bei zu großer Hitze oder zu viel Feuchtigkeit explodierten.

Von dem Rückruf waren nicht nur fast alle Automobilhersteller weltweit betroffen. Der japanische Zulieferer selbst hat am 26. Juni 2017 einen Insolvenzantrag gestellt. Der Konzern muss rund zwei Milliarden Dollar (1,7 Milliarden Euro) zahlen. Mit 25 Millionen Dollar entfällt der kleinste Teil davon auf Bußgelder. Weitere 850 Millionen Dollar fließen in einen Entschädigungsfonds für die Autoproduzenten, 125 Millionen Dollar in einen Entschädigungsfonds für die Opfer. Außerdem zahlt Takata in den USA Strafen von insgesamt einer Milliarde Dollar.

Autohersteller haben für Personen- und Sachschäden, die durch fehlerhafte Produkte entstehen, in der Regel eine sogenannte Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen, erklärt Dirk Grote, Leiter Haftpflicht beim Versicherungsmakler Marsh. Sie deckt allerdings die Kosten eines Rückrufs und der Reparatur nicht.

Bei Rückrufschäden gibt es in der Regel einen Vergleich

Sogenannte Original Equipment Manufacturers (OEM) wie Daimler können auch keine Police abschließen, sagt Grote. Ist jedoch ein Bauteil eines Zulieferers wie im Fall von Takata schuld an dem Defekt, versucht der Fahrzeugproduzent, sich die Kosten von diesem Hersteller erstatten lassen. Anders als OEMs sind die meisten Zulieferer für den Fall eines Rückrufs versichert, sagt Makler Grote. "Aber Zulieferer zahlen nicht die gesamten Kosten, bei Rückrufschäden gibt es in der Regel immer einen Vergleich", erklärt er.

Im Fall von Daimler ist die Situation besonders kompliziert, denn nicht nur das Kabel des Zulieferers, sondern auch ein Konstruktionsfehler des Herstellers haben zum fehlerhaften Auslösen der Airbags beigetragen.

Der Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty geht davon aus, dass die Zahl der Haftpflicht-Großschäden durch Rückrufe zunehmen wird. Strengere Sicherheitsvorschriften und Regulierungsvorgaben sorgen für mehr Fahrzeug-Rückrufe, heißt es. In den USA werden seit 2014 jedes Jahr mehr Fahrzeuge zurückgerufen, 2016 erreichte die Zahl mit 53,2 Millionen Fahrzeugen einen Rekord. Auch in Europa war 2016 ein Rekordjahr, es gab insgesamt 415 Rückrufaktionen von Fahrzeugmodellen - 76 Prozent mehr als im Vorjahr.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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