Royales Holzspielzeug:Königliche Hochzeitskutsche

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Lässt sich aufziehen und rollt: die royale Kutsche in der Hand von Designer Andrij Sacharchenko. (Foto: Florian Hassel)

Der raffinierte Modellbausatz der jungen ukrainischen Firma Ugears entwickelt sich zum Hit. Man findet sie sogar im Shop des Guggenheim-Museums in New York - und bald bei Disney.

Von Florian Hassel, Kiew

Müsste sich Myroslaw Prylypko festlegen, welches Projekt ihn am meisten in Atem gehalten hat, würde seine Wahl wohl auf das Pferd fallen. Es hat den Ingenieur mehrere Jahre Grübeln gekostet, bis 370 Einzelteile so zusammenspielten, dass aus der Idee Realität wurde: Ein aufziehbares Spielzeugpferd, das in der Lage ist, durchs Kinderzimmer zu gehen. Und das ausschließlich aus Holz gefertigt ist, ebenso wie zum Beispiel die Kutsche zur Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle oder die noch geheimen Modelle für den amerikanischen Disney-Konzern.

Mit ihren Erfindungen haben die 200 Mitarbeiter der ukrainischen Spielzeugfabrik Ugears in kurzer Zeit beachtliche Erfolge gelandet - und das trotz eines eher schwierigen Umfelds: in einem Land, das noch immer von Krieg, Korruption und Bürokratie geprägt ist.

Gerade vier Jahre ist es her, dass der Kiewer Designer Dennis Ochrimenko dem Manager Gennadij Schestak eine Geschäftsidee vorstellte: Modellbausätze aus Holz - freilich keine einfachen, sondern aus Hunderten Einzelteilen bestehend und so konstruiert, dass sie auch ambitionierte Bastler beim Zusammenbau Tage oder gar Wochen beschäftigen. Ochrimenko hatte die Idee, nicht aber das Kapital für computergesteuerte Konstruktionsprogramme und Laserschneidemaschinen zur Fertigung solcher Bausätze.

Schestak, heute 45 Jahre alt, hatte im ukrainischen Frühkapitalismus zu diesem Zeitpunkt schon vielfältig Erfahrung gesammelt: mit dem Vertrieb von amerikanischer Cadbury-Schokolade und Palmolive-Produkten, Wilkinson-Klingen aus Solingen und Artikeln für Bürobedarf oder mit der Sanierung feuergeschädigter Industriegebäude. Schestak handelte auch mit Kinderspielzeug der belgischen Marke Egmont oder der deutschen Haba; aus China importierte er billige Holzpuzzle.

Damals, nur wenige Monate nach der Revolution auf dem Kiewer Maidan, waren die Ukraine und ihre Wirtschaft vom Krieg auf der Krim und im Osten des Landes geschwächt. Andererseits, überlegte Schestak, gab es gerade jetzt weltweit Interesse und Sympathie für die Ukraine. Und so investierte Schestak aus seinen Ersparnissen 120 000 Dollar in die Gründung der Firma Ugears. Er und Ochrimenko kauften Maschinen und warben Ingenieure als Designer an. Ingenieur Prylypko etwa setzte schon als Kind Bausätze von U-Booten und Flugzeugen zusammen, studierte an der Kiewer Universität für Flugzeugtechnik und konstruierte Beleuchtungsanlagen, bevor er zu Ugears kam.

Ugears erstes Testprodukt, ein Visitenkartenspender aus Holz, verkaufte sich gut in ukrainischen Supermärkten. Auf Dauer aber, glaubte Schestak, werde das Geschäft nur tragfähig, wenn das junge Start-up nicht nur in der vergleichsweise armen Ukraine verkaufte, sondern vor allem international. Doch davor stand die Antwort auf die Frage: "Brauchte, wollte der Markt Holzbausätze von einer unbekannten Firma aus der Ukraine?"

Um das herauszufinden, stellten die Ugears-Gründer im November 2015 auf der Gründerplattform Kickstarter das Bausatzmodell einer hölzernen Dampflokomotive samt Anhänger vor. "Hätten wir hier keinen Erfolg gehabt, hätten wir nicht weitergemacht", sagt Schestak. Die Reaktion war überwältigend: Statt der für eine Produktion der Dampflokomotive erbetenen 20 000 Dollar bekamen die Ugears-Gründer mit der Kickstarter-Kampagne gleich 406 000 Dollar zusammen.

In der Ukraine war der Erfolg der jungen Firma im vom Krieg geprägten Herbst 2015 eine seltene gute Nachricht. "Selbst das Fernsehen kam zu uns", erzählt Schestak. "So waren wir schnell im ganzen Land bekannt." Bald lieferte Ugears seine Holzlokomotive und neun weitere Holzbausätze nicht nur in die USA, sondern auch nach Frankreich, Deutschland oder Asien. Der bis heute größte Verkaufsschlager: ein Holzsafe für den Schreibtisch, mit selbst einstellbarem Code.

85 Prozent der Modelle werden für Erwachsene gekauft

Was ist das Erfolgsrezept der Firma? Firmenchef Schestak zufolge die Mischung aus Fantasie und Präzision. "Unsere Designer sind Fanatiker, die oft schon seit ihrer Kindheit Modelle bauen oder sich ausdenken. Unsere Bausätze sind hochpräzise gefertigt: Am Anfang hatten wir Fälle, in denen die Produktion einer ganzen Schicht im Müll landete. Die Bausätze bringen Freude am Tüfteln und Zusammenbauen zurück, die aus unserem automatisierten Alltag weitgehend verschwunden ist. Und sie wecken bei vielen Käufern Emotionen, weil sie sie an ihre eigene Kindheit erinnern. Tatsächlich wird nicht einmal ein Fünftel unserer Bausätze für Kinder gekauft - 85 Prozent gehen an Erwachsene." Im Internet begleitet Ugears jedes Modell mit einem Video - derlei professionelles Marketing ist in der Ukraine selten.

Und noch etwas ist in der Ukraine für ein Unternehmen nicht selbstverständlich: legal zu arbeiten. Die Internationale Wirtschaftsprüfervereinigung (ACCA) schätzt den Anteil von Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung in dem Land auf 46 Prozent der Wirtschaftsleistung - einen der höchsten Werte weltweit. Ugears dagegen setzt nach Darstellung von Firmenchef Schestak auf "hundertprozentige Legalität: Wir beschäftigen alle Mitarbeiter offiziell und zahlen alle Abgaben und Steuern." Das brachte dem verhältnismäßig kleinen Start-up bereits eine Ehrung als einer der 20 größten Steuerzahler in der Region Kiew ein.

Seinen Partner Ochrimenko hat Schestak im vergangenen Jahr ausbezahlt, es gab Differenzen über die Firmenausrichtung. Heute liefert Ugears rund 40 Bausätze in 85 Länder, selbst nach Russland: Der russische Importeur wählt den Umweg über einen Zwischenhändler in einem anderen Land. Und schon kämpft Ugears mit Plagiaten. "In China finden wir Geschäfte, die Ugears-Bausätze sowohl als Original wie als Fälschung anbieten", berichtet Schestak. "Es ist ein ständiger Kampf für uns, doch er ist nicht aussichtslos: Chinesische Handelsgiganten müssen mittlerweile auch die internationalen Spielregeln einschließlich des Copyrights beachten."

Das internationale Geschäft ist für die Spielzeugfirma noch ausbaubar: Anfang 2018 fragte der englische Vertrieb an, ob Ugears rechtzeitig zur Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle einen Bausatz für eine königliche Kutsche liefern könne. Designer Prylypko und sein Kollege Andrij Sacharchenko grübelten noch intensiver als sonst, bis 290 Teile ineinander griffen und die Kutsche nach dem Aufziehen mehrere Meter fuhr - einschließlich einer Miniatur-Meghan-Markle und eines Mini-Harry in Uniform (das Hochzeitspaar kann gegen Modelle von Queen Elizabeth und Prinz Philip ausgetauscht werden). Rechtzeitig vor dem Hochzeitstermin schickte die Firma die ersten 2000 Kutschen-Bausätze nach England.

Disney sandte erst einen Betriebsprüfer - und der gab grünes Licht

In den USA werden Ugears-Bausätze inzwischen sogar im Shop des angesehenen Guggenheim-Museums in New York verkauft. Der eigentliche Durchbruch aber, hofft Firmenchef Schestak, steht erst bevor. Im September 2017 war im Auftrag des Disney-Konzerns ein Betriebsprüfer mehrere Tage im Ugears-Firmensitz in einer Vorstadt von Kiew. "Bevor Disney Aufträge an andere Unternehmen vergibt, lässt die Firma alles prüfen: Ob wir legal arbeiten, unsere Steuern zahlen, keine Kinder ausbeuten und menschenwürdige Löhne zahlen", sagt Schestak. Ugears-Beschäftigte tragen monatlich netto umgerechnet 500 Euro nach Hause, deutlich über dem ukrainischen Durchschnitt.

Die Prüfung fiel positiv aus. Und so feilen Myroslaw Prylypko und seine Kollegen in der Designabteilung an letzten Details für fünf Sondermodelle, die Disney ab Herbst 2018 in 700 firmeneigenen Geschäften und Freizeitparks verkaufen will. Für die erste Lieferung sind 15 000 Bausätze bestellt. "Klappt alles, ist dies eine kolossale Werbung für uns", sagt Schestak. Vor ukrainischen Studenten hält er mittlerweile regelmäßig Vorträge über Unternehmensgründung - und betont die Vorteile legalen Arbeitens. "Hätten wir bei Ugears nicht von Beginn an transparent und legal gearbeitet, wären wir für Disney nie als Partner infrage gekommen."

© SZ vom 19.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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