Rot-Grün in Baden-Württemberg:Nett - und trotzdem reich

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Nils Schmid (SPD) führt das Finanz- und Wirtschaftsressort in Baden-Württemberg. Leiser als die Bayern, liberaler als Parteifreunde - und dennoch erfolgreich. Wie geht das nur?

Von Max Hägler und Josef Kelnberger

Das Parlament hat Mittagspause, am Schlossplatz stehen Abgeordnete und Journalisten zusammen und reden. Noch neun Monate bis zur Landtagswahl, und die Opposition rüstet zur Attacke. Gesellschaftspolitik ist das Thema, die grün-rote Regierung übertreibe es mit ihrer Liebe zur sexuellen Vielfalt, wettern CDU und FDP. Darum kreisen die Gespräche. Keine hundert Meter entfernt sitzt in seinem Büro im Neuen Schloss der Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid von der SPD. Grandios die Aussicht in den Schlossgarten, sehr entspannt sein Blick auf den Wahlkampf. Die Prophezeiungen, Grün-Rot werde das Land in den Ruin treiben, haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil. Baden-Württemberg boomt. Und wenn die Opposition mäkelt, geht es meist darum, Schmid sei zu nett. Er vertrete die Interessen dieses großen und reichen Landes zu lasch, und seine eigene Regierung zwinge er nicht zum Sparkurs.

Also: Sind Sie zu nett, Herr Schmid?

"Außerhalb von Bayern gibt's ja nur selten solche Politikertypen, die ständig auf den Tisch hauen", erwidert Nils Schmid mit seinem feinen Lächeln, das oft ein wenig spöttisch wirkt. "Das kommt im Rest Deutschlands auch überhaupt nicht an. Deshalb ist zu Recht noch kein Bayer Bundeskanzler geworden."

Es geht im Gespräch mit Nils Schmid immer wieder sehr schnell um Bayern. Um den Vergleich zwischen den beiden Wirtschaftsmächten im Süden. Das ist ein Leitmotiv der baden-württembergischen Politik. Und Schmid ist überzeugt, dass er diesen Vergleich nicht scheuen muss. Zum Beispiel beim Länderfinanzausgleich.

Bayern hat mit Hessen dagegen geklagt. Die beiden Länder fühlen sich ausgenutzt. Baden-Württemberg hingegen, ebenfalls Geberland, versucht in den Verhandlungen mit dem Bund immer wieder zu vermitteln. Schmid ist ein großer Anhänger des Föderalismus, deshalb kniet er sich mit Leidenschaft in die Verhandlungen. Der bayerische Egoismus sei "eingepreist" in dieses System des Interessenausgleichs. Weniger nachsichtig ist er zur CSU angesichts ihrer widerspenstigen Haltung zu Stromtrassen oder Atommüll: "Geisterfahrer der deutschen Politik", nennt er sie. Die alte "Südschiene" zwischen Bayern und Baden-Württemberg? Beinahe Vergangenheit.

Montage beim Pressenhersteller Schuler in Göppingen. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Allerdings behalten sich auch Schmid und sein Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine Klage gegen den Länderfinanzausgleich vor, nach der Sommerpause beraten sie erneut. Die CDU bringt dieses Lavieren auf die Palme. Immer noch treibt manche Südwest-Konservative die Sehnsucht nach der Seehofer-Geste um: Wir sind solidarisch, aber nicht blöd!

Dieses Mia-san-mia passe nicht zu Baden-Württemberg, findet Schmid. "Die Menschen hier ticken nicht so. Sie haben bei Stefan Mappus gesehen, wozu es führt, wenn die Regierung mit dem Kopf durch die Wand will: Das endete in Pfefferspray und Wasserwerfern." Schmid meint die Auseinandersetzung um Stuttgart 21, das Bahnprojekt, das Ex-Ministerpräsident Mappus mit aller Gewalt durchbringen wollte. Ein Grund, warum Grün und Rot vor vier Jahren an die Macht kamen. Ein anderer war der spektakuläre Rückkauf der EnBW durch Mappus: zu teuer und auch verfassungswidrig, wie sich herausstellte.

Sogar Bundesfinanzminister Schäuble konnte der SPD-Mann für seine Steuer-Idee gewinnen

Nils Schmid, 41, verkörpert nun als Wirtschafts- und Finanzminister den sanften Riesen Baden-Württemberg. Unter einem Mangel an Selbstvertrauen leidet er keineswegs, aber er hält sich statt an große Gesten lieber an Fakten. An den Wirtschaftsbericht 2015 zum Beispiel, den er gerade vorgelegt hat. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im vergangenen Jahr stärker als in jedem anderen Bundesland, um 2,4 Prozent auf 438 Milliarden Euro. Deutschlandweit hingegen nur um 1,6 Prozent. Das Ausfuhrvolumen ist so hoch wie nirgendwo sonst in Deutschland, ebenso die Forschungsintensität und die Zahl der Patente bezogen auf die Einwohner. Nirgendwo sonst ist die Jugendarbeitslosigkeit so gering. Was die Wirtschaftskraft pro Kopf betrifft, liegt Bayern allerdings noch leicht in Führung.

Was Schmid besonders stolz macht: Anders als in Bayern verteilen sich die Leistungsträger übers ganze Land, sowohl die Dax-Konzerne als auch die Mittelständler, unter ihnen diese vielen unbekannten Marktführer, für die Baden-Württemberg bekannt ist. Die CDU reklamiert für sich, diese Wirtschaftsstruktur in fünf Jahrzehnten geschaffen zu haben. Schmid erwidert, er entwickle den Standort weiter. Er verweist auf die Investitionen in Ganztagsschulen, die großzügige Hochschulfinanzierung. Als erstes Bundesland hat man eine "Industrie-4.0-Allianz" geschaffen.

Nils Schmid, 41, verkörpert als Wirtschafts- und Finanzminister den sanften Riesen Baden-Württemberg. (Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

In seiner Fürsorglichkeit gegenüber den vielen Familienunternehmen im Land, ausgedrückt im Ringen um die Erbschaftssteuerreform, übertrifft er sogar die CDU. Eine Bedürfnisprüfung erst ab einem Unternehmenswert von 100 Millionen Euro: Damit hat er für Furore gesorgt. Auch der eigene Ministerpräsident war anfangs erschrocken angesichts der 100 Millionen. Winfried Kretschmann zierte sich damals, seinem Minister öffentlich Rückendeckung zu geben. "Der Eindruck mag entstanden sein", sagt Schmid. Ob er selbst nicht den Eindruck hatte? Schmid überlegt. "Im Ringen um eine vernünftige Erbschaftsteuer wird das letztlich nur eine Fußnote sein. Hauptsache, es geht in die richtige Richtung, und wir haben uns in wichtigen Punkten bereits durchgesetzt." Nach langwierigen Verhandlungen bewegt sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nun jedenfalls in Schmids Richtung.

Neun Monate noch bis zur Wahl. Und die Frage ist, ob Schmid als SPD-Spitzenkandidat profitieren kann von den guten Nachrichten aus seinem Ressort: Wirtschaftsboom plus dreimal Nullverschuldung in dieser Legislaturperiode. Die Opposition verweist nicht zu Unrecht darauf, Schmid verdanke die drei Nullen vor allem den exorbitanten Steuereinnahmen. Er habe allzu bereitwillig offene Flanken der Regierung mit zusätzlichem Geld abgedichtet, zum Beispiel für mehr Lehrer. Andererseits benennt die CDU kein Politikfeld, auf dem sie selbst sparen würde, im Gegenteil. "Verbalsparer" nennt Schmid die Christdemokraten.

Ohne die Katastrophe von Fukushima wäre Nils Schmid 2011 wohl Ministerpräsident geworden. Erst danach zog Grün an Rot vorbei, und Schmid wird nun immer noch oft als "der kleine Nils", verspottet, als Musterschüler ohne Fortüne. Ob er 2016 das Blatt wenden kann? Die jüngsten Umfragen verheißen der SPD 20 Prozent, den Grünen 27. Es sei "normal", sagt Schmid, "dass die Erfolge einer Koalition primär auf die Partei des Ministerpräsidenten einzahlen." Kretschmann und die Grünen profilieren sich zudem als Wirtschaftsversteher. Schmid findet das insgeheim merkwürdig, aber er hütet sich, Kretschmann anzugreifen. Allzu beliebt ist der, und Schmid will in jedem Fall mit den Grünen weiterregieren. Um das höchste Amt im Lande zu erobern, bräuchte er vor allem Rückenwind von der Bundespartei. Sie müsste sich endlich Richtung 30 Prozent bewegen. Das ginge, glaubt er, wenn sie vom Südwesten lerne. Also von ihm.

Die SPD könne nur regierungsfähig sein, sagt Nils Schmid, wenn sie für sichere Arbeitsplätze stehe, wenn sie also Innovation und Gerechtigkeit zusammenbringe. "Dazu gehört der Mindestlohn, von dem hier im Land Zehntausende profitieren. Dazu gehört aber auch, den Mittelstand und familiengeführte Unternehmer als langfristig interessierte Investoren und als Teil unserer Wirtschaftslandschaft zu pflegen." Da wird der vermeintlich so nette Nils Schmid doch sehr eindeutig. "Es scheint mir doch ein bedauerliches Hirngespinst mancher in der SPD-Linken zu sein: zu glauben, dass man mit einem Wettlauf um möglichst hohe Steuern mehr als 25 Prozent im Bund holen kann."

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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