Rohstoffe: Massiver Preissturz:Katharsis aus Stahl

Lesezeit: 4 min

Noch vor Monaten wurden für Öl, Metall und Getreide Rekordpreise bezahlt. Dem Aufstieg folgte der plötzliche Einbruch - nun bereitet sich die Branche auf eine schmerzhafte Durststrecke vor.

Tobias Dorfer

Mitten in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten herrscht Goldgräberstimmung im Osten Brandenburgs. Ausgerechnet in der Lausitz, sonst von notorisch hoher Arbeitslosigkeit geplagt, herrscht Hoffnung. Zwei Millionen Tonnen Kupfer lagern unter der Erde - und die sollen ab 2015 gehoben werden. Der US-Konzern Minera investiert 700 Millionen Euro in ein neues Bergwerk, 900 Arbeitsplätze sollen entstehen.

Stahlarbeiter bei Thyssen-Krupp in Duisburg: Stimmung auf dem Tiefpunkt. (Foto: Foto: dpa)

So viel Euphorie ist selten in diesen Tagen. Denn die Stimmung in der Rohstoffbranche ist - gelinde gesagt - am Tiefpunkt. Noch vor Monaten galt eine einfache Regel: Da viele Rohstoffe endlich sind, und gleichzeitig der Bedarf massiv steigt, waren steigende Preise praktisch vorprogrammiert. Noch im Sommer, der Ölpreis kratzte gerade an der Marke von 150 Dollar, hatte die Investmentbank Goldman Sachs einen Preis von 200 Euro pro Barrel vorhergesagt.

Inzwischen kostet ein Fass Rohöl deutlich weniger als 50 Euro. Durch den weltweiten Wirtschaftsabschwung sind auch die Preise für Metalle, Öl, aber auch für die meisten Lebensmittel in den vergangenen Monaten regelrecht eingebrochen.

Für eine Tonne Kupfer musste im Sommer noch 8930 Dollar bezahlt werden, inzwischen ist der Preis auf 3145 Dollar gefallen. Die bei der Londoner Metallbörse gemeldeten Lagerbestände lagen am Montag bei 314.825 Tonnen - und damit auf dem höchsten Stand seit fast fünf Jahren. Auch die Preise für Zink, Nickel und Palladium sind in den vergangenen sechs Monaten um rund zwei Drittel eingebrochen.

Kein Tag ohne Horrormeldungen

Das Ergebnis der Rohstoff-Baisse spüren Verbraucher vor allem an der Zapfsäule. Auch etliche Gasanbieter, darunter der russische Konzern Gazprom, haben bereits Preissenkungen angekündigt. "Sinkende Energiepreise sind ein echtes Konjunkturprogramm", jubelte die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin kürzlich.

Für die Rohstoffkonzerne ist der massive Preisverfall jedoch echte Katastrophe. Noch im Sommer, die Geschäftsaussichten waren glänzend, wollte der Bergbaukonzern BHP Billiton für 150 Milliarden Dollar den Konkurrenten Rio Tinto übernehmen - es wäre die zweitgrößte Unternehmensfusion aller Zeiten gewesen. Doch sie blieb ein Traum in den Köpfen einiger Manager und Analysten. Aufgrund der konjunkturellen Umstände und des Verfalls der Rohstoffpreise blies BHP den Megadeal inzwischen ab. "BHP Billiton ist sehr auf die Stärke der Bilanz fokussiert", sagte Vorstandschef Marius Kloppers.

Seitdem vergeht fast kein Tag ohne Horrormeldungen aus der einstigen Boombranche. Chinas 71 größte Stahlwerke meldeten zusammen für Oktober einen Nettoverlust von 5,835 Milliarden Yuan (0,6 Milliarden Euro). Das ist nicht viel, doch für die erfolgsverwöhnten Chinesen war es der erste Verlustmonat überhaupt. Der russische Diamantenproduzent Alrosa hat seine Gewinnerwartungen für 2008 bereits um 85 Prozent gesenkt. Und auch der deutsche Stahlkonzern Thyssen-Krupp spürt die Folgen der Krise. Das Unternehmen musste bereits in Indonesien ein Projekt für eine Anlage zur Kohleförderung um ein halbes Jahr strecken. In Australien wurde nach Konzernangaben ein Projekt mit einem Volumen von 100 Millionen Euro erst einmal ausgesetzt.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Unternehmen auf die Rohstoffbaisse reagieren - und warum Umweltschützer nun beunruhigt sind.

Sparen wird zum neuen Modewort in der Branche. Beim deutschen Düngemittelhersteller K+S wird ab Januar in mehreren Werken Kurzarbeit eingeführt, Rio Tinto gab den Abbau von 14.000 Arbeitsplätzen bekannt und will zudem geplante Investitionen reduzieren. Und in den USA will der weltgrößte börsennotierte Kupferförderer Freeport-McMoRan Copper & Gold sogar 20 Prozent seiner Belegschaft abbauen.

Kupfer-Produktion in Hettstedt: "20 bis 30 Prozent der globalen Rohstoffproduktion sind bei den heutigen Preisen nicht mehr rentabel", sagt Unicredit-Analyst Hitzfeld. (Foto: Foto:)

Der Grund ist immer gleich: Neben den niedrigen Preisen machen den Firmen die höher gewordenen Hürden bei der Kreditaufnahme zu schaffen. "20 bis 30 Prozent der Rohstoffproduktion sind bei den heutigen Preisen nicht mehr rentabel", sagt Unicredit-Analyst Jochen Hitzfeld.

Neue Konstellationen

Und ein Ende der sinkenden Preise ist nicht in Sicht: "Die Talsohle erreichen wir erst in der Mitte des kommenden Jahres", sagt Rohstoffexperte Klaus Matthies vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). Das Problem: Die Preise vieler Rohstoffe orientieren sich an Prognosen. Sie würden "durch Erwartungen gebildet", sagt Matthies. Das heißt: Steht die Weltkonjunktur vor einer Rezession, bleiben die Preise erst einmal unten.

So entstehen derzeit neue Konstellationen von Macht. "Der Eisenerzmarkt wandelt sich zurzeit von einem Verkäufer- in einen Käufermarkt", sagt Analyst Hermann Reith von der BHF-Bank. In der Boomphase konnten Rio Tinto, BHP Billiton ihren Kunden aus der Stahlbranche die Preise quasi nach Herzenslust diktieren. So lagen die für das Jahr 2008 ausgehandelten Preise für Feinerz und Eisenerzpellets nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl um 65 bis 87 Prozent über denen des Vorjahres. Prompt musste ThyssenKrupp nachziehen und verteuerte Flachstahl um bis zu 130 Euro je Tonne. Die gesamte Preiserhöhung konnte der Konzern nicht weitergeben.

Umweltschützer in Sorge

Jetzt sind die Rohstoffkonzerne selbst abhängig von ihren Abnehmern. Chinesische Hüttenwerke haben von BHP Billiton und anderen Kupfererzförderern bereits eine Preiserhöhung von 74 Prozent für die Verarbeitung im kommenden Jahr verlangt. Da die Bergbauunternehmen Erz nicht beliebig lagern können sind sie gezwungen, die höheren Preise zu zahlen.

Umweltorganisationen sind beunruhigt über die Entwicklungen. Denn hohe Preise für Rohstoffe hatten immer auch zur Sparsamkeit angehalten. Jetzt befürchten Naturschützer Schlimmes: "Wir müssen innovativer denken", fordert Andre Böhling, Energieexperte der Umweltorganisation Greenpeace. "Diese Chance wird durch die niedrigeren Energiepreise vertan." Auch Brick Medak von der Umweltschutorganisation WWF befürchtet: "Es wäre nicht verwunderlich, wenn manche Energieunternehmen Innovationen zurückfahren würden."

In der Lausitz lässt sich KSL Kupferschiefer, die deutsche Minera-Tochter, von den derzeit niedrigen Preisen nicht entmutigen. Der Abbau des Kupfervorrats werde ja erst im Jahr 2015 beginnen. "Wir sehen das als langfristiges Projekt", erklärte ein Unternehmenssprecher. Da die Kupfervorräte weltweit sinken würden, erwarte man auch wieder steigende Preise. An den Investitionen in Brandenburg werde jedenfalls nicht gerüttelt. Experten raten jedoch zur Vorsicht: "Eigentlich müsste man jetzt solche Projekte zu den Akten legen", sagt HWWI-Forscher Matthies.

© sueddeutsche.de/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: