Rohstoff Öl:Der manipulierte Preis

Lesezeit: 3 min

Damit Öl nicht knapp wird, könnten Russland und Saudi-Arabien die Förderung ausweiten.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Es gab viel zu besprechen, als sich Russlands Präsident Wladimir Putin und der saudi-arabische Kronprinz Mohamed Bin Salman am Donnerstag beim Eröffnungsspiel der Fußball-WM begegneten. Bevor die Nationalmannschaften beider Länder gegeneinander antraten, hatten die Ölstrategen dieser Länder bereits erörtert, wie man sich vor der Konferenz des Ölkartells Opec am kommenden Freitag und Samstag in Wien zu positionieren gedenkt. Von den Absprachen Russlands und Saudi-Arabiens hängen der Ausgang des Treffens und damit die weitere Entwicklung der Ölpreise in den kommenden Monaten wesentlich ab. So gelöst die beiden Staatenlenker während des Spiels miteinander scherzten, so groß ist der Druck, etwas zu tun, und so schwierig die Lage.

Ende dieser Woche treffen sich die 14 Opec-Mitglieder und zehn Petrostaaten, die nicht zum Kartell gehören, um über ihre gemeinsame Strategie zu beraten. Seit Anfang vergangenen Jahres hatte die Opec erstmals seit 2001 gemeinsam mit anderen Förderländern die Ölproduktion gedrosselt, um den Preis des Rohstoffs zu stabilisieren. Zum Erstaunen vieler Beobachter hielt die Kooperation. 1,8 Millionen Barrel Öl am Tag (ein Barrel sind 159 Liter) verschwanden vom Markt und mit ihnen bald das Überangebot, das seit dem Jahr 2014 anhaltend niedrige Preise zur Folge hatte. In den vergangenen zwölf Monaten stiegen die Ölpreise um mehr als 70 Prozent bis auf zwischenzeitlich 80 Dollar, was nicht zuletzt Autofahrer weltweit an den Tankstellen zu spüren bekommen.

Trump kann hohe Ölpreise nicht gebrauchen. Das sagt er auch den Saudis

Mit dem Preisanstieg ist unter den Produzenten die Sorge vor neuen Engpässen gewachsen. Den Preis des wichtigsten Rohstoffs der Welt derart zu manipulieren, ist riskant: In der Geschichte der Ölmärkte waren es meist unvorhergesehene Ereignisse, die den größten Einfluss auf die Preise hatten: Kriege oder plötzliche Produktionsausfälle. So ist im Krisenland Venezuela, dem ölreichsten Staat der Erde, die Produktion in den vergangenen Monaten derart schnell gesunken, dass es mittelfristig als Lieferant fast völlig ausfällt. Mit den bevorstehenden US-Sanktionen gegen Iran wird sich die Welt bald auch auf die Exporte des drittgrößten Opec-Produzenten nicht mehr verlassen können.

Auf weitere Überraschungen ist der Markt denkbar schlecht vorbereitet. Damit ununterbrochen Öl von den Quellen zum Konsumenten strömt, verlässt sich die Industrie auf eine Reihe Sicherheitspuffer, mit denen sie Engpässe oder eine kurzfristig hochschnellende Nachfrage abfedern kann. Dazu gehören zuvorderst Lagerbestände sowie die Möglichkeit einiger Opec-Mitglieder, ihre Produktion schnell auszuweiten. Venezuelas Krise, die bevorstehenden Iran-Sanktionen sowie Produktionsausfälle in Angola und wieder einmal in Libyen haben diese beiden Elemente zuletzt merklich belastet. Hinzu kommt eine stark gestiegene Rohstoffnachfrage.

Und zusätzlicher Druck aus den USA. Zum zweiten Mal seit Ende April attackierte US-Präsident Donald Trump die Opec-Staaten am vergangenen Mittwoch via Twitter. "Die Ölpreise sind zu hoch", schrieb er, "die Opec ist da wieder dran. Nicht gut!" Zur Halbzeit seiner Präsidentschaft stehen im November Kongresswahlen an, hohe Öl- und Benzinpreise kann Trump nicht gebrauchen. Seit Monaten macht er sich in Saudi-Arabien für eine höhere Ölförderung stark. Dass die Vereinigten Staaten diesmal überhaupt solchen Einfluss haben, liegt an der engen Sicherheitsbeziehung mit dem Königreich, inklusive Hunderte Milliarden Dollar schwerer Rüstungsgeschäfte. Zudem sind die USA trotz ihrer gewaltig gestiegenen Schieferöl-Produktion noch immer einer der größten Abnehmer saudi-arabischen Öls.

Am Wochenende sendeten Russland und Saudi-Arabien bereits konkrete Signale an den Markt. Der russische Energieminister Alexander Nowak reiste extra zu einem außerplanmäßigen Besuch nach Riad. Erstens sei man dazu bereit, die Fördermengen kurzfristig um 1,5 Millionen Barrel am Tag auszuweiten, sagte Nowak. Zweitens, so zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass den Minister, wollten Russland und Saudi-Arabien ihre Kooperation auf unbestimmte Zeit fortsetzen. Zuvor hatten beide Seiten ein Kommuniqué veröffentlicht, wonach man nötigenfalls "graduell" mehr produzieren und den Markt mit einem "verlässlichen und ausreichenden Ölangebot" stützen werde.

Die Gefahr eines neuen Ölpreisschocks ist wieder deutlich gestiegen

Dabei wird es kaum möglich sein, sämtliche Interessen auszugleichen und den ohnehin schon manipulierten Ölpreis auf einem erträglichen Level zu halten. Zwar sollen die Preise im Interesse aller Beteiligten nicht zu stark steigen - aber auch nicht wieder zu deutlich fallen. Welche Preisspanne passt, kommt auf die Perspektive an. Bin Salman hat mit einem umfassenden Reformprogramm begonnen, um die Wirtschaft Saudi-Arabiens weniger abhängig von den Öleinnahmen zu machen. Genau dafür aber braucht er Petrodollar, und der geplante Teil-Börsengang des Ölkonzerns Saudi Aramco wird nur ein Erfolg, wenn Öl nicht zu wenig kostet. Russland braucht stabile Preise, damit der Kurs des Rubel stabil bleibt. Donald Trump will besänftigt werden. Venezuela, Iran und der Irak, die gemeinsam etwa die Hälfte der Opec-Reserven kontrollieren, haben kein Interesse an einem Ende der Förderkürzungen: Venezuelas Regime braucht jeden Cent, Iran will vor den Sanktionen maximale Mengen exportieren, auch der Irak hat so gut wie keine anderen Einnahmequellen.

Der "Wiener Gruppe", wie die Zweckgemeinschaft aus Opec- und Nicht-Opec-Staaten seit vergangenem Jahr genannt wird, steht auf ihrem Treffen am Freitag also Streit bevor. Auch wenn sie die entstandenen Lücken im Ölangebot schließen sollte, steht fest: Die Gefahr eines neuen Ölpreisschocks durch überraschende Produktionsausfälle ist deutlich gestiegen.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: