Revision im Mannesmann-Prozess:Der Verfahrenspurist

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Richter Klaus Tolksdorf hat keine Scheu vor unpopulären Entscheidungen - im Mannesmann-Verfahren wird er das Urteil verkünden.

Helmut Kerscher

Wenn Richter Klaus Tolksdorf am Mittwochmorgen mit der Verkündung des Mannesmann-Urteils beginnt, wird er es wohl wie im Fall des Marokkaners Abdelghani Mzoudi halten.

Beim Freispruch des Islamisten im Juni las er erst den "Tenor" mit dem nackten Ergebnis vor, sprach dann wenige Sätze der Begründung - und legte sogleich eine Arbeitspause ein, für die um Sekundenvorteile kämpfenden Journalisten von den Nachrichtenagenturen und Sendern.

Tolksdorf fuhr mit dieser Methode gut, nachdem ihn das hektische Gerenne im Jahr zuvor beim spektakulären Urteil zu Gunsten des Terrorverdächtigen Mounir el-Motassadeq sichtlich irritiert hatte. Der selbst eher bedächtige, die Öffentlichkeit nicht eben suchende Top-Jurist hatte daraus seine Lektion gelernt.

Und noch etwas lernte der heute 57 Jahre alte Tolksdorf, seit Herbst 2001 Vorsitzender des auch für Staatsschutzsachen zuständigen 3. Strafsenats, aus den beiden Terror-Prozessen. Es fördert die Akzeptanz eines unter schärfster Beobachtung stehenden Urteils, wenn ein Gericht die juristische Begründung mit gut verständlichen Vor- und Nachworten erläutert.

Dabei scheute der meist mit leiser Stimme redende Richter auch den hohen, fast schon pathetischen Ton nicht, als er die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien auch im Kampf gegen den Terrorismus beschwor. Und er erklärte im Fall Mzoudi, dass sich das Gericht "nach intensiver Auseinandersetzung mit den beachtlichen Argumenten" und nach "sorgfältiger Abwägung" nicht zu einer Aufhebung des Freispruchs habe "durchringen können".

Unabhängig und kompetent

Ein unabhängiges Gericht müsse "mit der erforderlichen Neutralität und Gelassenheit" entscheiden, mit einer größeren Distanz zu den Ermittlungen als die Strafverfolger. Das ging vornehm, aber bestimmt in die Richtung des Anklägers Gerhard Altvater und von Generalbundesanwalt Kay Nehm, die Tolksdorf beide aus gemeinsamer Arbeit kennt und schätzt.

Dass er für seine Unabhängigkeit und für seine Kompetenz bekannt ist, zeigt seine Wahl durch die UN-Generalversammlung im August zu einer Art Ergänzungsrichter am Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien.

Vielleicht Mitte nächsten Jahres, wird Tolksdorf wohl als Nachfolger des renommierten Strafrechtsprofessors Albin Eser für maximal drei Jahre nach Den Haag gehen. Am BGH wird der Mann, der dem Idealbild eines unabhängigen, skrupulösen Richters ziemlich nahe kommt, eine Lücke hinterlassen - mag seine penible, pragmatischen Kompromissen abgeneigte Haltung auch manchmal unbequem sein.

Tolksdorf hat bewiesen, dass er keine Scheu vor unpopulären Entscheidungen hat - zuletzt mit dem Urteil, die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" sei nach dem Gesetzeswortlaut nicht strafbar. Nicht selten hob sein Senat Urteile auch "nur" wegen Verfahrensfehlern auf.

So geschah es etwa im Fall eines wegen sechsfachen Mordes Verurteilten, der eine Gasexplosion in Düsseldorf verursacht haben soll. Dass dieser Prozess ausgerechnet Tolksdorf, dem Rechtsstaats- und Verfahrenspuristen, eine harsche Rüge des Verfassungsgerichts einbrachte, weil er angeblich zu einer überlangen Untersuchungshaft beigetragen hatte, wird von Kollegen wahlweise als Witz oder Affront gewertet.

Der als Vorsitzender souverän agierende Tolksdorf ist ein Kind des Ruhrgebiets - mit der dazu gehörenden Liebe zum Fußball. Noch heute spielt der in Gelsenkirchen geborene Richter in einer "Altherren-Mannschaft" des BGH.

Sein Vater wurde später Vizepräsident des Bundeskriminalamts, weshalb der Sohn sein Abitur in Wiesbaden machte. Danach ging er auf die Polizeischule Münster, begann aber schon als Wachtmeister im Streifendienst mit dem Jura-Studium.

Tolksdorf kam zu dem pointiert liberalen Strafrechtsprofessor Gerald Grünwald und wurde nach Lehrtätigkeit und Promotion im Jahr 1999 Honorarprofessor an der Universität Münster.

© SZ vom 20.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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