Ressourcen:Der Öl-Baron von Edinburgh

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Der schottische Unternehmer Bill Gammel bohrte lange ohne großen Erfolg, jetzt entdeckte er in Indien ein großes Feld - zum Ärger der Multis in der Branche.

Von Gerd Zitzelsberger

Edinburgh - Es ist ganz einfach, Bill Gammel zu beleidigen. Man muss ihm nur die Frage stellen, ob er ein Glückspilz sei. Schon verschwindet für ein paar Momente das Verschmitzte aus seinen Augen, und er muss schlucken, bevor er antwortet: "Wir kommen doch nicht aus dem Nichts. Wir sind seit Jahren in der Branche", sagt der hochgewachsene Schotte mit den rotblonden Haaren.

In der kargen indischen Provinz Rajasthan wurde Öl gefunden. (Foto: Foto: AP)

Für Außenstehende sieht es in der Tat so aus, als ob der schottische Unternehmer der Glückspilz des vergangenen Jahres ist. Denn Gammel ist in den letzten Monaten gewissermaßen zum Scheich avanciert.

Europas J.R. Ewing

Manche titulieren ihn in Erinnerung an die TV-Seifenoper "Dallas" gar den J.R. Ewing Europas. Richtig an dem Vergleich ist, dass der asketisch schlanke Mr. Gammel zu Öl gekommen ist.

Der 52-Jährige, der im dunklen Anzug gar nicht nach Schatzsucher und Abenteurer aussieht, hat Erdöl in solchen Mengen gefunden, dass die Manager bei den Branchen-Riesen Exxon, BP und speziell bei Shell vor Neid erblassen.

Die anderen setzen auf Afrika, Sibirien oder Russlands fernen Osten

15 mal hatte Gammels Unternehmen, die Cairn Energy, zuvor in der indischen Provinz Rajasthan, nahe der Grenze zu Pakistan, vergeblich gebohrt. Der Multi Shell, anfangs Kooperationspartner bei dem Feld, war bereits ausgestiegen und hatte seine Förderrechte an Cairn verkauft.

Die Öl-Konzerne setzen auf Afrika, Sibirien oder Russlands fernen Osten; vom indischen Subkontinent dagegen halten sie allesamt wenig. 80 Millionen Euro, ein Fünftel des damaligen Unternehmenswertes, hatte Gammel bis Jahresanfang 2004 schon im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt.

Doch die 16. Bohrung stieß auf Öl: "Morgens um fünf kam der Anruf", erzählt Gammel. Inzwischen schätzen Fachleute, dass das Feld 160 Milliarden Liter Öl enthalten könnte, von denen 16 bis 50 Milliarden Liter mit vertretbarem Aufwand an die Oberfläche zu holen seien.

Es wäre ein gigantischer Wert, und entsprechend schoss der Aktienkurs von Cairn Energy in die Höhe. Inzwischen sehen selbst die Spekulanten den Bohr-Erfolg wieder nüchterner.

Es gibt Streit um Förderabgaben an den Staat - überall kleben am Öl nicht nur geologische, sondern ebenso politische Risiken. Trotzdem ist die kleine Cairn mit ihren 600 Mitarbeitern heute gemessen am Börsenwert das fünfgrößte Unternehmen Schottlands.

Vitrinen mit Gesteinsproben

Nach dem Hauptquartier eines internationalen Öl-Konzerns sieht es hier, rund um Gammels Büro in Schottlands Hauptstadt Edinburgh, aber nicht aus: Wer die Adresse nicht weiß, geht an dem Bürohaus in der Lothian Road achtlos vorbei.

Die Cairn Energy belegt dort lediglich die vierte Etage. Dass es sich nicht einfach um eine der unzähligen wohlsituierten Anwalts- oder Beratungs-Kanzleien handelt, lässt nur eine kleine Granitplatte erahnen: Sie erinnert daran, dass zur Büroeinweihung vor sieben Jahren der britische Regierungschef Tony Blair und der pakistanische Premierminister gekommen waren.

Und noch einen Unterschied zu den üblichen Büros gibt es: Überall in den Wänden sind Glasvitrinen mit Gesteinsproben, Quarzen und Kristallen eingelassen. Hausherr Gammel ist zwar Kaufmann der Ausbildung nach, aber sichtlich Geologe mit dem Herzen.

Lange Jahre hat Bill Gammel dies ebenso wenig genützt wie prominente Freunde in der Politik: Zusammen mit Blair ging Gammel auf eine Elite-Schule in Edinburgh. US-Präsident Bush kennt der Schotte auch schon seit früher Jugend.

Denn Bill Gammels Vater, ein Fondsmanager, hatte der Familie Bush in den fünfziger Jahren geholfen, ein riskantes Öl-Projekt zu finanzieren, und dabei freundeten sich die Familien an.

Vom Rugby-Spieler zum Versicherungsmakler

In Sachen Öl ist Gammel ein Spätberufener: Erst machte er Karriere als Rugby-Spieler, dann sattelte er zum Versicherungsmakler um.

Doch die Verbindungen der Familie zur Öl-Branche rissen nie ab, und 1980 gründete der Schotte dann Cairn, deren Vorstandsvorsitzender er heute noch ist.

Zunächst investierte die Firma in Öl-Projekte von anderen Unternehmen. Später kam mit den Anfangserfolgen der Appetit auf mehr Risiko. Gammel ließ selbst bohren. Das Geld besorgte er sich 1989 durch den Gang an die Börse, bei dem sein eigener Besitz an Cairn auf einen kleinen Bruchteil dahinschmolz.

Bis zum vergangenen Jahr blieb Cairn eines der diversen namenlosen Unternehmen, die in den Nischen nach Öl bohren, die ihnen die großen Öl-Multis lassen.

Denn Riesen wie Exxon oder Total suchen nach großen Feldern. Die kleinen Felder, die oft schon zwei Jahre nach Förderbeginn wieder erschöpft sind, bringt ihnen nicht genug Profit.

Mit ihrer Nischen-Strategie brachte Cairn es in den vergangenen Jahren auf eine Förderung in der Größenordnung von vier Millionen Liter Öl pro Tag.

Die Gas-Produktion ist dabei eingerechnet. Das klingt ganz gut, entspricht aber gerade sechs Promille dessen, was Branchenführer Exxon zu Tage fördert.

Gelegentlich - etwa in den USA - hatte Gammel Erfolg, gelegentlich Pech: Die Bohrtürme in der Nordsee musste Cairn zu einem Spottpreis wieder verscherbeln.

Unter dem Strich blieb meist ein Gewinn, aber er schwankte stark. Eine Pechsträhne von ein bis zwei Jahren hätte gereicht, um Cairn vom Markt zu blasen.

Zwei Erfahrungen hat Gammel aus dieser Zeit mitgenommen: "Man muss die Risiken immer doppelt so hoch ansetzen, wie von den Fachleuten geschätzt. Und beim Fördervolumen muss man die Prognosen halbieren."

Die Einsicht hat ihn nicht abgehalten, mittlerweile die Förderrechte für riesige Landstriche in Indien, Nepal und Bangladesh hinzu zu kaufen. In ein paar Jahren wird sich zeigen, ob Bill Gammel doch nur einfach ein Glückspilz ist oder mehr.

Riecher für Menschen

Seine wirkliche Leistung der vergangenen Jahre, so beschreibt Gammel es heute, war nicht die Nase fürs Öl, sondern der Riecher für Menschen: "Wir sind heute ein Super-Team; meine Leistung ist es, dieses Team zusammenzuhalten. Ich kann den Ball schon ins Tor schießen - aber nur, wenn ich die Vorlage von meinen Leuten bekomme."

Natürlich mag Gammel nichts dazu sagen, warum die Multis beim Öl-Suchen weniger Erfolg haben als die kleine Cairn. Aber eines sagt er doch noch: "Bei uns wird jeder ernst genommen."

Dann schluckt er den letzten Happen seines Mittags-Brötchens hinunter und geht zurück ins Büro nebenan. Dort und nicht zwischen Kamelen und Bohrtürmen verbringt er den größten Teil seiner Arbeit.

Im Polohemd und mit hochgeschobener Hose agiert der Manager nur für das Firmen-Video. Die Abenteuer spielen sich bei ihm nicht im fernen Indien sondern im Kopf ab.

© SZ vom 29.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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