Report:Bloß nicht zickig wirken

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Managerinnen balancieren auf dem sehr schmalen Grat, der Frauen bleibt, um sich Respekt zu verschaffen: Ahnung haben, charmant sein - und trotzdem ernst genommen werden.

Von Varinia Bernau, Bonn/München

Tim Höttges mag die griechischen Philosophen. Der Konzernchef der Deutschen Telekom mag die Art, wie die Frau in seinem Vorstand ihre Gedanken sortiert. Und daraus Neues schöpft. Das Prinzip von These und Antithese, aus der schließlich die Synthese entsteht. Und Claudia Nemat, so hat Tim Höttges es einmal in großer Runde gesagt, sei ja gewissermaßen die Antithese zu ihm.

Man kann das als Anerkennung verstehen. Oder als einen Spruch, der Männern zwar leicht über die Lippen geht, viele Frauen aber verletzt.

Dass Claudia Nemat den darin liegenden Respekt in Erinnerung behalten hat und über den Rest lachen kann, erklärt, warum die 47-Jährige eine der wenigen Frauen im Vorstand eines Dax-Konzerns ist. Und man muss wohl sagen: noch immer. Im Sommer 2011 holte sie der damalige Konzernchef René Obermann in den Vorstand der Deutschen Telekom. Es sollte ein Signal sein. Der Konzern, der jährlich 69,2 Milliarden Euro umsetzt und weltweit 225 000 Mitarbeiter beschäftigt, hatte sich als erster in Deutschland freiwillig das Ziel gesteckt, binnen fünf Jahren 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Das war vor sechs Jahren. Es schien, als ob sich nun endlich etwas tut an der von Männern dominierten Spitze der deutschen Wirtschaft. Welch ein Irrtum.

"Wenn du dich entwickeln willst, wähle einen Job, in dem du mit dem Alter besser werden kannst."

Nicht einmal ein Zehntel der Vorstandsmandate in den Dax-Unternehmen sind heute in der Hand von Frauen. Viele, die in den vergangenen fünf Jahren auf einen der prestigeträchtigen Posten gerückt sind, haben den Platz inzwischen wieder geräumt - für einen Mann. Der Vertrag von Claudia Nemat, die bei der Telekom im Sommer 2011 zunächst die Führung über das schwierige Geschäft in Europa und einige Monate später zusätzlich die Führung über das Technik-Ressort übernommen hatte, wurde im vergangenen Dezember um fünf weitere Jahre verlängert.

Warum ist Claudia Nemat gelungen, was vielen anderen Frauen nicht gelang?

Die naheliegende Antwort lautet: Weil sie gut ist. Menschen, die sie aus dem täglichen Umgang kennen, loben ihre Verlässlichkeit, ihre Verbindlichkeit und ihren glasklaren Verstand. Sie habe eine ungeheure Energie. Sie stecke sich Ziele und setze diese dann auch um. Mit Vehemenz, aber nicht verbohrt.

Aber niemand schafft es so weit nach oben, nur weil er gut ist. Erst recht keine Frau. Deshalb liegt die eigentliche Antwort vielleicht weniger in ihrem Können als in ihrem Wesen: Nemat balanciert gekonnt auf dem sehr schmalen Grat, der Frauen bleibt, um sich Respekt zu verschaffen. Sie kann knallhart sein, ohne zickig zu wirken. Sie ist charmant - und wird trotzdem ernst genommen.

Als sie klein war, träumte sie davon, Astronautin zu werden. Ihre Eltern lassen sie träumen. Aber später, als Nemat an eine Karriere als Tänzerin denkt, geht ihr Vater, ein Physiker, mit ihr im Heimatort spazieren. Vor fast jedem Haus erzählt er ihr, was die dort lebenden Menschen einst machen wollten - und was die Wirklichkeit aus ihnen gemacht hat. Am Ende sagt er: "Wenn du dich entwickeln willst, wähle einen Job, in dem du mit dem Alter besser werden kannst."

Also studiert Nemat in Köln Theoretische Physik, geht anschließend zur Unternehmensberatung McKinsey und steigt dort zügig zur Partnerin auf. Sie berät Technologieunternehmen in Afrika und Europa, in Brasilien und den USA.

Claudia Nemat hat einen Lebenslauf, der dem von Rachel Empey ähnelt.

Empey wacht beim Konkurrenten Telefónica Deutschland über die Finanzen. Ebenfalls seit dem Jahr 2011. Und auch sie wird von ihren Kollegen für ihre umgängliche wie unaufgeregte Art und ihre klaren Analysen geschätzt.

Im Oktober 2012 sorgt Empey dafür, dass der Tochtergesellschaft des spanischen Konzerns der Sprung aufs deutsche Börsenparkett gelingt: 1,5 Milliarden Euro spült der in die Kasse. Es ist einer der erfolgreichsten Börsengänge der vergangenen Jahre in Deutschland - nicht zuletzt, weil Empey das Terrain dafür vorbereitet hat. Die Investoren sind angetan von ihrer ruhigen Art. Auch ist sie so anders als der impulsive Vorstandsvorsitzende René Schuster, mit dem sie damals die Roadshow absolviert.

Das Telefónica-Vorstandsmitglied Rachel Empey sagt von sich: "Ich bin nicht nur auf der Welt, um zu arbeiten. Es gehört mehr zum Leben." (Foto: OH)

Auch die Übernahme des Rivalen E-Plus im Sommer 2013 bereitet Empey maßgeblich mit vor. Ein Mobilfunkunternehmen wird damals geformt, das mehr Kunden hat als die beiden anderen großen Anbieter. Es entsteht ein Unternehmen, das inzwischen acht Milliarden Euro Umsatz im Jahr macht und 11 000 Mitarbeiter beschäftigt. Als sich Konzernchef René Schuster wenige Monate nach dem angekündigten Zusammenschluss überraschend zurückzieht, übernimmt Rachel Empey gemeinsam mit dem Strategiechef Markus Haas vorübergehend die Führung.

Empeys Mittel, mit Druck umzugehen, ist die Distanz. Sie versucht, abends eine Runde zu laufen, gesund zu essen und acht Stunden zu schlafen. "Das mag langweilig klingen, aber mir hilft es, ruhig zu bleiben und die richtigen Entscheidungen zu treffen." Wenn sie merkt, dass etwas aus dem Gleichgewicht gerät, dann ändert sie das. "Da bin ich sehr streng mit mir", sagt Empey. "Ich bin nicht nur auf der Welt um zu arbeiten. Es gehört mehr zum Leben." Und wenn doch etwas schiefläuft, versucht sie, das Herz auf Abstand zu halten und rational auf die Sache zu blicken.

Empey, 39, wirkt zurückhaltender als Nemat. Sie wuchs auf in Cornwall, der sanften Küstenlandschaft im Südwesten Englands. Sie lernte früh, dass die Natur ein guter Ausgleich für anstrengende Arbeit sein kann. Und dass ihre Meinung ernst genommen wird - aber nur, wenn sie gut durchdacht ist.

Jetzt sitzt Rachel Empey in einem der Besprechungsräume des gläsernen Turms am nördlichen Stadtrand von München, in dem sie ihr Büro hat. Über den Alpen, in denen sie inzwischen an vielen Wochenenden ihren Ausgleich sucht, liegt noch die Morgenröte. Ähnlich wie Nemat spricht Empey, wenn man sie fragt, wer sie geprägt habe, viel von ihrem Vater: Er betreute bei einer Bank einige Kunden, deren Geschäfte nicht so gut liefen. Als seine Tochter noch in der Grundschule ist, redet er mit ihr bereits darüber, was ein Unternehmen erfolgreich macht. Kürzlich ist Empey im Kreis ihrer engsten Mitarbeiter bei einer besonderen Veranstaltung. Sie sollen malen, wie sie sich als Kind ihr Leben als Erwachsener vorgestellt hatten. Viele malen Astronauten und Lokomotivführer. Empey malt einen Taschenrechner. "Ich wollte ein Unternehmen führen. Das war wirklich meine Idee von der Welt."

Sie ist gerade erst 21 Jahre alt, als sie das Mathematikstudium in Oxford abgeschlossen hatte und eine Ausbildung zur Wirtschaftsprüferin bei Ernst & Young anschloss. Viele in diesem Alter deprimiert es, mit der Arbeit zu beginnen, mit dem, was man den Ernst des Lebens nennt. Empey aber blüht auf. Das Studium war ihr zu akademisch. Nun merkt sie, dass sie sich dem wahren Leben nähert. "Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Auf einmal fand ich alles, was zu mir passte: den analytischen Umgang mit Zahlen, dazu die enge Zusammenarbeit mit Menschen."

Schon die Art, wie sie zu ihrem ersten Job kam, sagt viel darüber aus, wie sie die Dinge angeht: Sie hat sich die Liste der 40 erfolgreichsten Unternehmen in Großbritannien vorgenommen - und sich dann die Lebensläufe der jeweiligen Chefs angesehen. Die meisten waren zuvor Unternehmensberater, also ging auch Empey zu einer Unternehmensberatung. "Ich dachte damals noch nicht daran, Finanzvorstand zu werden. Aber es war für mich der beste Weg, mir solch eine Karriere zu ermöglichen: eine einflussreiche Position in einem Unternehmen, in der ich etwas bewegen kann; das war es, was ich wollte."

Manche meinen, dass junge Frauen den ersten Fehler bereits bei ihrer Ausbildung machen.

Weil sie sich für Berufe interessieren, in denen die Aussichten auf eine gut bezahlte Karriere eher schlecht sind. Auch die Informatik überlassen sie gerne den Männern und damit den Zugang zu den Schalthebeln einer Wirtschaft, die immer stärker von Algorithmen angetrieben wird. In der Studienzeit von Empey waren unter den Mathematikstudenten in Oxford gerade einmal ein Zehntel Frauen. Auch Nemat lernte am Institut für Theoretische Physik allein unter Männern.

Aber beide Frauen, Claudia Nemat und Rachel Empey, glauben, dass sich dies langsam ändert. Als eine andere Mutter ihr im Kindergarten einmal erzählt, ihre Tochter interessiere sich nicht für Physik, da lädt Claudia Nemat die Kleine zu sich nach Hause ein - und macht am Wochenende Experimente mit Magneten und Eisenspänen. "Wenn sie nicht an ihrer Neugierde gehindert werden, dann steht Frauen nichts im Wege." Um eine Ahnung davon zu bekommen, was möglich wäre, wenn Mädchen zu physikalischen Experimenten ermuntert werden, genüge es, in die ehemaligen Länder des Ostblocks zu sehen. Nemat kennt viele dieser Länder, weil die Telekom dort nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zukaufte: In Polen und der Tschechischen Republik, in Kroatien und Rumänien. "Da ist der Anteil der Frauen mit naturwissenschaftlicher Ausbildung und auch der Anteil der Frauen an Führungspositionen sehr viel höher als in Deutschland."

Nemat versucht, die Talente, die im Konzern stecken, zusammenzubringen. Und sie sagt allen Frauen immer wieder, wie wichtig es ist, gut übereinander zu reden. Manchmal sagt sie das sogar, wenn sie nicht ganz davon überzeugt sind. Denn nur wenn die Männer immer wieder von guten Frauen hören, werden sie sich an diese erinnern, wenn der nächste wichtige Posten zu besetzen ist.

Bereits in ihrer Zeit bei McKinsey hat Claudia Nemat die Deutsche Telekom beraten. Mit dem kurz zuvor zum Konzernchef berufenen Obermann erarbeitete sie schon 2007 eine neue Strategie. Er bot ihr damals einen Vorstandsposten an. Sie lehnte ab, weil sie ein Kind erwartete. Nemat glaubt, dass ihre Zeit als Beraterin bei der Telekom eine gute Vorbereitung für ihren jetzigen Posten war. "Man braucht eine gewisse Zeit, bis man die Machtstrukturen kennt, bis man weiß, auf wen man sich verlassen kann. Viele, die von außen gekommen sind, tun sich damit schwer."

Marion Schick, die wenige Monate nach Nemat in den Vorstand der Telekom rückte und dort für das Ressort Personal zuständig war, kam aus einer anderen Welt. Es fehlte ihr nicht an Erfahrung auf führenden Posten. Aber sie hatte diese im wissenschaftlichen Betrieb bekleidet und im politischen Betrieb, zuletzt war sie die Kultusministerin in Baden-Württemberg. Dann holte Obermann sie zur Telekom.

Dass Marion Schick nach zwei Jahren den Vorstand wieder verließ, erklären einige auch damit, dass sie es nicht schaffte, ihr Netzwerk im Konzern zu knüpfen. Offiziell hieß es, sie verlasse das Unternehmen aus gesundheitlichen Gründen.

"Wenn Andersdenkende dazukommen, wird das als Störung empfunden. Der Mensch fühlt sich in homogenen Truppen kuschelig."

Rachel Empey ging nach drei Jahren bei der Beratungsfirma Ernst & Young zum Netzausrüster Lucent Technology, dann zu einem britischen Mobilfunkanbieter, der im Jahr 2006 vom spanischen Telefónica-Konzern gekauft wurde. "Ich mag eine Umgebung, die sich schnell verändert. Keine, in der das, was du in diesem Jahr machst, das ist, was du schon im vergangenen Jahr gemacht hast", begründet sie, warum sie die Welt der Telekommunikation anzog.

"Aber es ist auch eine Branche, die dank ihrer hohen Geschwindigkeit nicht sehr hierarchisch ist, es gar nicht sein kann. Keine, in der du mit den Dienstjahren Punkte für eine Führungsaufgabe sammelst."

Die sich rasant entwickelnde Technologie hat den Takt in der Welt der Telekommunikation in den vergangenen 30 Jahren enorm erhöht. Das hat es für die Frauen einfacher gemacht. "Unsere Branche hat sich eher als andere mit der Digitalisierung befasst. Die Internetkonzerne haben unser etabliertes Geschäft früher angegriffen als das der Automobilindustrie und der Gesundheitsbranche", sagt Nemat. "Das führt dazu, dass wir uns stärker Gedanken machen über die Arbeits- und Managementstrukturen und uns geöffnet haben - nicht nur für Frauen, sondern auch für Menschen mit digitaler Kompetenz, mehr Internationalität. Wenn Unternehmen sich nicht öffnen, bekommen sie ein sehr großes Problem."

Bei Telefónica Deutschland arbeiten Menschen aus mehr als 70 verschiedenen Ländern. Wenn man zusätzlich zum Vorstand betrachtet, wie viele Frauen im Aufsichtsrat vertreten sind, belegt das Unternehmen unter den börsennotierten in Deutschland einen Spitzenplatz. "Je breiter die Fähigkeiten, das Wissen und die kreative Kraft, desto bessere Entscheidungen trifft das Team. Es löst alle Aufgaben dann besser und schneller", sagt Empey.

Doch so logisch das in der Theorie auch klingt. Die Praxis sieht anders aus. Noch immer. René Obermann hat selbst einmal gesagt, dass er erschrocken war, wie viel Häme ihm entgegenschlug, nachdem er sich für mehr Frauen an der Spitze der deutschen Wirtschaft starkgemacht hatte. "Das Problem ist in vielen Unternehmen nicht mehr so der Mangel an gutem Willen, sondern eine gewisse Ratlosigkeit, wie man das dann umsetzt", sagt Nemat.

Und das habe sehr viel mit unbewussten Vorurteilen zu tun. Ein Team aus, sagen wir: 45 Jahre alten deutschen Ingenieuren und Betriebswirten, seit 20 Jahren im Unternehmen, solch ein Team denkt ähnlich. "Wenn Andersdenkende dazukommen, wird das als Störung empfunden", sagt Nemat. Der Mensch fühlt sich in homogenen Truppen kuschelig", sagt Nemat. Deshalb sei es so wichtig, dass es eine kritische Masse an Andersdenkenden gibt. Im Schnitt 30 Prozent, sagen Studien. Nemat: "Meine praktische Erfahrung: Das ist genauso."

An der Spitze der Deutschen Telekom aber gibt es diese kritische Masse nicht. Im siebenköpfigen Vorstand ist Nemat die einzige Frau. Man könnte auch sagen: Sie ist diejenige, die in der homogenen Truppe dafür sorgt, dass es eben nicht kuschelig ist. Sie ist die Antithese. Wie also fühlt sich das an? "Ich nehme es manchmal in Kauf, dass ich nerven kann", sagt sie. Dann setzt sie an zu diesem für sie so typischen Lachen, das ganz tief aus ihrem Inneren kommt. Für Frauen wie Männer in hohen Positionen sei Humor wichtig. "Manche Dinge steckt man besser weg, wenn man denen einen gewissen realsatirischen Charakter zuordnet." Sie sei dabei gewiss kein Naturtalent gewesen, räumt sie ein.

Ihr Vater hat Claudia Nemat auch dies beigebracht: Wenn's hart auf hart kommt, dann musst du unbedingt aus dem System springen. "Was er meinte: Du musst dann neben dich treten und dich in der Situation betrachten. Dann kannst du auch über dich selbst lachen." Das habe sie im Laufe ihres Berufslebens trainiert. "Je älter ich wurde, desto weiser erschien mir das."

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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