Reisen:Bitte umsteigen

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Am Frankfurter Flughafen treffen Fluglinien, Zuglinien und Buslinien aufeinander. Welches Angebot das beste ist, finden Reisende oft nur mit viel Aufwand heraus. (Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Portale empfehlen die besten Verkehrsmittel - ob Bus, Bahn oder Rad. Konzerne wie Daimler und die Bahn haben viel zu verlieren.

Von Markus Balser und Benedikt Müller, Berlin/München

Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann gilt nicht gerade als Freund der Autobranche. Im feinstaubbelasteten Stuttgart würde der Politiker den Autoverkehr am liebsten einschränken. Dennoch ließ sich Hermann diesen Termin bei Daimler Ende 2015 nicht entgehen: Die Konzerntochter Moovel, ein Onlinedienst für die beste Verkehrsverbindung zwischen zwei Orten, kündigte vor dem Jahreswechsel an, künftig auch Fahrkarten für den Stuttgarter Nahverkehr zu verkaufen. Werbetermin? Ach was! Es gehe darum, "einer neuen Sichtweise zur Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen", erklärte Hermann. Mobilitätsportale wie Moovel, Qixxit, From A to B oder Go Euro sind nicht nur in den Augen von Politikern Vorboten eines neuen digitalen Verkehrszeitalters. Experten sehen in ihnen auch ein florierendes Geschäftsmodell, das die Gewohnheiten der Kunden verändern dürfte. Sie könnten dazu beitragen, Verkehrsmittel besser zu vernetzen und so Staus künftig besser zu bekämpfen.

Der Vergleich in Echtzeit ist Ausdruck eines neuen Verständnisses von Mobilität

Die Dienstleister empfehlen ihren Kunden per App oder im Internet das beste Reisemittel, um von Tür zu Tür zu kommen - egal ob Teile der Strecke per Flugzeug, Bahn, Mitfahrgelegenheit, dem eigenen Auto oder einem Fahrrad zurückgelegt werden.

Die Anbieter füllen damit eine Lücke, die Reiseportale und einzelne Firmen wie Bahn oder Fluggesellschaften ihnen ließen: eine Kombination der Verkehrsmittel. Nutzer können Start, Ziel und Uhrzeit eingeben, das Programm liefert in der Regel mehrere Verbindungsalternativen - mit dem Flugzeug, ICE, Auto oder als Kombination, oft schon inklusive Taxi oder der Fahrt zum Bahnhof. Meist wird gleich der gesamte Reisepreis angezeigt. Zum Teil lassen sich die Reisen auch gleich aus einer Hand buchen - mit einer Rechnung.

Dass solche Angebote nicht nur als Start-ups entstehen, sondern auch unter dem Dach etablierter Autohersteller oder Verkehrsanbieter wie der Bahn, macht klar, welchen gravierenden Wandel die Konzerne selbst erwarten. Bei der Bahn etwa kursiert die Angst, von IT-Konzernen wie Google oder App-Anbietern zum Dienstleister degradiert zu werden, dessen Produkte vor allem auf anderen Plattformen verkauft werden. Deshalb nehmen Unternehmen wie die Bahn oder Daimler die Sache selbst in die Hand, auch wenn sie ihren Kunden mal die Konkurrenz empfehlen müssen.

Verschiedene Verkehrsmittel in Echtzeit miteinander zu vergleichen, sei Teil eines neuen Verständnisses von Mobilität, sagt Andreas Knie vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin. "Für die Generation, die zurzeit in den großen Städten aufwächst, ist es gar nicht mehr notwendig, ein eigenes Auto zu besitzen. Für sie ist viel wichtiger, welches Verkehrsmittel hier und jetzt verfügbar ist", sagt der Mobilitätsforscher. Wenn sich die Bahn verspätet oder der Bus ausfällt, weicht der Reisende im digitalen Zeitalter eben auf das Leihfahrrad oder den Carsharing-Wagen aus. Wo das nächste Fahrzeug verfügbar ist, verrät bereits heute die entsprechende Handy-App. Der Forscher hat festgestellt, dass die Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren "multimodaler" geworden sind: Sie nutzen manchmal das eigene Auto, manchmal Bahn oder Bus, manchmal das Fahrrad. Es sei dagegen noch nicht gängig, "intermodal" unterwegs zu sein, etwa mit dem Leihfahrrad zum Bahnhof zu fahren und dort umzusteigen. "Mehrere Verkehrsmittel auf einer Wegstrecke zu kombinieren, ist bislang sehr aufwendig", sagt Knie. "Oft ist unklar, wie umständlich der Umstieg ist oder welche Tickets nötig sind."

Der Forscher glaubt, dass sich jene Mobilitätsportale etablieren werden, die alle Möglichkeiten in ein gemeinsames Angebot integrieren. "In Zukunft werden sich Smartphone-Nutzer auf Plattformen nicht nur über die Verkehrsmittel informieren", sagt Knie, "sondern sie auch buchen - und das Ticket auf das Smartphone laden können." Pendler oder Ausflugsgruppen müssten dann nicht mehr mühsam nach dem günstigsten Tarif suchen. Voraussetzung sei allerdings, dass sich auch die regional organisierten Verkehrsverbünde für den transparenten Wettbewerb öffnen. "Wenn der öffentliche Verkehr in der digitalen Welt nicht mitspielen würde, könnte er langfristig seinen Betrieb einstellen", sagt Mobilitätsexperte Knie.

Die Plattformen sind darauf angewiesen, dass Bahn- und Busfirmen dort auftauchen wollen

Veit Blumschein versucht, aus dem eigenen Ärger ein Geschäft zu machen. Immer, wenn er vom Sitz seiner Firma in Aachen nach Berlin fährt, ist er genervt vom Papierkram: Bahn-Ticket, Flug-Ticket, Taxi-Rechnung. Am liebsten würde der Unternehmer die ganze Strecke bei einem Anbieter buchen. Mit der Fahrkarte auf dem Handy würde er in den Zug zum Flughafen einsteigen und weiter nach Berlin fliegen. Dort würde der Uber-Fahrer am Flughafen warten, der ihn zum Ziel bringt. Am Ende bekäme der Reisende eine einzige Rechnung für den gesamten Weg. Der Betrag würde automatisch von seiner Kreditkarte abgebucht. Das ist Blumscheins Vision. Ende des Jahres könnten erste Portale entsprechende Prototypen fertigstellen, schätzt er. In drei Jahren könnte diese Art der Buchung ganz normal sein.

Blumscheins Unternehmen From A to B tüftelt selbst daran. Auf dessen Webseite oder mit dessen App können Reisende Bahn, Fernbus und Flugzeug sowie private Mitfahrgelegenheiten miteinander vergleichen. Denn je mehr Angebote es gibt, desto schwieriger wird es für Kunden, den besten Kompromiss aus Reisezeit und Reisepreis zu finden. "Viele Reisende besuchen mehrere Webseiten, bevor sie sich für ein Verkehrsmittel entscheiden", sagt Blumschein. "Wir versuchen, unseren Nutzern diesen Suchaufwand abzunehmen." From A to B will vor allem Wochenendpendler und Reisende ohne eigenes Auto ansprechen. Das Portal setzt aber zunehmend auch auf kleine Unternehmen ohne eigene Agentur für die Buchung der Dienstreisen.

Jeden Monat besuchen gut 2,5 Millionen Menschen die Plattform From A to B. Doch mit dem reinen Vergleich von Verkehrsmitteln lassen sich keine großen Gewinne erzielen. Viele Fluggesellschaften etwa zahlen keine Provision mehr, wenn ein Reisender über ein Vergleichsportal den Weg zu der Airline findet. "Wir entwickeln From A to B zurzeit von einer reinen Suchmaschine weiter zu einem Such- und Buchungsportal", kündigt Blumschein an. Fahrten mit der Deutschen Bahn können Nutzer bereits direkt bei From A to B buchen. Viele andere Anbieter erlauben das noch nicht.

Generell ist From A to B darauf angewiesen, dass Bahn- und Busunternehmen auf solchen Plattformen auftauchen wollen - und vielleicht sogar dafür zahlen. "Wie schnell wir auch in anderen Ländern wachsen können, hängt davon ab, wie kooperationsbereit die jeweiligen Verkehrsanbieter sind", sagt Blumschein, "und wie kompatibel die technischen Systeme." In jedem Land, in dem From A to B an den Start gehen will, muss die Plattform einzelne Bahnhöfe, Bushaltestellen und Flughäfen erfassen - und wie weit sie auseinanderliegen. Bislang ist das Portal nur in Deutschland und Italien am Ziel angekommen. Im Rest der EU läuft das aufwendige Basteln am digitalen Verkehrsnetz noch.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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