Regenerative Energien:Das Ökozentrum auf Hokkaido

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Nach dem Ende der Fischerei entwickelt sich der kleine Ort Wakkanai im Norden Japans zum Zentrum der Wind- und Solarenergie.

Christoph Neidhart

Windräder im Nebel, so weit das Auge reicht. Auf Kap Soya, der kargen Landzunge, die weit ins ochotische Meer ragt, rauschen 57 Windturbinen, jede mit einer Leistung von einem Megawatt (MW). Sie versorgen das Städtchen Wakkanai auf Japans Nordinsel Hokkaido mit 70 Prozent seines Stroms-Bedarfs.

Die Zukunft von Hokkaido: An die Stelle der Fischerei ist die Energiegewinnung getreten. (Foto: Foto: dpa)

Bis in die 60er-Jahre war das nördlichste Städtchen Japans ein betriebsamer Fischereihafen, hunderte Kutter lagen in vier Reihen an der Mole. Vorige Woche lagen kaum mehr als vier Fischerboote im Hafen. Der Hokkaido-Hering ist verschwunden, und weil Russland den legalen Export gewisser Krabben gestoppt hat, leidet auch die Verarbeitungsindustrie. Es gab Konkurse, gibt immer weniger Arbeit, viele Junge wandern ab - wie überall in Hokkaido.

Malerisches Ende der Welt

Auch aus dem Traum, Russlands Öffnung mache Wakkanai zum Tor Japans nach Sachalin, der einstigen Gefangeneninsel mit den großen Kohle- und Gasvorräten, ist bislang nichts geworden. Selbst mit dem Tourismus hat Wakkanai wenig Glück. Die Saison ist kurz, selbst im Mai liegt in manchen Gräben noch Schnee. Die für Touristen gebaute Markthalle am Hafen musste schon vor der Eröffnung mit Zuschüssen gerettet werden.

Nur Wind gibt es reichlich an diesem malerischen Ende der Welt, vor allem auf Kap Soya, und es gibt viel Platz für Windturbinen. Zuweilen strolchen Bären unter den Rotoren mit 61 Meter Spanne herum. Zum Schutz der nordischen Vegetation hat Eurus, die Betreiberfirma, alle Starkstromleitungen in den Boden verlegt. Eurus gehört zu 40 Prozent zur Toyota-Gruppe, zu 60 Prozent dem Stromkonzern Tepco. Vor dem G8-Gipfel auf Hokkaido im Juli, der zu einem Umweltgipfel werden soll, zeigen die japanischen Organisatoren gerne Projekte wie die Windfarm auf Kap Soya.

Günstige Temperaturen

Der Norden Hokkaidos bietet sich für Windkraft geradezu an. Dagegen scheint das Mega-Solar-Projekt an der Straße zum Flughafen hier in diesem Nebel fehl am Platze zu sein. Allerdings gehörten japanische Firmen zu den Pionieren der Sonnenenergie. Sanyo produzierte schon 1975 Solarzellen für Elektronenrechner und Armbanduhren; derzeit erreichen Zellen von Sanyo den höchsten Wirkungsgrad.

Mit der künftigen Dünnschicht-Technologie sollen die Kosten von Sonnenstrom auf jene anderer Stromgewinnung gesenkt werden können. Oder darunter. Für Dünnschicht-Solarzellen braucht es zehn Mal weniger Silicon als für herkömmliche. Weltmarktführer Sharp, Sanyo und Kyocera kontrollieren 20 Prozent des Weltmarktes, der um jährlich 40 bis 50 Prozent wächst.

Vor zehn Jahren beherrschte Japan allerdings fast die Hälfte des Weltmarktes; deutsche, chinesische und amerikanische Hersteller holen auf. Auch beim Einsatz von Solarstrom hat Japan seinen Vorsprung eingebüßt. Nicht zuletzt, weil die japanische Regierung 2005 die Einspeisevergütung abgeschafft hat, zu der Hausbesitzer ihren Stromüberschuss ans Netz verkaufen können.

Auch für die Forschung

Ohnehin unterstütze die Regierung in Tokio, so Kenichiro Wakisaka, ein Chefstratege in Sanyos Solar-Abteilung, die Energie-Alternativen wenig. Private Unternehmen und lokale Regierungen seien viel eher bereit, auf Solarenergie zu setzen. Da sei auch mit Lobbying nichts zu machen.

In Deutschland beträgt die Einspeisevergütung zur Zeit 38 bis 54 Cent, für Hausbesitzer ein wichtiger Anreiz, eine Solaranlage zu installieren. Auf Frage der sagt Japans Umweltminister Ichiro Kamoshita, die damalige Regierung habe gemeint, die Energie-Alternativen seien nun ohne Unterstützung konkurrenzfähig, aber angesichts des Schwungs, mit dem Premier Yasuo Fukuda Umweltprobleme angehe, könne er sich vorstellen, dass man die Einspeisungsvergütung wieder einführe. Genau genommen ist das keine Subvention, sondern der Preis für abgelieferten Strom.

Das Mega-Solar-Projekt von Wakkanai dient nicht nur der Stromproduktion. Die Anlage wird auch zur Forschung genutzt. Wenn Sonnenenergie im wolkigen, oft regnerischen Wakkanai funktioniert, funktioniert sie überall. Das NEDO (New Energy and Industrial Technology Development Organization), Japans Forschungsinstitut für neue Energien, hat deshalb zehn Solarzell-Typen verschiedener Hersteller installiert, um ihre Leistung unter diesen Wetterbedingungen zu studieren.

Bewohner skeptisch

Günstig wirkt sich einzig die tiefe Temperatur in Wakkanai aus, die den Stromausstoß von Solarzellen steigern. Da man in Wakkanai nicht mit ständigem Sonnenschein rechnen kann, muss Mega-Solar die ständigen Leistungsschwankungen daher ausgleichen. Das geschieht mit einer Natrium-Sulfid-Batterie, die groß ist wie ein Einfamilienhaus. Wakkanai sucht sich als Forschungsstandort für erneuerbare Energien eine neue Nische. Auf den Klippen über dem Städtchen wird mit Brennstoffzellen experimentiert: Mit Wind- oder Sonnenstrom spaltet man Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Letzterer könnte der Treibstoff der Zukunft sein. Toyota betreibt in Tokio bereits eine kleine PKW-Flotte mit Wasserstoff. Die Autos stoßen keine Treibhausgase aus.

Manche Leute in Wakkanai beobachten die Neuausrichtung ihres Städtchens skeptisch. "Wir produzieren diesen ganzen Strom, und was haben wir davon? Wir schicken ihn nach Sapporo", die Hauptstadt von Hokkaido, meint ein jugendlicher Rentner. Er habe schon so viele Projekte scheitern gesehen; erst vor zwei Jahren hat die Ski-Anlage den Betrieb eingestellt. "Und wozu brauchen wir einen neuen Bahnhof." Andererseits generieren die Strom-Anlagen sogar etwas Alternativ-Technologie-Tourismus. Ingenieure kommen nach Wakkanai, um die Zukunft zu besichtigen.

© SZ vom 24./25.5.2008/jkf/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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