Reden wir über Geld:"Die Zocker werden Opfer ihrer beispiellosen Gier"

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Warum die Finanzkrise für den Kunstmarkt eine Bedrohung ist, erklären die Galeristen Bruno Brunnet und Nicole Hackert aus Berlin.

C. Hoffmann und A. Mühlauer

Am Kupfergraben, Ecke Hinter dem Gießhaus: Hier, in Berlins Mitte, schlägt das kulturelle Herz der Republik. Bruno Brunnet, 51, und Nicole Hackert, 40, sind, das merkt man ihnen an, stolz, dass sie es an diesen Ort geschafft haben: Im Bau des britischen Star-Architekten David Chipperfield, gegenüber der Museumsinsel, mit Blick auf Dom und Fernsehturm residiert ihre Galerie "Contemporary Fine Arts". Die Wohnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gleich ums Eck. Seit einem Jahr stellen die beiden Galeristen hier die Werke ihrer Künstler aus. Zeit für ein Gespräch über Geld, Gier und Kunst.

Für die Galeristen Bruno Brunnet und Nicole Hackert sind die fetten Jahre des Kunsthandels vorbei. Auf dem Foto: Besucher einer Ausstellung des russischen Künslers Wassily Kandinsky im Lenbachhaus in München. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Reden wir über Geld. Frau Hackert, Ihr Leben gleicht einer schlechten Vorabendserie - von der Assistentin zur Ehefrau, von der Hausbesetzerin zur Hausbesitzerin, von der Hinterhofgalerie in die erste Liga der Kunsthändler. Wie konnte das passieren?

Nicole Hackert: Ich zog Anfang der neunziger Jahre zum Kunstgeschichts- und Psychologiestudium nach Berlin und lebte in einem besetzten Haus in der Ackerstraße. Dort habe ich gemeinsam mit drei anderen Frauen den "Art Acker" aufgezogen, eine der ersten Off-Galerien in Mitte. Wir veranstalteten Splatterfilm-Festivals und stellten Künstler aus, die noch keine Galerie hatten. So lernte ich meinen Mann kennen. (zeigt auf Brunnet)

Bruno Brunnet: Ich habe 1992 mit kleiner Kohle angefangen, mit einem Finanzierungskredit der Deutschen Bank, der mit Kunst abgesichert war. Ich bekam 20.000 D-Mark und steckte sie in meine erste Galerie, "Brunnet Fine Arts". Sie lag in der Wilmersdorfer Straße unter einer Moschee, über einem alten Plattenladen, gegenüber Woolworth - eigentlich ein unmöglicher Ort für Ausstellungen. Nach einem Jahr musste ich den Kredit innerhalb von vier Wochen zurückbezahlen, weil der Bankvorstand beschlossen hatte, dass Kunstwerke nicht mehr als Kreditsicherung akzeptiert werden.

SZ: Wie lebten Sie ohne Kredit?

Brunnet: Das Geld war stets knapp. Wir haben bis 1997 in einer Ein-Zimmer-Wohnung gewohnt.

Hackert: 1994 gründeten wir gemeinsam die Galerie "Contemporary Fine Arts". Heute wohnen wir mit unseren beiden kleinen Töchtern in einer Zehlendorfer Villa. Das Klischee ist wirklich unerträglich perfekt.

SZ: Ihre Galerie sitzt heute in einem edlem Bau des britischen Star-Architekten David Chipperfield in Berlin-Mitte, gleich gegenüber der Museumsinsel. Wann gelang der Durchbruch?

Hackert: Ab Ende der neunziger Jahre ging es langsam bergauf. Bei der Eröffnung des zweiten "Art Forum" in Berlin 1997 hatten wir zwei großformatige, abstrakte, neue Bilder von Daniel Richter, die kosteten damals 20.000 D-Mark. Auf einmal standen die richtigen Leute davor und wollten kaufen. Da dachte ich: Jetzt geht es endlich los. Aber es ging damals noch nicht darum, das große Geld zu verdienen, sondern einfach mal auf Monate nicht der Miete hinterher rennen zu müssen - und mal durchschlafen zu können.

SZ: Sie haben Stars wie Jonathan Meese, Daniel Richter und Peter Doig unter Vertrag. Wie entdecken Sie Künstler?

Hackert: Meese war ein Tipp von Daniel Richter, ebenso Tal R, mit dem wir erfolgreich zusammenarbeiten. Daniel sagte immer, der Meese sei der Richtige für uns. Irgendwann hat er dann den Kontakt hergestellt, wir haben uns in Hamburg getroffen. Meese kam an mit einem Rucksack und zwei Taschen, die waren voll mit Fotos und Schriften...

SZ: ... in Adidas-Jacke und Cordhose?

Hackert: Er sah genau so aus wie heute - nur schlanker. Meese breitete alles aus, wollte uns noch in sein Atelier schleppen. Doch meinem Mann und mir war sofort klar: Das wird, den nehmen wir.

Lesen Sie im zweiten Teil, wieso der Kunsthandel auf Instinkt basiert und den Künstlern ein Rundum-sorglos-Paket geboten wird.

SZ: Was gab den Ausschlag?

Brunnet: Wenn wir einen Künstler kennenlernen, laden wir ihn gern mit ein paar anderen Leuten zum Essen ein, um zu gucken: Wie benimmt er sich? Was hat er für eine Körpersprache? Was sagt er? Es ist neben der Kunst die Person - meist der erste Eindruck, den wir von ihr haben -, die uns sagen: Mit ihm oder ihr geht es. Das ist reiner Instinkt.

SZ: Es geht im Kunsthandel doch nicht nur um nette Abendessen und Sympathie.

Brunnet: Wenn du mit Kunst Geld verdienen willst, ist das Arbeit, keine Party. Es ist wie mit Aktien. Du musst dich anstrengen und viel Zeit reinstecken.

Hackert: Die Künstler sind unser Kapital. Die müssen sich gut betreut fühlen und wollen sehen, dass sie gut verkauft werden.

SZ: Wie stellen Sie das an?

Hackert: Wir bieten unseren Künstlern ein Rundum-sorglos-Paket. Da wird jedes Werk fotografiert, gerahmt, mit einer Inventarnummer erfasst, lückenlos dokumentiert. Wenn nötig, haben wir unseren Schützlingen sogar ein monatliches Salär gezahlt, damit ablenkende Nebenjobs überflüssig wurden.

Brunnet: Auch als wir noch kaum Geld hatten, haben wir Daniel Richter und Jonathan Meese eine monatliche Unterstützung gezahlt, die dann mit Verkaufserlösen verrechnet wurde.

SZ: Was ist Ihr größter Horror?

Brunnet: Dass wir nur ein Zugpferd haben. Das ist der Anfang vom Ende, wenn du von einer oder einem abhängig bist. Du musst breit aufgestellt sein, weil es dir sonst irgendwann den Hals abschnürt.

SZ: Auch am Aktienmarkt gilt: Nicht alle Eier in einen Korb legen. Gibt es noch weitere Parallelen?

Brunnet: Wer etwas Gutes gekauft hat, darf darauf hoffen, dass es nach zehn Jahren mehr wert ist als heute - da kann da draußen passieren, was will. Das ist wie mit einer guten Aktie. Bei 90 Prozent unserer Künstler ist ein Werk dann mehr wert, als der Kunde dafür bezahlt hat. Wir haben eine hohe Trefferquote. Ich hoffe, dass es so bleibt.

SZ: Wie macht man sich einen Namen als Galerist?

Brunnet: Gute Künstler entdecken und auch halten. Außerdem geben wir im Jahr um die 250.000 Euro für Werbung aus, mehr als jede andere Galerie in Deutschland.

SZ: Aber bekannt wird man dadurch noch nicht.

Brunnet: Stimmt, das geht in einer hungrigen Medienwelt anders. Der bekannteste deutsche Künstler ist immer noch Joseph Beuys. Der ist schon seit über 20 Jahren tot, kaum einer kennt sein Werk. Eines Tages ist er in der Tagesschau aufgetreten und hat gesungen: "Wir wollen Sonne statt Reagan - ohne Rüstung leben!" Das musst du erst mal machen: Deine Händler halten dich für lächerlich wegen dieser Selbstentblödung. Nur: Danach meint jeder, den Künstler Joseph Beuys zu kennen.

Hackert: Es gibt unendlich viele bekloppte Künstler, die es auf diese Art und Weise schaffen, sich einen Namen zu machen, deren künstlerische Arbeit jedoch im Gegensatz zu Beuys indiskutabel ist.

SZ: Damien Hirst zum Beispiel.

Brunnet: Er hat jetzt als erster Künstler seine Arbeiten direkt zur Auktion gebracht - ohne Galerie. Es war ein Riesenrummel, niemand hat für möglich gehalten, dass das gelingen würde.

Hackert: Hirst hat in den letzten Jahren auch viel Zweit- und Drittklassiges gemacht. Aber das Geld gibt ihm recht: Bei dieser Auktion wurden Werke für 140 Millionen Euro verkauft. Auch wenn vergangenes Jahr sein auf 50 Millionen Pfund bezifferter diamantenbesetzter Schädel von einem Konsortium erworben wurde, zu dem er selbst zählt, was ich nicht gerade einen erfolgreichen Verkauf nennen würde.

Brunnet: Dennoch ist er ein großer Künstler, der viel Geld verdient hat. Ich sehe darin auch keinen Widerspruch. Als Popstar stellt er wahrscheinlich noch Mick Jagger in den Schatten.

Lesen Sie im dritten Teil, wieso ein Picasso von einer Auktion zurückgezogen wurde und die Finanzkrise schlimmer für den Kunsthandel ist als der 11. September 2001.

SZ: Über Kunst wird so viel geredet wie lange nicht. Allerdings nicht über Inhalte, sondern über Rekordpreise, neues Geld und neue Käufer. Stört Sie das?

Brunnet: Es ist besser, über Kunst zu reden als über den neuesten Lamborghini. Kunst hat eine lebensverändernde Qualität - obwohl, der Lamborghini wahrscheinlich auch.

Hackert: Ich finde die Auktionsrekorde zweischneidig. Man kann nicht allen, die in einem Auktionssaal sitzen, einen ausgesprochenen Kunstgeschmack zusprechen. Ich fände es aber bigott, darüber zu lamentieren.

SZ: Warum scheinheilig?

Hackert: Es ist natürlich so, dass wir von den Erfolgen der Auktionshäuser ganz klar profitiert haben. Viele Künstler, auch Daniel Richter, sind einem größeren Kundenkreis erst durch Auktionserfolge bekannt geworden. Ihr Marktwert steigt dadurch. Das Problem ist nur: Du hast es nicht mehr unter Kontrolle, es geht irrational zu. Mitunter floppen auch großartige Bilder, weil sie zu hoch taxiert worden sind.

SZ: Haben Sie Angst, dass sich Ihr Leben verändert, wenn der Hype vorbei ist?

Brunnet: Wie zerbrechlich der Erfolg ist, meinte ich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu spüren. Ich dachte damals: Das war es. Ich war wie gelähmt. Da kam Nicole und sagte: "Du glaubst es nicht: Ich habe gerade zwei Arbeiten von Tal R verkauft - und zwar an jemanden aus New York, der festsitzt und nicht zurückfliegen kann." Es hat dann vier Wochen gedauert, dann ging eine Kunst-Party los, die bis heute dauert.

SZ: Platzt jetzt die Blase am Kunstmarkt?

Hackert und Brunnet: Das ist keine Blase!

SZ: Was macht Sie so sicher?

Brunnet: Eine Blase entsteht nur mit geliehenem Geld. Vor der letzten großen Krise Anfang der neunziger Jahre haben die Leute Kredite aufgenommen, um Kunst zu kaufen. Das ist heute ganz anders. Sammler investieren meist überflüssiges Kapital. Davon könnten sie ein Segelboot kaufen, eine Wohnung, Klamotten - oder eben Kunst.

SZ: Künftig könnte es weniger Leute geben, die Kunst aus Angeberei, als Geldanlage oder einfach nur zum Spaß kaufen, weil ihr Vermögen gerade schmilzt.

Brunnet: Ich hoffe, ich habe Unrecht - aber ich glaube, dass es aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation zu einer Abkühlung kommt. Das ist jedoch ganz normal. Man nennt es Konsolidierung. Sehen Sie sich die Anzahl der Galerien in Berlin an! Das kann nicht gut gehen. Es kann nicht sein, dass für die alle genug Geschäft da ist. Das gilt auch für New York und London. Es muss eine Marktbereinigung geben.

SZ: Diese Woche wurde ein Picasso von einer Auktion zurückgezogen, der 30 Millionen Dollar kosten sollte. Kunsthändler sagten, sie wollten das Werk nicht "verbrennen". Sind die fetten Jahre vorbei?

Brunnet: Ich habe das Gefühl, vielleicht auch, weil es so ein biblischer Zyklus ist, dass wir nach den sieben guten Jahren jetzt schlechte Zeiten erleben werden. Der 11. September war nicht mal eine Delle. Das war gar nichts.

SZ: Ist die Finanzkrise viel schlimmer als der 11. September?

Brunnet: Ja. Auch Sammler und Spekulanten lesen Zeitung und sehen all die Schreckenszeilen von der Finanzkrise. Wenn du da normal gestrickt bist, dann kannst nur sagen: gemach! Erst mal kühlen Kopf behalten, erst mal schauen. Dieses "mal schauen" ist eine ganz andere Haltung, als mit dem Champagnerglas durch die Ausstellung zu gehen und zu fragen: "Was kostet dies, was kostet das?" Es gibt eine gewisse Ernüchterung.

Hackert: Die Leute werden wählerischerer. Die ersten Spekulanten sind schon aus dem Markt raus, sie können sich ihrer Sache nicht mehr sicher sein, weil künftig nur noch ausgewählte Spitzenwerke Rekordpreise erzielen können.

Brunnet: Die Zocker werden Opfer ihrer beispiellosen Gier. Es lässt sich eben nicht mehr jeder Furz zu Geld machen.

© SZ vom 31.10.2008/ld/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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