Reaktion nach der Wahl in Frankreich:Europhorie

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Die Börse feiert den Sieg des EU-freundlichen Emmanuel Macron in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl. Der Dax steigt auf ein Rekordhoch.

Von Harald Freiberger, München

Eine solch eindeutige Reaktion hat es an den europäischen Börsen lange nicht gegeben. Der Deutsche Aktienindex (Dax) schoss nach der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl sofort um mehr als drei Prozent nach oben und erreichte einen neuen Rekordstand bei 12 455 Punkten. Zwei Jahre hatte das deutsche Börsenbarometer mit dem alten Rekord gerungen, nun nahm er die Hürde in einem Satz. Es ist der höchste Tagesgewinn seit Juni 2016.

Der Grund für die Feierlaune hat einen Namen: Emmanuel Macron, der europa-freundliche Sieger der Wahl, versetzte die Investoren in Euphorie. Über Monate hatte die Möglichkeit eines Wahlsieges der Nationalistin Marine Le Pen wie ein Schatten über den Börsen gelegen. Sie will aus dem Euro aussteigen und Frankreich gegenüber dem Ausland abschotten. Nach dem Brexit hätte dies wohl das Auseinanderbrechen der Euro-Zone bedeutet.

Die unterlegenen Sozialisten und Republikaner gaben eine Empfehlung für Macron in der Stichwahl in 14 Tagen ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass er französischer Präsident wird, ist damit groß. Groß ist auch die Erleichterung. "Mit dem Ergebnis ist nicht nur ein Risiko abgewendet worden" sagt der Chefvolkswirt der Berenberg-Bank, Holger Schmieding. "Es bietet eine echte Chance, Frankreich zu reformieren und die Euro-Zone und die EU zu stärken." Macron sei "der führende Kandidat für Wirtschaftsreformen und ein starkes Europa", sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Und Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, lobte, Macron mache sich für internationale Zusammenarbeit und offenen Welthandel stark. "Sein gutes Abschneiden ist ein ermutigendes Zeichen."

Der 39-jährige Macron will Frankreichs Wirtschaft reformieren, die seit Jahren unter einer Selbstblockade leidet. Zugleich möchte er die Euro-Defizitregel von drei Prozent der Wirtschaftsleistung einhalten und den Euro stärken - beste Voraussetzungen für eine starke Achse mit Deutschland. Gleichzeitig will Macron mit hohen Investitionen die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Sein EU- und wirtschafts-freundliches Programm begeistert die Investoren.

Am stärksten profitierten europäische Banken von dem Wahlergebnis. Aktien der französischen Großbanken Société Générale und BNP Paribas legten um acht bis zehn Prozent zu, ebenso die deutschen Häuser Commerzbank und Deutsche Bank. Die Aktien der Kreditinstitute sind besonders Politik-sensibel. Sie hatten am stärksten unter der Euro-Schuldenkrise gelitten. Wenn nun Aussicht auf eine Wende besteht, profitieren sie auch überdurchschnittlich.

Dagegen wurden Krisen-Währungen, die zuletzt von der Unsicherheit profitierten, am Montag verkauft. Der Goldkurs fiel um gut ein Prozent auf 1270 Euro pro Feinunze. Auch zehnjährige Bundesanleihen stießen Anleger ab, die Rendite stieg im Gegenzug von 0,25 auf 0,35 Prozent. Stattdessen griffen die Investoren zu französischen Staatsanleihen, die bisher als unsicher gegolten hatten. Auch der Euro-Kurs legte um rund einen Cent auf 1,07 Dollar zu. Entwarnung auf breiter Front - es ist, als ob sich ein Knoten gelöst hätte.

Die politische Unsicherheit ist groß, aber die Wirtschaft läuft. Und die Anleger sind sorglos

"Die Finanzmärkte standen zuletzt stark unter dem Eindruck der politischen Risiken in Europa", sagt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank. Nach den Wahlen in den Niederlanden hätten sie sich schon leicht verflüchtigt, nun mit dem französischen Ergebnis fast ganz.

"Damit wird der Blick frei auf die globale wirtschaftliche Lage, und die ist so gut wie seit Jahren nicht", sagt Hellmeyer. Erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 entwickelten sich alle bedeutenden Wirtschaftsräume positiv: die USA, Europa, Japan und Schwellenländer wie China, Indien oder Russland. Das weltweite Wachstum werde in diesem Jahr mindestens 3,6 Prozent betragen, so viel wie lange nicht. Damit steigen die Chancen der Unternehmen, die Gewinne zu erhöhen, was auch die Aktien beflügelt. Speziell die wirtschaftliche Lage in Europa sieht Hellmeyer positiv - anders, als es in der Öffentlichkeit oft wahrgenommen werde. "Länder wie Spanien, Portugal und Irland haben viel getan, um ihre Wirtschaft zu reformieren." Es habe gedauert, bis dies Erfolge zeigte, inzwischen seien diese aber eindeutig zu erkennen, abzulesen an einem erwarteten Wirtschaftswachstum im Euro-Raum von rund zwei Prozent in diesem Jahr. Anders als in den USA sei dieser Erfolg auch nicht mit Krediten finanziert, die Verschuldung der europäischen Staaten gehe deutlich zurück. "Europa erntet jetzt die Früchte der Reformen", sagt Hellmeyer.

Eine Reihe von Börsenexperten bleibt trotz der Rekordstände optimistisch - oder gerade deswegen. Für Charttechniker, die aus der Analyse von Kurven auf künftige Entwicklungen schließen, ist es ein positives Signal, wenn ein Börsenindex nach längerer Zeit eine Rekordmarke überspringt. "Anleger könnten sich mit ihren Kaufentscheidungen an der Charttechnik orientieren und mit weiteren Käufen den Trend verstärken", sagt Frederik Altmann, Analyst bei Alpha Wertpapierhandel. Aus dieser Sicht habe der Dax Potenzial in Richtung 14 000 Punkte. "Wir sehen den Aktienmarkt weiterhin positiv", sagt auch Maximilian Kunkel, Investment-Chef der Schweizer Großbank UBS. Die Bewertungen von Aktien seien zwar erhöht, aber nicht exzessiv. Weil die Weltkonjunktur gut laufe, stiegen die Unternehmensgewinne deutlich. Analysten revidierten die Gewinnerwartungen derzeit so stark nach oben wie seit dem Jahr 2011 nicht mehr. "Und wenn die Gewinne schneller als die Kurse steigen, bedeutet dies nichts anderes, als dass Aktien billiger werden", sagt Kunkel.

Der Wahltag in Frankreich hat die Sicht auf die Finanzmärkte deutlich verändert. Völlig umgekrempelt hat er die Wirtschaftswelt allerdings nicht. So gibt es nach wie vor Experten, die auf bestehende Risiken hinweisen: Die größten sind die Gefahren des Brexit und einer protektionistischen Politik von US-Präsident Donald Trump. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, gibt zu bedenken, dass die politische Unsicherheit so groß sei wie lange nicht. "Aber an den Finanzmärkten ist davon nichts zu spüren, dort herrscht Sorglosigkeit", sagt er. Die Zentralbanken sedierten mit ihrer Politik des billigen Geldes das Risikobewusstsein der Anleger.

Für Markus Reinwand, Aktienexperte der Landesbank Hessen-Thüringen, sind diese Wertpapiere zuletzt zu stark gestiegen. Der Dax hat seit dem Zwischentief vom November um 20 Prozent zugelegt. Nun müssten die Gewinne der Unternehmen anziehen, um das hohe Kursniveau zu rechtfertigen, sonst drohe ein Rückschlag.

Schließlich gibt es noch das Risiko, dass Macron in der Stichwahl doch gegen Le Pen unterliegt. Die meisten Beobachter taxieren es zwar nur auf zehn bis 20 Prozent. Doch wenn dieses Szenario eintritt, ist es vorbei mit der Euphorie an den Börsen.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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