Privatkredite:Wohnzimmer-Geschäfte

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Chinesische Banken knausern mit Darlehen, deshalb boomen Privatkredite auf Plattformen im Internet. Für Geldgeber ist das lukrativ - aber auch für Betrüger.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Die Verlockungen kommen zweistellig daher: Zehn, 15 oder noch mehr Prozent Zinsen auf das eigene Geld. Wer kann da widerstehen? Die maue Rendite eines chinesischen Sparkontos verbreitet dagegen den Charme einer verkratzten Langspielplatte. Also wächst das Geschäft mit Online-Privatkrediten. Den Anlegern versprechen sie satte Profite, während die Schuldner die Finanzspritze erhalten, die ihnen die Banken verwehren. Dieses Peer-to-Peer-Geschäft im Internet ist zwar keine chinesische Erfindung, aber nirgendwo sonst auf der Welt verbreitet es sich so dynamisch wie in der Volksrepublik.

So kletterte das Transaktionsvolumen im April auf die Rekordsumme von 55 Milliarden Yuan, umgerechnet 7,8 Milliarden Euro - viermal so viel wie ein Jahr zuvor. "Privatkredite wurden lange Zeit in Hinterzimmern vereinbart. Das Internet wirft jetzt viel Licht auf das Geschäft und hat es sehr populär gemacht. Das erklärt sein explosives Wachstum", sagt Zhu Jie vom Anbieter Xinxindai.com, wo Tausende Kunden die schnelle Finanzspritze suchen. Manche wollen ihr Haus renovieren, andere eine Weltreise machen, wieder andere nur ein Smartphone kaufen.

Klassische Banken sind an solchen Geschäften nicht interessiert, weil sie zu wenig Profit wittern und ihnen das Risiko eines Zahlungsausfalls zu groß ist. Stattdessen pumpen sie ihr Kapital am liebsten in staatliche Unternehmen, die im Notfall von der Staatskasse vor dem Bankrott bewahrt werden. Auch private Firmen haben schlechte Karten, von den Banken mit Kapital versorgt zu werden. Für viele kleine und mittelständische Firmen ist das P2P-Geschäft zu einem Rettungsanker geworden, weil es sie vor der Pleite bewahrt.

Die Geldgeber sind Leute, die ihr Vermögen auf bequeme Art und Weise vermehren wollen. Die Nutzer können vom Sofa aus auf den Onlineseiten der Makler schauen, welches Angebot ihnen gefällt. Entsprechen Laufzeit und Zinssatz den Vorstellungen des potenziellen Gläubigers, können die Investoren kleine oder große Geldbeträge platzieren. Der Kreditnehmer bekommt davon meistens schon nichts mehr mit. Er erhält das gesamte Kapital vom Makler, der die Schulden dann gegen eine Gebühr quasi als Finanzprodukte weiter verkauft. Diese Art von Schattenbanking, vor dem bis vor Kurzem noch als unkontrollierbares Übel des Finanzsektors gewarnt wurde, wird jetzt also über herkömmliche Konsumenten abgesichert.

Ein paar tausend Anbieter gibt es im Land, viele von ihnen sind nicht seriös. Die Aussicht auf gute Geschäfte ruft in China unzählige Trittbrettfahrer auf den Plan, die ihr Geschäftsmodell kurzfristig ausrichten. Das Risiko, sein Geld nie wieder zu sehen, ist für die Anleger bei solchen Anbietern vergleichsweise hoch, weil vermeintliche Garantien im Grunde nichts wert sind. Jedes Jahr gehen Hunderte Maklerfirmen pleite oder machen freiwillig dicht. Hunderte neue kommen dazu. "Die durchschnittliche Lebensdauer einer solchen Firma liegt irgendwo zwischen einem und zwei Jahren. Manche gehen nach wenigen Monate pleite", sagt Finanzmanager Cao Chen, der seit 2011 für P2P-Firmen gearbeitet hat und jetzt für einen großen chinesischen Versicherer das Geschäft mit Privatkrediten ankurbelt. Cao empfiehlt Neulingen, sich vor allem auf kurze Laufzeiten bei ihrer Anlage zu beschränken, um das Risiko zu minimieren. Die Kunden sind sich selbst überlassen. Das Online-Kreditgeschäft läuft fast unkontrolliert vor den Augen der Behörden ab.

"Es gibt weder Standards für die Industrie, noch gibt es eine Kontrollinstanz, die das Schaffen der Firmen im Auge behält", sagt Wang Bo, Geschäftsführer von itouzi.com, was so viel bedeutet wie Liebe zum Investment. Der Anbieter zählt zu den Top Ten in China. Seine Kunden sind vornehmlich private Unternehmer, die von Banken abgewiesen worden sind. Jeden Monat vermittelt Wang nach eigenen Angaben Kredite im Wert von einer halben Milliarde Yuan, etwa 70 Millionen Euro. "Wir warten darauf, dass die Behörden Regularien festlegen, damit die Betrüger abgeschreckt werden", sagt Wang.

Es gibt Vermutungen, dass alle P2P-Firmen in naher Zukunft eine Rücklage von 30 Millionen Yuan vorweisen müssen, um eine Lizenz zu bekommen. Wang hält die Summe für ein Gerücht. Die Handels-Plattformen müssten für eine Registrierung allenfalls die Hälfte vorweisen, glaubt er. Ob das Geld danach tatsächlich auch als Rücklage zur Verfügung steht, sei jedoch keineswegs sicher. Um ihre angebliche Integrität zu beweisen, würden unseriöse Anbieter einmalig die Summe bei der Bank hinterlegen und das Zertifikat fotografieren. Das landet auf der Internetseite, während das Geld längst wieder abgeflossen ist.

Den Anlegern kann das nur solange egal sein, bis einer ihrer Schuldner zahlungsunfähig wird und niemand für den Schaden aufkommen will. Um den Kunden die Furcht vor dem Verlust ihres Geldes zu nehmen, versuchen die Anbieter, die Bonität ihrer Kreditnehmer zu beweisen. Ihre Identität wird von seriösen Anbietern genau geprüft. Sie müssen ihre Einkommensverhältnisse für jedermann ersichtlich offenlegen. Bei itouzi.com werden große Kreditsummen über Anlagevermögen abgedeckt. "Wenn etwas schiefgeht, können wir die Immobilien der Schuldner verkaufen und die Anleger auszahlen", sagt Geschäftsführer Wang.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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