Preiswert Reisen:Alex auf krummer Tour

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Die Mitfahrzentralen profitieren vom neuen Preissystem der Deutschen Bahn - und mit ihnen die "Schwarzfahrer". Sie pendeln mit Kleinbussen zwischen den Großstädten und verdienen gut am Fiskus vorbei.

Jens Tönnesmann

(SZ vom 10.05.2003) — Ob Alex wirklich Alex heißt oder ob er auch mal als Paul, als Sascha oder als Rudi auf den Autobahnen der Republik unterwegs ist, verschweigt er lieber. Vielleicht nennt er sich Alex, weil seine Kunden meistens am Berliner Alexanderplatz zusteigen.

"Schwarzfahrer": Täglich auf der Autobahn unterwegs und konkurrenzlos billig. (Foto: AP)

Dort stehen sie, mit großen Rucksäcken auf den Schultern, wenn Alex seinen blauen VW-Bus auf den Parkplatz vor dem Forum-Hotel lenkt. Alex, kräftig gebaut und wortkarg, springt aus der Fahrertür. "München?!" fragt er und lädt schnell und routiniert Koffer, Taschen und Rucksäcke in den Kofferraum.

250 Euro Gewinn am Tag

Heute ist ein guter Tag für Alex: Die sechs Plätze hinten sind voll besetzt und vorne quetschen sich zwei weitere Passagiere auf den breiten Beifahrersitz des Kleinbusses. 25 Euro zahlt jeder, der bei Alex mitfährt, für einmal Berlin-München oder München-Berlin. Das Geld sammelt er am Ende der Fahrt ein, in bar und ohne Quittung.

Mitfahrgelegenheiten wie die in Alex Kleinbus sind eine preiswerte Alternative zu Bahn und Flieger. Das Prinzip ist simpel: Wer privat von einer Stadt zur anderen fährt, nimmt Leute mit, die sich mit einer Pauschale an den Spritkosten beteiligen.

Früher kamen Mitfahrer und Fahrer über schwarze Bretter an den Universitäten in Kontakt. Heute finden sie entweder über die Mitfahrzentralen vor Ort, die gegen Gebühr Angebote und Gesuche vermitteln, oder die Mitfahr-Börsen im Internet zueinander.

Auf Alex Eintrag im Internet melden sich auch an Werktagen oft mehr Interessenten, als der Kleinbus Plätze hat. Mit 25 Euro pro Person sind die Fahrten für die Mitfahrer unschlagbar günstig. Für Alex sind sie kein schlechtes Geschäft. Sind alle Sitze auf Hin- und Rückfahrt ausgebucht, verdient er nach Abzug seiner Spritkosten mehr als 250 Euro am Tag.

Alex macht sich den zweiten Frühling der Mitfahrzentralen zunutze, die zuletzt in den Achtzigern richtig populär waren. Seit die Bahn ihr neues Preissystem eingeführt hat, suchen vor allem kurzentschlossene Reisende nach günstigen Alternativen.

Im fremden Auto mitfahren kann weniger komfortabel und unsicherer sein als eine Zugreise, ist aber in jedem Fall preiswerter: Für die Strecke von Berlin nach München empfiehlt eine Online-Börse bei drei Mitfahrern eine Kostenbeteiligung von 15 Euro pro Person, ein Berliner Mitfahr-Büro berechnet pauschal 28,70 Euro pro Mitfahrer.

Die Bahn ist selbst mit ihren neuen "Plan&Spar"- und "Mitfahrer"-Rabatten teurer: Wenn sich vier Bahncard-Besitzer zusammen tun, ergibt sich pro Person immer noch ein Preis von 42,30 Euro für die Strecke Berlin-München.

Folge: "Es gibt sehr viele Neueinsteiger, die die Mitfahrzentralen für sich entdecken", sagt Christoph Krause, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher und Europäischer Mitfahrzentralen (ADM), der 33 Mitfahrzentralen angeschlossen sind. "Wir verzeichnen bis zu 20 Prozent mehr Anfragen."

Viele neue Nutzer

Auch die EuropeAlive Medien GmbH in Bonn, die Deutschlands größte Mitfahr-Börse im Internet betreibt, bemerkt deutliche Zuwächse: "Wir haben ungewöhnlich viele neue Nutzer", sagt Geschäftsführer Martin Buske. Im Januar, "eigentlich ein schlechter Monat", habe die Börse 20 Prozent mehr Mitfahrgesuche registriert.

"Das neue Preissystem einzuführen war ein falscher Schritt der Bahn", sagt Buske, "und richtig gut für uns." Und gut für Leute wie Alex. Denn das Angebot an Fahrten wächst langsamer als die Nachfrage - und dieser Engpass ruft "Schwarzfahrer" auf den Plan, die aus den Börsen eine Geldquelle machen.

"Es gibt mittlerweile einige Leute, die sich einen Kleinbus besorgen und massiv versuchen, so am Fiskus vorbei zu verdienen", erzählt ADM-Mann Krause. "Wenn wir so etwas mitkriegen, teilen wir dem Fahrer keine Mitfahrer mehr zu." Und Martin Buske von EuropeAlive meldet die "Verdächtigen" an eine Ordnungsbehörde.

Ein Sachbearbeiter in der Verwaltung einer deutschen Großstadt ist den Schwarzfahrern inzwischen auf der Spur. "Das nimmt langsam überhand", sagt der Beamte, der vor einem halben Jahr auf die krummen Geschäfte aufmerksam wurde.

Übermüdet am Steuer

Seitdem hat er einiges über die Szene heraus gefunden: Dass es Fahrten gab, bei denen die Mitfahrer ihre völlig übermüdeten Fahrer wach halten mussten. Dass einige Mitfahrer von mafiösen Strukturen, wackeligen Zwölfsitzern, Preisabsprachen und regelrechten Fuhrparks mit Kleinbussen berichten.

Und dass alle Fälle dieser Art gegen die Vorschriften verstoßen: "Wer gegen Entgelt und gewerblich fährt, muss eine Genehmigung und einen Personenbeförderungsschein besitzen, seine Zuverlässigkeit nachweisen, eine IHK-Prüfung ablegen, sein Fahrzeug jährlich beim Tüv vorstellen und dieses besonders versichern", zählt der Experte auf.

"Dieser Aufwand lohnt sich nicht, wenn man nur einen kleinen VW-Bus hat." Es sei jedoch sehr schwierig, die fragwürdigen Fahrer von den "Normalen" zu unterscheiden, denn oft seien sie geschickt getarnt. "Ich sehe vermutlich nur die Spitze des Eisbergs", sagt der Beamte.

Und er schreitet erst ein, wenn er sich ganz sicher ist. Dazu durchstöbert er die Online-Börsen, notiert verdächtige Einträge und beobachtet die Anbieter "lange und intensiv". Wenn kein Zweifel mehr besteht, tritt er in Kontakt mit den Betroffenen.

"Was die Ausreden angeht, sind die ziemlich erfinderisch", erzählt der Sachbearbeiter. "Einer gab an, er würde täglich mehrere hundert Kilometer fahren, um einen Bruder zu besuchen. Für eineinhalb Stunden. Und manchmal besuchte er diesen Bruder dann plötzlich in ganz anderen Städten."

Der Sachbearbeiter droht solchen Fahrern erst ein Ordnungsgeld an. Wer die Vorschriften weiter missachtet und unter neuem Namen weiter fährt, dem drohen ein Zwangsgeld von bis zu 5000 Euro und ein Bußgeldverfahren; wer nebenbei auch noch Sozialversicherungsleistungen kassiert, der macht sich sogar strafbar.

Unschlagbar günstig

Auch den 28-jährigen Ralf (Name geändert) würde Volker S. vermutlich beobachten und nach einiger Zeit aus dem Verkehr ziehen. Ralf fährt mit seinem Kleinbus morgens von einer deutschen Großstadt in die andere und nachmittags wieder zurück. Nach der mehr als 1000 Kilometer langen Fahrt übergibt er das Auto an seinen Kumpel Jan, der noch in der Nacht wieder hin und am Morgen wieder zurück fährt.

So geht es die ganze Woche. Viele Mitfahrer begrüßen die beiden schon mit Handschlag. "Ich habe heute etwas mehr Gepäck", sagt eine ältere Frau. "Macht nichts", sagt Ralf, "du kennst mich doch." Für Dauerpendler ist das Angebot unschlagbar: Jan und Ralf sind verlässlich, billig, der Bus ist sauber und bequem und die Plätze müssen nicht Wochen vorher reserviert werden.

"Es gibt viele Kunden", sagt Ralf zufrieden, "und auf unserer Route wenig Staus." Sind die Straßen dicht, werden Ralfs Pausen kürzer. Die Currywurst vom Imbissstand muss er dann während der Fahrt essen. Die vorgeschriebenen Ruhepausen, sagt Ralf, würde er natürlich einhalten. "Ich habe auch ein Gewerbe angemeldet", beteuert er. Trotzdem will Ralf nur seinen Vornamen verraten - und der ändert sich vielleicht von Zeit zu Zeit.

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