Portrait:Eine Frage der Kultur

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Astrid Jäkel hat es bis zur Partnerin bei Oliver Wyman geschafft. Aber sie sieht in der Arbeitswelt auch viele Barrieren.

Von Katharina Wetzel

Astrid Jäkel sieht nicht gerade aus wie eine Revoluzzerin. Antworten überlegt sich die 39-Jährige genau. Es ist schwer vorstellbar, dass Jäkel mal spontan auf den Tisch haut und den Boss heraushängen lässt. Das wäre nicht ihre Art. Dennoch hat sie gelernt, sich in einer Männerwelt durchzusetzen. Jäkel ist seit 2011 Partnerin bei Oliver Wyman in Zürich und damit eine der wenigen Frauen, die es in der Beraterbranche nach ganz oben geschafft haben.

Jäkel könnte sich nun cool zurücklehnen und über ihren anspruchsvollen Beruf sprechen oder über ihre drei kleinen Kinder und ihren fürsorglichen Ehemann. Doch sie möchte lieber zunächst über eine Studie reden, die sie geleitet hat.

"Frauen in der Finanzbranche: Kultur bremst Karrieren" lautet der Titel. "Es gibt sehr viele Studien zu dem Thema. Doch obwohl schon sehr viel gemacht wurde in dem Bereich, gibt es immer noch eine so große Kluft zwischen den Initiativen der Unternehmen und dem, was Frauen sich in Sachen Karriereförderung wünschen", sagt Jäkel. Nur jede zehnte Vorstandsposition der Finanzbranche ist hierzulande mit einer Frau besetzt. Der Frauenanteil in Führungspositionen wächst, aber nur langsam. Erst 2048 werden 30 Prozent der Vorstände weiblich sein, falls der Prozess nicht beschleunigt wird, so die Studie.

In 32 Ländern wurden 381 Banken, Versicherungen, Börsen und Aufsichtsbehörden untersucht und 850 Frauen und Männer befragt. Auch Jäkel hat viele Gespräche geführt. "Im deutschsprachigen Raum war ich überrascht, wie wenig aufgeschlossen einige Männer sind", berichtet sie. Sprüche wie "Business ist Kampf, aber viele Frauen kämpfen nicht offensiv genug" bekam sie zu hören. Die Gespräche änderten Jäkels Meinung. "Eigentlich war ich immer gegen eine Frauenquote. Doch nach der Studie sehe ich das für einige Länder anders", sagt sie. Denn es ist gerade die männlich geprägte Kultur, die es Frauen erschwert aufzusteigen.

Spätestens hier wird diese aufwendige Studie interessant. Sie zeigt nämlich, wie kulturelle Barrieren Frauen ausbremsen. So landen Deutschland und die Schweiz auf den hinteren Plätzen, wenn es um den Anteil von Frauen in Vorständen geht, während Länder wie Norwegen, Schweden, Thailand und Südafrika die Rangliste anführen. "Nur 33 Prozent der befragten Frauen in Deutschland streben eine Führungsposition an. In anderen Ländern sind es 62 Prozent", berichtet Jäkel.

Sind die Frauen in Deutschland etwa selbst daran schuld? "Das sehe ich nicht so", sagt Jäkel und nennt eine ganze Reihe an Gründen. In Deutschland sei das traditionelle Frauenbild noch immer viel stärker verankert als in anderen Ländern. Zudem herrsche in den deutschen Finanzhäusern immer noch eine Präsenzkultur, die eine Vereinbarung von Karriere und Kindern erschwere. Männliche Kandidaten haben es in dem maskulinen Umfeld leichter. Sei es aufgrund männlicher Vorbilder, einer stärkeren Förderung oder entsprechender Seilschaften. Jäkel sieht hier in erster Linie die Unternehmen in der Pflicht. "Es ist deren Aufgabe, die Kultur zu ändern, damit verschiedene Persönlichkeiten weiterkommen." Oftmals würden Männer bei einer Neubesetzung - wenn auch unbewusst - bevorzugt. "Vorstände wählen eher einen Nachfolger aus, der ihnen ähnlich ist und eine vergleichbare Strategie verfolgt."

Stellen sollten ihrer Ansicht nach anders ausgeschrieben werden. "Oft fühlen sich von der Stellenbeschreibung nur Männer angesprochen." Dies könne gelöst werden, indem bei jedem Auswahlprozess mindestens eine Frau eingeladen werde. "Frauen wollen eher angesprochen und ermuntert werden", sagt Jäkel. Auch das Gremium, das die Kandidaten aussucht, sollte mindestens mit einer Frau besetzt sein. Zudem würden flexible Arbeitszeitmodelle und Elternzeitpakete helfen, wenn sie sich an alle Ebenen richten würden und nicht mit einem Stigma verbunden wären.

Gerade der Beraterberuf schreckt aufgrund der Reisetätigkeit viele von einer Familiengründung ab. Dabei sieht die Mutter dreier Kinder im Alter von vier, zwei und einem Jahr eher einen Vorteil in der projektbezogenen Arbeit. Eine Karriere bis hin zur Partnerin bei Oliver Wyman konnte sich sie schon früh gut vorstellen. Bereits 2010 sollte es soweit sein. Doch dann war sie auf einmal im Auswahlprozess nicht dabei. Eine große Enttäuschung: "Dass ich im Jahr vor meiner Beförderung zur Partnerin im Auswahlprozess nicht berücksichtigt wurde, hat mich geärgert", erinnert sie sich. Jäkel hat zwar nicht auf den Tisch gehauen, aber: "Ich habe schon deutlich gemacht, dass es mir sehr wichtig ist, dass ich im nächsten Jahr dabei bin." Auch Jäkels Kinderwunsch ging in Erfüllung. Die Betreuung teilt sie sich mit ihrem Mann, der in der Strategieabteilung einer Bank arbeitet. Zudem gibt es ein ausgeklügeltes System mit Nanny, Kindertagesstätte, Notfallnanny und Oma. Individuelle Lösungen könnten auch in Unternehmen gefunden werden, um Frauen in Führungspositionen zu bringen, davon ist sie überzeugt. "Mit den richtigen Mechanismen und mit mehr Ernsthaftigkeit sollte das klappen."

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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