Porträt:Zwischen Papst und Erotik

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Manuel Herder vor dem Roten Haus in Freiburg, in dem sich der Hauptsitz des Verlages befindet. (Foto: Uwe Merz/merzcreativ)

Manuel Herder, Chef des Traditionsverlages, hat Mut. Mit der Übernahme von Thalia stieg er groß ins Buchhandelsgeschäft ein - ein riskantes Experiment.

Von Dieter Sürig, Freiburg

Manuel Herder, 50, legt Wert auf Traditionen. Besucher führt er gerne in das Besprechungszimmer im Erdgeschoss des weitläufigen roten Gebäudes, in dem der Verlag seinen Sitz hat. Hier hängt eine Kopie der Gründungsurkunde von 1801 an der Wand, es gibt ein Porträt des Verlagsgründers Bartholomä Herder und eine hölzerne Druckerpresse. Im Nebenraum dann eine mittelalterliche Stele aus dem Freiburger Münster, die im Zuge der Sanierung ersetzt wurde. Ein Geschenk der Stadt zum 200-jährigen Bestehen des Verlages im Jahr 2001. Im Rathaus ist man stolz auf den Familienverlag.

"Geist schafft Leben", steht in goldenen Buchstaben hoch oben im Dachgiebel über dem Haupteingang des Herder-Sitzes, wenige Minuten von der Freiburger Innenstadt entfernt. Herder hat sich von hier aus zu einem der erfolgreichsten Verlage Deutschlands entwickelt. Schwerpunkte: Theologie, Kirche, Erziehung, Psychologie sowie Politik und Gesellschaft. Viele kennen Herder aus dem Religionsunterricht.

Das Jahr 2016 stellt eine Zäsur in der Verlagsgeschichte dar: Herder ist groß in den Buchhandel eingestiegen. Im Juli hat er die Buchkette Thalia mit etwa 280 Filialen übernommen, gemeinsam mit dem Chef des Douglas-Konzerns, Henning Kreke, Thalia-Vorstand Michael Busch und Digital-Unternehmer Leif Göritz. Verkäufer war der Finanzinvestor Advent.

Angesichts des Gespürs für Tradition ist es nicht verwunderlich, dass Manuel Herder bereit war, ins Buchhandelsgeschäft zu investieren. Vor 20 Jahren hatte die Familie drei Läden an die Thalia-Gruppe abgegeben. "Wenn man als Verleger im Buchhandel aktiv ist, kennt man die Bedürfnisse der Händler und der Leser. Für mich war es sowohl eine gute Option als auch ein Vergnügen, zum Buchhandel zurückzukehren", sagt Herder. Schöner Nebeneffekt: Er hat auch die einst abgegebenen Filialen zurückgeholt. Zwei weitere Läden in Frankfurt am Main und Wien hatte er noch betrieben, doch das war wohl nicht genug.

Als Weltbild zum Verkauf stand, war er nicht interessiert

Es hätte andere Gelegenheiten gegeben, wieder im Buchhandel Fuß zu fassen: 2014 etwa die Insolvenz der Weltbild-Gruppe, die zuvor den katholischen Diözesen gehört hatte und die 67 Filialen verkaufen musste. Herder ist als Verlag für theologische Texte groß geworden, da gibt es also eine Affinität zur Kirche - warum also nicht Weltbild? "An Weltbild war ich nicht interessiert", sagt der Verleger knapp.

Und warum dann gerade Thalia? "Der Buchhandel hat seine Krise hinter sich, und das Geschäft entwickelt sich stabil", sagt er. "Das hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen. Insofern war die Gelegenheit jetzt gut für uns." Das klingt mutig, denn der Branchenverband Börsenverein sieht die Lage durchaus noch kritisch. So ist der Umsatz des Buchhandels nach einem Zwischenhoch 2013 in den vergangenen beiden Jahren wieder rückläufig gewesen. Und die Zahl der Buchhandlungen schrumpft seit Jahren. 2011 gab es bundesweit noch 32 300 Beschäftigte im Bucheinzelhandel, im vergangenen Jahr waren es nur mehr knapp 29 000.

Herder hat allerdings Mitstreiter gesucht, um das Projekt Buchhandel zu realisieren: "In dieser Größenordnung hätten wir das nicht alleine gestemmt", gesteht er ein. Nun kann er auch auf den Chef der Herder-Tochter Smart Mobile Factory setzen, die in Berlin Apps entwickelt. Leif Göritz soll das digitale Zusammenspiel aller Verkaufskanäle organisieren. In den Augen Herders die größte Herausforderung für Thalia. "Ob Filiale, Telefon, PC oder Mobilgeräte: Es geht darum, alle Kommunikationskanäle miteinander zu vernetzen."

Dass die Digitalisierung irgendwann die stationären Filialen fressen könnte, glaubt er nicht. "Natürlich kann man einen bestimmten Titel auch über das Internet bestellen. Aber viele Menschen wollen sich von einem schönen Laden mit vielen Büchern anregen lassen." Ihn schreckt es auch nicht, dass der US-Internethändler Amazon vielleicht mit Filialen in die deutschen Städte gehen will. "Wenn ein reiner Online-Wettbewerber signalisiert, dass er sich auch Einzelhandel vorstellen kann, dann ist das ein gutes Zeichen für den Einzelhandel." Herder erinnert daran, dass es in den USA gar keine Buchhändlerlehre gibt. "Unsere ausgebildeten Buchhändler sind einfach gut, das merkt der Kunde."

Manuel Herder hat schon als Verleger immer mal wieder den richtigen Riecher bewiesen. Er hat das Buch von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach dessen Rücktritt herausgebracht, es kam in die Bestsellerlisten. Nun eine Erdoğan-Biografie. Sonst ist Herder meist auf theologische Bestseller abonniert. Zu den prominenten Autoren zählen diverse Päpste und der Dalai Lama. Neben der Bibel hat er auch die jüdische Thora und den Koran im Programm. Er legt Wert auf eine ganzheitliche Sicht der Dinge. Das hat sich schon in seinem Studium gezeigt, als er die Fächer Japanologie, Theologie und Erziehungswissenschaften studierte - aber auch Betriebswirtschaftslehre. 1992 begann er dann im Familienbetrieb, zur Jahrtausendwende übernahm er in sechster Generation das Ruder.

Manuel Herder führt Herder ohne Scheuklappen. Er ist gerne im Vatikan, die früheren Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XIV. hat er mehrfach besucht. Genauso wichtig ist es ihm aber auch, sich um die hauseigene App-Fabrik in Berlin zu kümmern, in die er im Sommer 2014 eingestiegen ist. Die Smart Mobile Factory arbeitet an E-Commerce-Lösungen für Smartphones und Tablets. "Für uns als Verlag ist es wichtig, nahe an diesen Zukunftsthemen zu sein." Die Tochterfirma entwickelt sonst Apps für andere Branchen. Eine Notruf-App etwa, eine App für Rollstuhlfahrer oder eine für den medizinischen Bereich.

Dass Herder vielen Dingen gegenüber aufgeschlossen ist, zeigt auch dies: Der Verlag steht für Glaube, Bildung und Werte. Bei Thalia verkauft der neue Eigentümer nun aber auch die Erotik-Trilogie "Shades of Grey" oder CDs mit "Ballermann-Hits". Stört ihn das nicht? "Die Kunden von Thalia sind mündige Leser", entgegnet er.

In Freiburg treibt der vierfache Vater gerade ein anderes Projekt voran: einen Gedichtband der japanischen Kaiserin. Auf die Idee ist der Japan-Fan nach dem Erdbeben 2013 gekommen. Damals hatte die Kaiserin ihre Trauer mit Gedichten zum Ausdruck gebracht. "Ich habe mich dann so lange telefonisch an den Kaiserhof herangearbeitet, bis ich jemanden gefunden habe, der mir den Weg zu Kaiserin Michiko geebnet hat." Das Buch kommt im Frühjahr.

Herder fragt beim Abschied, ob noch Interesse bestehe, das Grab des 1839 verstorbenen Gründers Bartholomäus Herder zu sehen. Nur wenige Gehminuten vom Verlag entfernt. Es ist ein Angebot, das man ihm kaum abschlagen kann.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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