Pipers Welt:Schlag nach bei Engels

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Viele Menschen sind solidarisch mit Flüchtlingen, lehnen aber den Kapitalismus ab. Wie passt das zusammen? In einem Buchklassiker findet sich eine Antwort.

Von Nikolaus Piper

Viele Menschen sind in diesen Zeiten solidarisch mit Flüchtlingen, lehnen aber den Kapitalismus ab, in den diese Flüchtlinge fliehen. Angesichts dieses Widerspruches lohnt es sich nachzulesen, was die Klassiker des Antikapitalismus zum Thema Einwanderung zu sagen hatten. Zum Beispiel Friedrich Engels. In seiner "Lage der arbeitenden Klasse in England" befasst sich der spätere Freund und Finanzier von Karl Marx 1845 mit irischen Arbeitern in englischen Industriestädten.

Was er von den "liederlichen, wankelmütigen" Iren hält, daran lässt Engels keinen Zweifel. Er beklagt den "südlichen, leichtsinnigen Charakter des Irländers, seine Rohheit, die ihn wenig über einen Wilden stellt", um festzustellen: "Mit einem solchen Konkurrenten hat der englische Arbeiter zu kämpfen - mit einem Konkurrenten, der auf der niedrigsten Stufe steht, die in einem zivilisierten Lande überhaupt möglich ist und der deshalb auch weniger Lohn braucht als irgendein anderer." Mit so einem Vokabular wäre Engels bei Pegida willkommen.

(Foto: N/A)

Die frühe Arbeiterbewegung hatte mit Migranten nicht viel im Sinn. Die erste nationale Gewerkschaft der USA, die 1866 gegründete National Labor Union (NLU), kämpfte für den Ausschluss chinesischer Arbeiter vom US-Arbeitsmarkt, andere Gewerkschaften taten es der NLU nach. Für deutsche Gewerkschaften stellte sich das Problem nicht, denn Deutschland war kein Ein-, sondern ein Auswanderungsland.

Das alles ist längst Geschichte. Und doch nicht so ganz. Gerade hat die IG Metall auf ihrem Gewerkschaftstag eine "solidarische Flüchtlingspolitik" gefordert. Das klingt sehr vernünftig, so lange, bis man die Details liest. Unter anderem verlangen die Gewerkschafter, dass es wegen der Flüchtlinge "in keinem Fall zu Lohndumping oder zu Eingriffen in geltende tarifliche und gesetzliche Regelungen zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" kommen dürfe. Die IG Metall will also Flüchtlinge willkommen heißen und gleichzeitig die Lohnkonkurrenz verhindern.

Die Frage ist: Geht das?

Wenn das Angebot an Arbeit steigt, die Nachfrage aber nicht, dann gerät der Lohn unter Druck. So war das auch in den Sechzigerjahren, als die ersten Gastarbeiter in die Bundesrepublik kamen. Nur trafen Italiener, Griechen, Spanier und Türken damals auf eine Volkswirtschaft ohne Arbeitslosigkeit, die jedes Jahr um fünf oder sechs Prozent wuchs. Da gab es einfach keine Verlierer.

Heute ist das anders. Deutschland hat 2,7 Millionen Arbeitslose, die meisten sind gering qualifiziert. Jetzt kommt ein massives Angebot gering qualifizierter Arbeit dazu. Selbst wenn die Unternehmen Wunder bewirken, was die Einstellung von Flüchtlingen angeht - ein dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit ist kaum zu vermeiden. Heute haben nur 15 Prozent der in Deutschland lebenden Syrer einen regulären Job. Und da sollte man über den Mindestlohn in seiner jetzigen Höhe noch nicht einmal diskutieren?

Die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Eritrea haben nicht ihr Leben riskiert, um in Deutschland Hartz IV zu bekommen. Sie wollen arbeiten. Hindert man sie daran, werden sie sich ein Ventil suchen, und das heißt Schwarzarbeit, also Lohnkonkurrenz in schmutziger Form. Lohnkonkurrenz ist heute in reichen Ländern nicht annähernd so brutal, wie im 19. Jahrhundert. Aber sie ist auch nicht verschwunden. Schlimm wird es, wenn man vor dieser Realität die Augen verschließt.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Nikolaus Piper und Thomas Fricke im Wechsel.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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