Pipers Welt:Entwachsen geht nicht

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Wachstumskritik hat einen neuen Namen: Degrowth. Die Anhänger der neuen Bewegung wollen, dass die Wirtschaft in den reichen Ländern schrumpft - ein gefährliches Konzept.

Von Nikolaus Piper

Wachstumskritik hat einen neuen Namen: "Degrowth", eine Wortschöpfung, die man mit "Entwachstum" übersetzen könnte. Unter diesem Namen hat sich eine Bewegung gebildet, die schnell neue Anhänger findet. Ende des Monats findet in Budapest eine internationale Degrowth-Konferenz statt. Die Anhänger von Degrowth wollen nicht "Nullwachstum", auch nicht "grünes" oder "nachhaltiges" Wachstum. Das alles sei "Greenwashing", Schönfärberei, heißt es auf einer Website. Ziel sei vielmehr "eine freiwillige Reduktion des Wirtschaftssystems, was eine BIP-Reduktion beinhaltet", also einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Die Menschen sollen weniger produzieren, konsumieren und arbeiten, und zwar "solidarisch" und "demokratisch". Regionalwährungen spielen eine Rolle, Stadtgärten, Ökodörfer, auch Methoden der Alternativmedizin. Die Degrowth-Leute berufen sich dabei auf Denker wie den Marxisten André Gorz, den Theologen Ivan Illich und den Ökonomen Nicholas Georgescu-Roegen. Besonders ihn lohnt es sich ein wenig genauer anzuschauen.

Georgescu-Roegen (1906-1994) gehört zu den großen Verkannten des 20. Jahrhunderts. Er dachte die Wirtschaft völlig neu von einem zentralen Satz der Physik her: Die nutzbare Energie im Universum nimmt unaufhaltsam ab. Wenn man diesen so genannten "Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik" ernst nimmt, dann wird klar: Die Wirtschaft ist gar kein Kreislauf, sondern ein unumkehrbarer Prozess, an dessen Ende nutzlose Energie steht - "Entropie", oder, umgangssprachlich: Umweltverschmutzung. Es käme also darauf an, möglichst wenig zu produzieren. Stattdessen macht die Menschheit das genaue Gegenteil: Sie verbraucht die in der Erdkruste gespeicherte nutzbare Energie - Öl, Gas, Kohle, Uran - immer schneller und zerstört so ihre eigenen Lebensgrundlagen. Der Ökonom schrieb einmal: "Wenn wir über Details hinwegsehen, können wir sagen, dass jedes heute geborene Baby ein menschliches Leben weniger in der Zukunft bedeutet. Aber auch jeder Cadillac, der irgendwann einmal produziert wird, bedeutet weniger Leben in der Zukunft."

(Foto: N/A)

Georgescu-Roegens Lehren über die physikalischen Grenzen der Wirtschaft waren bahnbrechend. Offen ist, was daraus folgt. Seine heutigen Schüler jedenfalls liegen größtenteils falsch. Sie tun so, als bedeute Wachstum notwendigerweise mehr Ressourcenverzehr. Das aber ist nicht der Fall. Der Bau eines Null-Energie-Hauses wird als BIP-Wachstum verbucht, spart jedoch Ressourcen. Die Weltbevölkerung wird bis 2100 von 7,5 auf elf Milliarden steigen. Der größte Teil dieses Wachstums kommt aus den ärmsten Ländern Afrikas. Das Problem ist nicht durch "Verringerung von Produktion und Konsum im globalen Norden" zu lösen, wie es im Programm von Degrowth steht, auch nicht durch eine "Befreiung vom einseitigen westlichen Entwicklungsparadigma im globalen Süden", sondern nur durch eine dramatische Erhöhung der Produktivität in der afrikanischen Landwirtschaft, durch Wachstum also.

Der größte Fehler besteht darin, die Zukunft nicht als offen zu sehen. Georgescu-Roegen selbst hoffte, dass eines Tages eine neue "prometheische" Innovation, ähnlich der Bändigung des Feuers, die Zukunft der Menschheit sichern wird. Die Suche nach dieser Innovation aber ist nur in einer freien Wirtschaft und Gesellschaft möglich. Wer glaubt, die Welt retten zu müssen und auch genau zu wissen, wie das geht, der ist verführbar durch - rechte wie linke - Träumereien von einer Ökodiktatur.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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