Pipers Welt:Dreist und provokativ

Lesezeit: 2 min

Seit Jahrzehnten werden Tarifverhandlungen von Demonstranten begleitet, die ihre "Empörung" über die Arbeitgeber mit gellendem Gepfeife zum Ausdruck bringen. Doch die Vernunft geht in dem ganzen Getöse oft unter.

Von Nikolaus Piper

Wer hat eigentlich die Sache mit den Trillerpfeifen erfunden? Seit Jahrzehnten werden Tarifverhandlungen von Demonstrantinnen und Demonstranten begleitet, die ihre "Empörung" über die Arbeitgeber mit gellendem Gepfeife zum Ausdruck bringen. Wäre man Arbeitgeber, sähe man sich wohl versucht, einfach ein paar Prozent draufzulegen, nur damit der Lärm endlich aufhört. Alle wissen, dass die ganze Schau Quatsch ist, trotzdem wird sie Jahr für Jahr wiederholt.

So läuft das auch diesmal, und zwar ganz besonders. Die Tarifrunde 2016 zeichnet sich dadurch aus, dass die Zeiten sehr gut sind. Die Wirtschaft wächst, neue Jobs entstehen, die Reallöhne steigen, die Inflation liegt praktisch bei null. Erstaunlich, wie sich diese Zahlen auf das Lohngeschehen auswirken.

Im öffentlichen Dienst fordert die Gewerkschaft Verdi ein Plus von 6,0 Prozent, was wegen der fast nicht existenten Inflation auf 5,5 Prozent real hinausläuft. Das Angebot der Arbeitgeber von 3,0 Prozent für zwei Jahre bezeichnete Verdi-Chef Frank Bsirske als "dreist und provokativ". Zu so einem Urteil kommt man, wenn man den Anspruch erhebt, dass die Einkommen der Arbeitnehmer mit den sichersten Arbeitsplätzen der Republik zwischen drei- und viermal so schnell wachsen müssen wie die Wirtschaftsleistung des Landes. Eine Konsequenz solch maßlos überzogener Ansprüche wird sein, dass die Bürger erst einmal mit Warnstreiks in Kitas und Stadtwerken gequält werden, ehe man zum absehbaren Kompromiss (zwischen zwei und drei Prozent pro Jahr) kommt, was immer noch ein stolzer Reallohnzuwachs sein wird.

(Foto: N/A)

Das Problem mit den alten Ritualen in diesem Jahr ist das viele Geld in den Staatskassen. Fast alle Haushalte weisen Überschüsse aus. Das birgt die Gefahr, dass alle sich von einer Krankheit anstecken lassen, für die es einen Fachbegriff gibt: "Holländische Krankheit". Ein Land kommt, so der Befund, zu unerwartetem Reichtum, dieser wird für soziale Wohltaten verteilt, Ansprüche und Kosten steigen, und irgendwann ist das ganze Land nicht mehr konkurrenzfähig.

In den Niederlanden brach die Krankheit nach der Entdeckung von Erdgas in den 1960ern aus, in Deutschland könnte das billige Geld die Ursache sein. Wolfgang Schäuble und seine Kollegen haben ihre Überschüsse nicht nur der guten Konjunktur zu verdanken, sondern auch der Nullzinspolitik Mario Draghis. In zwei oder drei Jahren - je nachdem, was Draghi macht - werden die Überschüsse weg sein. Es ist also klug, das Geld nicht für überzogene Gehälter auszugeben, denn die sind auch zu zahlen, wenn die Zeiten schlechter werden. Wenn überhaupt, wäre es richtig, den Nullzins für Investitionen in die Infrastruktur zu nutzen.

Gut begründen lässt sich aber auch Schäubles "schwarze Null", also der Versuch, Schulden abzubauen. Deutschland muss zwei Jahrhundertaufgaben lösen: die Integration der Flüchtlinge und die Alterssicherung für die nächste Generation. Darauf hat gerade der DGB völlig zu Recht hingewiesen: Die deutsche Rentenversicherung läuft spätestens 2030 in Probleme hinein, für die es bisher nicht ansatzweise eine Lösung gibt. Was immer man beschließt, das Problem der Altersarmut wird kaum ohne Beiträge aus dem Bundeshaushalt zu entschärfen sein. Und je gesünder die Staatsfinanzen dann sind, desto leichter ist das zu schaffen. Schonung der Staatsfinanzen heute und Sicherung der Renten morgen gehören also zusammen. Aber solche Dinge hört man im Lärm der Trillerpfeifen nicht.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: