Pipers Welt:Die Last mit den Jungen

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Die Ströme von Migranten und Flüchtlingen werden vor allem dadurch ausgelöst, dass es in Entwicklungsländern zu viele junge Männer gibt - sie müssen in Arbeit gebracht werden.

Von Nikolaus Piper

Die angstvolle und zunehmend aggressive Debatte über Flüchtlinge in Deutschland krankt an einer Sprachverwirrung. "Flüchtling" wird in aller Regel als Synonym für "Migrant" verwendet. Dabei bezeichnen die Begriffe zwei völlig verschiedene Gruppen von Menschen. Flüchtlinge fliehen vor Krieg und Verfolgung und genießen den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Migranten fliehen vor der Armut und suchen ein besseres Leben in Deutschland, Schweden oder anderswo. Über ihre Aufnahme sollte nach Maßgabe des Arbeitsmarktes entschieden werden. Natürlich lassen sich die beiden Kategorien nicht sauber trennen, besonders wenn ein konkreter Mensch vor einem steht, etwa aus Eritrea. Trotzdem ist die Unterscheidung unabdingbar, will man über Einwanderung rational diskutieren.

Hilfreich ist dabei ein Begriff aus der Entwicklungsforschung: Youth Bulge . Der Begriff stammt von dem amerikanischen Autor Gary Fuller und bezeichnet eine Ausbuchtung in der Alterspyramide einer Gesellschaft. Sie entsteht dadurch, dass die Sterblichkeit der Bevölkerung sinkt, die Geburtenrate aber auf vormodernem Stand bleibt. Dadurch steigt der Anteil junger Menschen dramatisch, vor allem entsteht eine Kohorte junger Männer ohne Arbeit - ein gefährliches Gewaltpotenzial. Europa kannte so einen Youth Bulge im ausgehenden 19. Jahrhundert, was den Imperialismus genährt haben dürfte. Der Nahe Osten, vor allem aber Afrika erlebt die Entwicklung jetzt.

(Foto: N/A)

Es ist langer Debatten würdig, herauszufinden, was dieser Youth Bulge alles bewirkt. Der deutsche Ökonom Gunnar Heinsohn sieht in der Bevölkerungsentwicklung des Nahen Ostens eine wesentliche Ursache für den islamistischen Terror. Ganz sicher aber ist der Bevölkerungsdruck eine der wichtigsten Ursachen für die Migrantenströme nach Europa, wobei es sich gut begründen lässt, dass auch der Bürgerkrieg in Syrien etwas zu tun hat mit vielen unbeschäftigten jungen und verführbaren Männern.

Die Dramatik liegt darin, dass die Bevölkerung in den ärmsten Länder Afrikas und des Nahen Ostens besonders schnell wächst. In Niger etwa, einem der ärmsten Länder der Welt, bekommen Frauen heute noch im statistischen Durchschnitt 7,6 Kinder. Die Bevölkerung wächst jährlich um 3,25 Prozent, das mittlere Alter liegt bei ganzen 15,2 Jahren, es ist das niedrigste auf der ganzen Welt. In ganz Afrika wird sich die Bevölkerung bis 2050 von heute 1,3 auf voraussichtlich 2,7 Milliarden verdoppeln.

Es ist offensichtlich, dass die Probleme des Youth Bulge und der epidemischen Jugendarbeitslosigkeit sich nicht durch Migration nach Europa lösen lassen. Sie lassen sich noch nicht einmal lindern, wenn die aktivsten Menschen aus den Herkunftsländern abwandern. Die Lösung muss aus den Ländern selbst kommen. Es geht darum, die "Bevölkerungsbombe" zu entschärfen und eine "Bevölkerungsdividende" einzufahren, wie es in einem Blog der Weltbank heißt. Das Modell für viele Ökonomen ist dabei Südkorea. Das Land begann in den 1950er-Jahren auf dem gleichen Stand wie Ägypten, und ist heute ein normales Industrieland. Der Schlüssel dazu waren Investitionen in den Industriesektor, die junge Menschen in Arbeit brachten und die Entwicklung des Landes in Gang setzten. In der Folge ging auch die Geburtenrate zurück. Die Lehre aus dem Beispiel liegt auf der Hand. Letztlich ist es die Ökonomie, an der sich entscheidet, ob die Migrantenströme weiter steigen oder ob die explosive Lage vor der Haustür Europas entschärft werden kann.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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