Philips-Chef Kleisterlee:"Korruption.... da muss man standhaft bleiben"

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Der Philips-Vorstandsvorsitzende Gerard Kleisterlee spricht über die Krise bei Siemens, den Umbau des eigenen Unternehmens und die Zukunft der High-Tech-Industrie.

Markus Balser und Marc Beise

Seit 32 Jahren arbeitet der in Deutschland geborene Holländer Gerard Kleisterlee, 60, bei Philips. Seit fünf Jahren ist er dort Vorstandschef und hat den Elektronikkonzern nach tiefer Krise komplett umgekrempelt. Kleisterlee führt leise, aber bestimmt und notfalls hart. In der Konzernzentrale in Amsterdam, wo ihn die SZ-Redakteure trafen, hält sich Kleisterlee selten auf. Häufiger ist er bei seinen Kunden, am liebsten in Asien.

Philips-Chef Gerard Kleisterlee. (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Kleisterlee, Ihr Konkurrent Siemens sucht gerade einen neuen Chef.

Kleisterlee: Und Sie glauben . . .

SZ: . . . genau. Der ideale Siemens-Chef muss Deutsch sprechen, Erfahrung beim Konzernumbau mitbringen und sich für Technik begeistern. Schade nur, dass Sie Ihren Vertrag bei Philips gerade bis 2011 verlängert haben.

Kleisterlee: Übrigens ohne zu zögern.

SZ: Würden Sie denn wirklich "nein" sagen, wenn sich der Siemens-Aufsichtsrat bei Ihnen meldet?

Kleisterlee: Da können Sie sicher sein. Und außerdem macht es mir Spaß, Philips zu leiten. Wir haben hier noch einiges vor.

SZ: Das hat Siemens auch. Die Konzerne sind sich sehr ähnlich. Beide haben ihr Gesicht in den vergangenen Jahren nach einem Umbau stark verändert, haben Sparten abgespalten und konzentrieren sich nun auf gewinnbringende Bereiche wie die Medizintechnik.

Kleisterlee: Ja, es gibt sicher Parallelen. Aber natürlich auch große Unterschiede.

SZ: Aktuell vor allem den Korruptionsskandal. Bei Siemens fürchtet man, dass Konkurrenten wie Philips oder der US-Konzern General Electric von der Krise profitieren. Verunsicherte Kunden könnten das Weite suchen.

Kleisterlee: Eine solche Affäre kann tatsächlich gravierende Auswirkungen auf das Vertrauen zwischen Unternehmen und Kunden haben. Bisher aber sprechen ja die Zahlen eindeutig dagegen. Siemens hat im jüngsten Quartal hervorragende Resultate vorgelegt und deutlich mehr verdient und umgesetzt.

SZ: Auch Philips macht auf korruptionsanfälligen Märkten, zum Beispiel in Asien, Geschäfte. Wie verbreitet ist der Einsatz von Schmiergeld in der internationalen Wirtschaft?

Kleisterlee: Natürlich kommt es vor, dass dubiose Angebote an Unternehmen herangetragen werden. Davor darf man die Augen nicht verschließen.

SZ: Es geht also gar nicht ohne Schmiergelder?

Kleisterlee: Bei manchen Geschäften vielleicht nicht. Aber dann muss man als Konzern eben standhaft bleiben und darauf verzichten. Wichtig ist es, die Mitarbeiter mit einer solchen Entscheidung nicht alleinzulassen und ihnen Rückendeckung zu geben.

SZ: Was heißt das konkret?

Kleisterlee: Das Management muss die Beschäftigten auf solche Situationen vorbereiten und ihnen klare Anweisungen geben. Bei Philips haben wir einen Katalog entwickelt, wie sich die Mitarbeiter in solchen Fällen verhalten sollen. Unsere Botschaft ist klar und eindeutig: Geschäfte im Zweifel sausenlassen.

SZ: Die Lage der europäischen High-Tech-Industrie ist prekär. Tag für Tag gehen Jobs in Richtung Asien verloren. Wächst der Druck, Aufträge um jeden Preis zu erkämpfen?

Kleisterlee: Wir müssen einfach aufhören, die Schlachten von gestern zu schlagen. Wir können die Globalisierung nicht zurückdrehen. Nehmen Sie unseren größten Bereich Unterhaltungselektronik. Früher haben wir fast alles in eigenen Fabriken produziert.

Heute müssten wir aus Kostengründen von einem Niedriglohnland ins nächste ziehen. Das macht doch keinen Sinn. Deshalb hat Philips die Produktion zu einem großen Teil an Zulieferer ausgelagert. Wir dürfen Zeit und Geld nicht mit dem Erhalt überkommener Strukturen verschwenden.

Lesen Sie auf Seite 2, in welchen Branchen Europa für Kleisterlee noch eine Zukunft hat

SZ: Die Folge ist natürlich ein drastischer Arbeitsplatzabbau. Philips hatte vor 30 Jahren mehr als 400 000 Mitarbeiter. Heute sind es gerade mal noch 125 000 . . .

Kleisterlee: Die Stellen sind ja nicht alle verlorengegangen, sondern nur anderswo neu entstanden und haben mancherorts sogar zur Gründung neuer Industriezweige geführt. Was wir früher selbst gemacht haben, kaufen wir heute als Dienstleistung.

SZ: Trotzdem bleibt der Eindruck, dass immer mehr Jobs vernichtet werden. Blutet Europa aus?

Kleisterlee: Nein, nicht wenn wir uns auf die Schlachten von morgen konzentrieren. Es bringt einfach nichts, beispielsweise in Deutschland um die letzte Handy-Produktion zu kämpfen. Wenn sich eine Fabrik wie jene in Kamp-Lintfort nicht mehr halten lässt, darf man sie doch nicht künstlich am Leben halten.

Wir sollten uns lieber auf die Vorherrschaft bei komplexen Systemen wie Autos, Flugzeugen oder eben der Medizintechnik konzentrieren und in Zukunftsbranchen wie die Biotechnologie investieren.

SZ: Europas High-Tech Firmen werden zu Konzernen ohne Fabriken?

Kleisterlee: Richtig ist: der Strukturwandel wird Europa immer mehr zu einer Dienstleistungsökonomie machen - mit immer weniger Fabriken. Aber wo die hiesige Produktion Vorteile hat, halten wir natürlich an ihr fest.

SZ: Wo zum Beispiel?

Kleisterlee: In der Medizintechnik. Oder auch in der Lichttechnik. In unserem Aachener Philips-Werk ist Know-how gebündelt, wie es das nur an ganz wenigen Standorten weltweit gibt. Da sind Hersteller in Billiglohnländern keine ernsthafte Konkurrenz.

Außerdem wollen wir in manchem Bereich verhindern, dass unsere Technologie in Asien kopiert wird. Unser Geschäft ist doch nicht der Abbau von Arbeitsplätzen, sondern gewinnbringendes Wachstum.

SZ: Muss Europa seine Kräfte bündeln, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen?

Kleisterlee: Es darf sich jedenfalls nicht in nationalen Egoismen verlieren. Man sieht das ja bei der Flugzeugherstellung von Airbus: Produktion in Europa bleibt wichtig. Aber es ist nicht entscheidend, ob in Frankreich oder in Deutschland hundert Stellen mehr erhalten bleiben. Wenn wir mit Asien und Amerika mithalten wollen, müssen wir europäisch denken.

SZ: Philips verkauft neben Röntgengeräten auch Rasierer, Kaffeemaschinen und Bierzapfanlagen. Verzetteln Sie sich da nicht?

Kleisterlee: Es ist ein Irrtum zu glauben, Europas Konzerne könnten nur mit High-Tech-Produkten überleben. Entscheidend ist die Gesamtkomposition. Philips will den Menschen in all seinen Lebenslagen begleiten: Das kann mal der Rasierer oder der Flachbildschirm sein, und ein andermal ein Gerät aus dem Gesundheitsbereich.

SZ: Liegen diese Produkte technisch nicht viel zu weit auseinander, um sie in einem Konzern zu bündeln? Die Börse - auch Philips ist ja seinen Aktionären Rechenschaft schuldig - sieht Konglomerate mit Unbehagen.

Kleisterlee: Diese Auffassung teile ich nicht, im Gegenteil. Philips lebt ja gerade davon, eine breite, aber abgestimmte Palette an Produkten anzubieten. Übrigens ist unser Aktienkurs in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen.

Lesen Sie auf Seite 3, warum die Gesundheitsbranche eine Boombranche ist

SZ: Heißt das, die reine Technik verliert für Sie immer mehr an Bedeutung?

Kleisterlee: Für uns steht sie an zweiter Stelle - nach dem Kundennutzen. Verbraucher kaufen, was ihnen gefällt und was ihrem Lebensgefühl entspricht. Da sind in vielen Fällen Bedienbarkeit und Design längst wichtiger als die Technik.

SZ: Philips droht wegen der breiten Aufstellung ins Visier von Finanzinvestoren zu geraten. Ihren Börsenwert von nur 35 Milliarden Euro könnte die Branche schultern - und den Konzern dann gewinnbringend zerschlagen.

Kleisterlee: Ich habe mehrfach mit Finanzinvestoren gesprochen. Und glauben Sie mir, die wissen: So einfach ist es nicht. Ob Computertomograph oder Glühbirne - alle unsere Produkte leben von unserer starken Marke, von unserer Forschung und dem Vertrieb. Da können Sie nicht einfach Teile herauslösen und glauben, die verkaufen sich woanders genauso gut. Was wäre denn unsere Medizintechnik ohne den Namen Philips? Auch Finanzinvestoren erkennen diesen Wert.

SZ: Sie wollen lieber übernehmen, als übernommen zu werden?

Kleisterlee: Es werden Zukäufe kommen. Da bin ich mir sicher.

SZ: In welcher Größenordnung?

Kleisterlee: Oh, das wird von mehreren hundert Millionen bis zu einigen Milliarden Euro sein.

SZ: In der Gesundheitssparte hat Philips bereits mehrere Konkurrenten geschluckt und sich mit Milliardenzukäufen zu einem der Großen der Branche entwickelt. Weil Sie glauben, dass Kunden bald mehr für Gesundheit ausgeben müssen als für ihr Freizeitvergnügen mit Fernsehern und DVD-Spielern?

Kleisterlee: Menschen werden älter, und die Ausgaben für Gesundheit wachsen stark - in Entwicklungs- wie in Industrieländern. Damit wächst natürlich auch der Markt. Die Deutschen geben heute zehn Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für das Gesundheitswesen aus. In den USA sind es 15, in Asien nur fünf Prozent. Wir gehen davon aus, dass die Marke weltweit 20 Prozent erreichen kann.

SZ: Bis 2030 soll sich in den Industriestaaten die Zahl der über 65-Jährigen verdoppeln. Es wird eine nie dagewesene Nachfrage nach Diagnosen, Operationen, Therapien und Pflege einsetzen. Gut fürs Geschäft. Nur: Wer soll das eigentlich bezahlen? Schon jetzt klagen Regierungen doch über explodierende Kosten.

Kleisterlee: Wir brauchen einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft: Das heutige Gesundheitssystem wird bald nicht mehr finanzierbar sein. Mehr als eine Basisversorgung wird nicht mehr drin sein. Ich gehe davon aus, dass jeder Einzelne darüber hinaus mehr Verantwortung übernehmen muss.

© SZ vom 5. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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