Personalie:Entfremdung in Gütersloh

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Warum Bertelsmann-Aufsichtsratschef Gerd Schulte-Hillen seinen Kontrollposten beim Verlag Gruner+Jahr aufgibt.

Ulf Brychcy

(SZ vom 7.7.2003) — Die Entscheidung fiel bereits im März, die Verkündung folgt erst jetzt: Gerd Schulte-Hillen, 62, gibt seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender beim Hamburger Großverlag Gruner+ Jahr zum 30. Oktober auf.

"Der Schritt fällt mir nicht leicht, obwohl er richtig ist", sagt Schulte-Hillen, ganz "preußisch erzogener Westfale", wie er sich gern charakterisiert. An Selbstbewusstsein und Unerschrockenheit mangelt es dem einstigen Verlagschef, der fast zwanzig Jahre Gruner+Jahr (Stern, Geo, Brigitte, Capital) führte, wahrlich nicht.

Damit überragt er so manchen Spitzenmanager aus dem großen Bertelsmann-Reich. Seitdem die Konzerneigner Liz und Reinhard Mohn die Zügel wieder straff in ihren Händen halten, ist Widerspruch auf oberster Ebene eher selten geworden.

Schulte-Hillens Teildemission wurzelt in den großen Verwerfungen, die vor einem Jahr zum plötzlichen Abgang von Ex-Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff, 50, geführt haben. Der gebürtige Sauerländer, den gute Freunde "Bela" rufen dürfen, hatte maßgeblichen Anteil daran, dass Middelhoff herausgedrängt wurde.

Schulte-Hillen ist schließlich seit knapp drei Jahren Aufsichtsratsvorsitzender von Europas größten Medienkonzern, sein Urteil hat Gewicht. Doch dann drehte sich die Sache irgendwie gegen Schulte-Hillen, die Familiendynastie und ihr getreuer Aufsichtsratschef entfremdeten sich.

Höhepunkt dieser Krise war Reinhard Mohns bemerkenswerter Auftritt Mitte Februar. Am Stammsitz in Gütersloh präsentierte der 82-jährige Firmenpatriarch sein neues Buch und wetterte öffentlich gegen unfähige Manager, in Sonderheit gegen die im eigenen Haus. Schulte-Hillen, der mit seiner Frau Irene in der ersten Reihe saß, machte sich eifrig Notizen.

Widerrede nicht gestattet

Widerrede war dann aber nicht gestattet. Also wählte er den Spiegel, um dort in einem Interview vor Fehlentwicklungen und zu viel Familieneinfluss im täglichen Konzerngeschäft zu warnen.

Anschließend überboten sich einige Blätter mit Spekulationen, dass der Chefaufseher nun ganz bestimmt geschasst werde. Doch es kam anders, Schulte-Hillen konnte mit seinem couragierten Auftritt seine Position als Bertelsmann-Aufsichtsratschef eher stärken. Einige Bertelsmann-Vorstände zollten ihm Respekt, sprach er doch offen aus, was sie selber dachten.

Ganz unbeschädigt ist der Wahlhamburger allerdings keineswegs aus der Sache herausgekommen, wie der nun verkündete Abschied aus dem Kontrollgremium bei Gruner+Jahr zeigt. Offiziell heißt es, dass die strengen Regeln der Corporate Governance gegen den Doppelsitz bei der Mutter Bertelsmann und der Verlagstochter sprechen.

Tatsächlich aber hilft dieses formale Argument, um Schulte-Hillens starke Stellung zu beschneiden. Es ist ja nicht so, dass der Mann alles richtig einschätzt, was bei dem Medienriesen weltweit geschieht. Sein Nachfolger als oberster Aufseher bei Gruner+ Jahr wird übrigens der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Gunter Thielen, 60.

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