Papier zur Währungsunion:Mit freundlichen Grüßen aus Berlin

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Ein Symbol für die Einheit Europas. Die Frage ist nur: Wie soll die Zukunft der Euro-Zone aussehen? (Foto: dpa)

Der Bundesregierung gelingt zweierlei: nationalen Forderungen zu entsprechen und Zeit zu gewinnen.

Von Cerstin Gammelin und Alexander Mühlauer, Berlin/Brüssel

So fordernd Deutschland in der Flüchtlingskrise auftritt, so zurückhaltend ist die Bundesregierung, eine andere europäische Konstruktion krisenfest zu machen: die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion. Am kommenden Dienstag gibt es eine Generaldebatte im Europaparlament, Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und zwei EU-Kommissare werden über Vorhaben sprechen, die die Bundesregierung am liebsten ganz weit weg schieben würde. Eine gemeinsame europäische Sicherung der Spareinlagen zum Beispiel. Oder mehr Flexibilität beim Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Die Bundesregierung hat ihr anhaltendes Desinteresse, die notwendige Modernisierung der Wirtschafts- und Währungsunion voranzutreiben, hinter einigen Forderungen versteckt. Aus nationaler Sicht klingen diese so notwendig wie plausibel, im europäischen Maßstab allerdings dürften sie als unerfüllbar angesehen werden. Damit gelingt Berlin, strategisch gesehen, vor allem zweierlei: nationalen Forderungen zu entsprechen und gleichzeitig Zeit zu gewinnen.

In einem, wie in Berlin betont wird, "in der gesamten Bundesregierung abgestimmten" Positionspapier zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion räumen die Autoren zwar schon im zweiten Satz ein, dass die Arbeit an der "dauerhaften Festigung" der Wirtschafts- und Währungsunion nicht beendet sei. Nur wenige Sätze weiter stempeln sie allerdings die Modernisierungsvorschläge als unbrauchbar ab, welche die Präsidenten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank, Europäischem Parlament, Euro-Gruppe und Europäischem Rat in dem sogenannten "Fünf-Präsidenten-Bericht" zusammengetragen haben. Es fehle eine "klare Problemanalyse", heißt es in dem Papier aus Berlin. Diese müsse aber am Anfang der Debatte stehen; sie sei zugleich Voraussetzung, "um auf Dauer tragfähige Lösungen zu finden". Mit anderen Worten heißt das nichts anderes als: Wenn die Problemanalyse fehlt, kann es auch keine brauchbaren Ansätze zur Modernisierung geben.

Sanktionen für europäische Regierungen, die gegen die Regeln verstoßen

Was Berlin vorschlägt, geht an den aktuellen Zwängen vieler Euro-Länder vorbei. Die Bundesregierung fordert, die Schuldenquoten dauerhaft zu senken und das Grundgesetz der Wirtschafts- und Währungsunion, den Stabilitäts- und Wachstumspakt, "stärker stabilitätsorientiert" anzuwenden. Europäische Regierungen, die gegen die Regeln verstoßen, müssten endlich sanktioniert werden. "Die Bereitschaft zur Verhängung von Sanktionen würde die richtigen Anreize setzen." Nicht die Euro-Zone als Ganzes müsse betrachtet werden, sondern jeder Mitgliedstaat einzeln. Was nichts anderes heißt, als dass das dauerdefizitäre Frankreich jetzt endlich sanktioniert werden müsste. Was allerdings angesichts der politischen Lage unvorstellbar ist.

Reformanreize, so die Bundesregierung weiter, sollten über den EU-Haushalt gesetzt werden. Dieser solle darauf orientiert werden, Strukturreformen und gemeinsame Binnenmarktprojekte wie die Energieunion oder die Digitalisierung der Wirtschaft voranzutreiben. Zugleich sollte der Haushalt flexibler geplant werden, um auf neue Entwicklungen reagieren zu können - zweifelsohne ein klarer Hinweis auf die umstrittene Finanzierung der Flüchtlingskrise. Immerhin: Die Bundesregierung hält einen speziellen Haushalt für die Euro-Zone zumindest für prüfenswert.

Wesentlich dringlicher erscheint es der Bundesregierung, künftig Staatsanleihen in Bankbilanzen ebenfalls eigenkapitalpflichtig zu machen oder mindestens deren Anteil an der Bankbilanz zu begrenzen. Damit könnten, so heißt es in dem Papier, "Marktanreize für den Schuldenabbau" gestärkt und mögliche Staatsinsolvenzen besser gehändelt werden. Schließlich dringen die Autoren aus Berlin auf chinesische Mauern. Zuerst in der Europäischen Zentralbank, wo die Finanzaufsicht vollständig von der Geldpolitik getrennt werden müsse, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Aber auch in der Europäischen Kommission. Die Brüsseler Behörde müsse ihre Aufgabe, die Einhaltung der Europäischen Verträge zu überwachen, "unabhängig von politischen Interessen" wahrnehmen. Längerfristig müssten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auch zu Vertragsänderungen bereit sein. Die Krisen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, "dass sie sich nur mit mehr und nicht durch weniger Europa überwinden lassen".

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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