Ostertag:Perfekter Anschluss

Lesezeit: 4 min

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Aus dem Keller zur Firma mit 285 Mitarbeitern: Vor 22 Jahren wagte Gerhard Ostertag mit einem Telefonie-Unternehmen den Schritt in die Selbständigkeit.

Von Dagmar Deckstein

Natürlich haben ihn seine Freunde und Kollegen seinerzeit für vollkommen verrückt erklärt. "Wie kannst du nur aus dem sicheren Hafen Siemens auslaufen und dich in die ganz und gar unsicheren Gewässer der Selbständigkeit wagen?" So hieß es anno 1995, als der Fernmeldeelektroniker Gerhard Ostertag den Eindruck hatte, dass es sein Arbeitgeber nicht mehr so recht verstand, auf die speziellen Bedürfnisse seiner Telefoniekunden einzugehen.

Dabei hatte sich Ostertag über 18 Siemens-Jahre lang als Vertriebs- und Servicemanager bemüht, eben diese Kundenwünsche bestmöglich zu bedienen. Er schrieb und programmierte sogar nachts und in seiner Freizeit Lösungen für Kunden. Die Telekommunikation war eigentlich vor 170 Jahren die Keimzelle des Münchner Konzerns, mit der er noch im Jahr 2000 die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftete. Von der Telefonie aber verabschiedete sich Siemens peu à peu. 2008 war endgültig Schluss damit, kein Anschluss mehr unter der Siemens-Nummer.

Im hauseigenen Partykeller hatte die Firma ihre ersten Geschäftsräume

Im Nachhinein gesehen war es also durchaus klug, dass Gerhard Ostertag, heute 59, beizeiten den Absprung wagte. Inzwischen, 22 Jahre später, hat sich aus der Neugründung der Eheleute Gerhard und Gisela Ostertag, die damals privat für die Bankenkredite hafteten und nur einen einzigen Angestellten hatten, ein florierendes, mittelständisches Unternehmen mit 285 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 27,6 Millionen Euro entwickelt. Einst gestartet im hauseigenen Partykeller im schwäbischen Walddorfhäslach in der Rechtsform "Eingetragener Kaufmann", firmiert Ostertag seit 2010 als Aktiengesellschaft, als Ostertag Solutions AG, vertreten an bundesweit 16 Standorten. Im Juni 2016 hat sich die AG sogar einen Finanzinvestor ins Boot geholt. Neuer Mitgesellschafter ist seither VR Equitypartner aus Frankfurt. Die Tochter der DZ Bank und der WGZ Bank, den Spitzeninstituten der Genossenschaftsbanken in Deutschland, hat sich Ostertag sehr gezielt ausgesucht: "Um unser starkes Wachstum nach einer Buy-and-build-Strategie weiterhin finanzieren zu können, haben wir aktiv nach Investoren Ausschau gehalten." Behilflich waren Ostertag die Experten der Münchner Beratungsfirma Antevorte, die auch geeignete Finanzpartner vermittelt.

Aber was wächst da eigentlich so enorm bei Ostertag Solutions? Telefonieren, so denkt sich der unbefangene Laie, kann doch jeder überall, zumal in Zeiten der Smartphones. Weit gefehlt. Die Ostertag AG hat sich darauf spezialisiert, Telekommunikationsanlagen exakt auf die Bedürfnisse von Firmenkunden zuzuschneiden. "Wir kaufen ein Produkt ein und veredeln es", so fasst Gerhard Ostertag kurz sein Geschäftsmodell zusammen. "An so einer Telefonanlage gibt es ständig etwas zu warten oder weiterzuentwickeln, und sei es nur, die Anschlüsse bei firmeninternen Umzügen aktuell zu halten." Wie zum Beispiel lässt es sich bewerkstelligen, dass die Zentrale einem Anrufer, der für eine bestimmte Thematik den passenden Ansprechpartner sucht, rasch zu einer Verbindung verhilft? Keine leichte Aufgabe bei Zehntausenden Anrufen, die pro Monat in einer Firma auflaufen. Mit einer eigenen Software erarbeitet Ostertag Lösungen unternehmensweit für alle Mitarbeiter und alle Niederlassungen eines Kunden. Die Softwarelösungen werden durch die Firma Proderes mit Geschäftsführerin Gisela Ostertag entwickelt. Alle Anteile gehören der Familie Ostertag.

Zu den Kunden zählen neuerdings auch Krankenhäuser - etwa die städtischen Kliniken Karlsruhe -, mittelständische Firmen, ebenso MAN, Daimler, die Commerzbank oder Autobauer Porsche. Allein für Porsche mit seinen signifikant mit "911" beginnenden 25 000 Firmenanschlüssen seien ständig 25 Ostertag-Mitarbeiter am Ort, um die Kommunikationskanäle zu sichern. Inzwischen zählt Ostertag Solutions 1500 Kunden mit 1,5 Millionen sogenannten "Ports", also Telefonie-Anschlüssen inklusive Computern und Druckern.

Ganz kleine Anbieter können die Anforderungen der Kunden nicht mehr erfüllen

Für das stetige und ungebrochene Wachstum gibt es einen einleuchtenden Grund: Der Markt dieser Telekommunikationsdienstleister ist zersplittert; auf ihm tummeln sich viele kleine Anbieter mit zehn bis 50 Beschäftigten, die aber bei den wachsenden Firmenanforderungen kaum noch mithalten können. Die Großen wiederum, wie etwa die Telekom, verabschieden sich zunehmend aus diesem - für ihre Verhältnisse - Nischengeschäft. "Für bestimmte Aufträge, wie etwa die von unseren Großkunden, kommt man aber erst ab einer bestimmten Größe in Frage", so Ostertag. Und so wächst der Mittelständler aus Walddorfhäslach vor allem durch Zukäufe kleiner, spezialisierter Firmen, die gut ins Portfolio passen. Dafür wiederum braucht es Finanzierungspartner - wie eben VR Equitypartner. Der Investor hält 49,9 Prozent der Anteile an der kurz nach seinem Einstieg gegründeten Ostertag Holding GmbH, die wiederum alle Anteile an der Ostertag AG besitzt. Die weiteren 50,1 Prozent gehören fünf Managern und Beiratsmitgliedern des Unternehmens, darunter Gerhard Ostertag, der 9,9 Prozent hält.

Der jüngste Einkauf erfolgte im vergangenen Mai: Die Übernahme der Telekommunikationssparte der Euromicron AG, die Netzwerkkomponenten auf Glasfaser-, Kupfer- und Drahtlosbasis entwickelt, produziert und vertreibt. Solche Zukäufe im zersplitterten Markt haben Gerhard Ostertag zufolge noch einen großen Vorteil für den wachsenden Mittelständler: "Wie kommt man sonst an 650 neue Kunden und an 70 Fachkräfte?" Letztere, zumal aus der ITK-Branche, bekommen auch Großkonzerne nicht mehr so einfach frei Haus geliefert. Aber eben solche innovativen Kräfte braucht auch Ostertag, um neue Technologien entwickeln und anbieten zu können. So schuf Ostertag zum Beispiel für das betreute Wohnen ein Überwachungsgerät, das in regelmäßigen Abständen prüft, wie es um die Vitalität der Bewohner steht. Die Bewohner erhalten einen automatisch generierten Anruf von der Anlage, die registriert, wie lange es dauert, bis der Angerufene abhebt. Wenn nicht, erscheint auf dem Tableau der Aufsicht ein Warnsignal. Noch ist dieses Gerät nicht im flächendeckenden Einsatz, aber in der Maschinenüberwachung wird die Ostertag-Innovation schon einmal erprobt. Auch andere innovative ITK-Lösungen wurden in Walddorfhäslach schon auf den Weg gebracht, etwa für die Alarmierung. Statt einer Lautsprecher-Durchsage warnt ein System über das Telefon-Display lautlos vor Amokläufern.

Nicht von ungefähr stehen zwei neue Einkäufe auf der Ostertag-Liste. Die wird das Unternehmen wohl brauchen, um seine "Agenda 2021" zu verwirklichen. Der Firmenumsatz soll bis dahin auf 100 Millionen Euro vervierfacht werden, die Mitarbeiterzahl 500 betragen. Und wenn Gerhard Ostertag dabei irgendetwas, etwa ein "externer Schock", wie die Ökonomenzunft das formuliert, in die Quere kommen sollte? "Meine Erfahrung war bisher immer: Was wir anfassen, wird gut." Und er hat eine Anekdote parat: "Als wir 1995 als Selbständige anfingen, habe ich eigenhändig einen VW-Bus ausgerüstet, damit unser erster Angestellter auch bequem zu den Kunden fahren kann. Heute haben wir einen Fuhrpark von 280 Fahrzeugen und einen eigenen Fuhrparkmanager."

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: