Ölindustrie:Unter Wasser

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Der Ölpreisverfall zerschmettert die Bilanzen der Erdölkonzerne und die Staatshaushalte wichtiger Förderländer.

Von Björn Finke und Jan Willmroth, London/München

Bob Dudley hat schon anstrengende Verhöre hinter sich. "Es war ein arbeitsamer Morgen", sagt der Chef des Ölkonzerns BP den Journalisten in der Londoner Firmenzentrale. "Das passt zur Lage unserer Branche: Dieses Jahr wird sehr turbulent." Das britische Unternehmen legte am Dienstag schlechte Zahlen für 2015 vor - und Dudley erklärte sie erst Analysten und Investoren, bevor dann die Presse dran kam. Der niedrige Ölpreis hat die Gewinne im laufenden Geschäft halbiert. Unter dem Strich stand sogar ein Verlust von 6,5 Milliarden Dollar, weil BP weitere hohe Entschädigungen für die Ölpest im Golf von Mexiko 2010 verbuchte. Analysten und Aktionäre waren enttäuscht, der Aktienkurs sank deutlich.

Es dürfte den 60-jährigen Konzernchef wenig trösten, dass die ganze Branche leidet. Kurz nach BP berichtete US-Rivale Exxon Mobil, die weltweite Nummer eins, ebenfalls über einen Einbruch beim Gewinn. Vergangene Woche musste schon Chevron den ersten Quartalsverlust seit 2002 verkünden, und am Donnerstag wird Europas größter Öl- und Gaskonzern Royal Dutch Shell vermutlich einen drastisch geschrumpften Jahresgewinn für 2015 präsentieren.

Der rasante Verfall des Ölpreises - um zwischenzeitlich mehr als 75 Prozent seit Sommer 2014 - zerschmettert aber nicht nur die Bilanzen der Ölkonzerne, denn ein Großteil der weltweiten Ölreserven unterliegt direkt oder indirekt staatlicher Kontrolle. So schlagen sich die verschwundenen Öleinnahmen mit gleicher Wucht schlagen in den Staatshaushalten Erdöl exportierender Länder nieder. Mancherorts verschärft die Entwicklung nur eine Wirtschaftskrise. Einige Staaten jedoch stehen bereits am Rand des Bankrotts und rufen internationale Geldgeber zur Hilfe. Jüngstes Beispiel ist Nigeria: Die seit acht Monaten amtierende Regierung bittet die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank um Notkredite in Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Nigeria - nahezu 174 Millionen Einwohner, Mitglied im Club der Erdöl exportierenden Länder (Opec) - ist inzwischen Afrikas größte Volkswirtschaft. Zuletzt steuerte das Erdöl mehr als 70 Prozent der Staatseinnahmen bei, im laufenden Jahr könnte dieser Anteil auf ein Drittel sinken, erwartet die Regierung.

Ölplattform von BP in der Nordsee, 100 Meilen östlich des schottischen Aberdeen: Das Fördergebiet hat seine besten Jahre lange hinter sich. (Foto: Andy Buchanan/Reuters)

Mit diesen Sorgen ist das Land nicht allein. Das ebenfalls stark vom Ölexport abhängige Aserbaidschan verhandelt derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank über Notkredite. Die beiden Institutionen haben sich bereits auf eine Serie von Hilfszahlungen eingestellt. Im Fokus stehen zudem Brasilien, das derzeit seine schlimmste Rezession seit mehr als einem Jahrhundert erlebt, und mit Ecuador ein weiteres Opec-Mitgliedsland. Selbst die venezolanische Hauptstadt Caracas könnten IWF-Gesandte erstmals seit mehr als zehn Jahren wieder besuchen - das Land steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Berechnungen auf Grundlage von IWF-Daten zeigen, wie heftig der Ölpreisverfall die meisten Opec-Staaten getroffen hat. Die Datenlage zu Libyen ist wegen des anhaltenden Krieges schlecht, Indonesien ist erst seit Anfang Dezember wieder offiziell Mitglied in der Organisation. Das Bruttoinlandsprodukt der übrigen elf Opec-Mitglieder sank im Jahresvergleich um schätzungsweise 16 Prozent. Das durchschnittliche Haushaltsdefizit dieser Länder vervielfachte sich von lediglich 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2014 auf beinahe zehn Prozent im vergangenen Jahr.

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: sz)

Das billige Öl gefährdet die Stabilität ganzer Staaten - das ist gefährlich

Dr Ölpreisverfall bedroht inzwischen die politische Stabilität einiger Förderländer, die ihren Ölreichtum traditionell auch einsetzen, um die Bevölkerung bei Laune zu halten. Jetzt streichen sie Subventionen und zehren von ihren Devisenreserven. Fast alle versuchen, schwindende Einnahmen auszugleichen, indem sie mehr Öl fördern und exportieren - was das weltweite Überangebot noch vergrößert hat. Genau wie die Regierungen müssen auch die Ölkonzerne ihre Kosten senken. BP-Chef Dudley verkündete, weitere 3000 Stellen zu streichen, nachdem er erst im Januar den Abbau von 4000 Jobs bekannt gegeben hatte. Zusammen ist dadurch jeder zehnte Job bedroht. Die anderen Unternehmen kappen ebenfalls Ausgaben und Arbeitsplätze und verschieben Investitionen. Seit der Ölpreis sinkt, also seit etwa 19 Monaten, legten Konzerne weltweit Förderprojekte im Wert von 380 Milliarden Dollar auf Eis. In den kommenden Jahren dürften daher weniger neue Quellen mit der Produktion beginnen. Und das wiederum wird den Preis stützen. BP-Manager Dudley sagte, der Ölpreis werde zwar noch länger niedrig bleiben, "aber nicht für immer". Die Notierung ist abgestürzt, weil die Wirtschaft in China schwächelt und das Land weniger des Rohstoffs nachfragt. Zugleich stieg das Angebot: In Nordamerika boomte die Förderung von Öl und Gas per Fracking. Russland fördert auf Rekordniveau. Das Produzenten-Kartell Opec konnte sich nicht auf Förderkürzungen einigen. Zu groß wäre die Gefahr, Marktanteile zu verlieren, etwa an die neuen Konkurrenten in den USA. Die, so die zusätzliche Hoffnung, könnte man durch anhaltend niedrige Preise in den Konkurs treiben. Viel Produktion, geringe Nachfrage - logische Folge ist, dass sich weltweit in den vergangenen Monaten die Öllager kräftig füllten. Dudley scherzte, dass bald jeder Tank "und jedes Schwimmbecken" bis zum Rand voll mit Öl sei. Er schätzt, dass schon in der zweiten Jahreshälfte die Nachfrage das globale Öl-Angebot wieder übersteigen wird. Wenn wegen des niedrigen Preises viele Projekte verschoben und alte Quellen stillgelegt wurden, werden sich die Lager leeren und die Preise allmählich wieder steigen. Nicht zuletzt die Reaktion der Konzerne wird den Markt also wieder ins Gleichgewicht bringen - doch das ist eine schmerzhafte Balanceübung.

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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