Nur 60 Euro Miete:Rasen mähen und Freunde werden

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Sorglos wohnen: Das gelingt nur wenigen Studierenden - denn die Mieten sind extrem gestiegen. (Foto: Florian Peljak)

Bei "Wohnen für Hilfe" kommen Studenten günstig bei Vermietern unter - sie haben dann aber auch Pflichten. Nicht immer ist das einfach.

Von Felicitas Wilke, Garching

Wenn der PC von Helga Poschenrieder mal wieder streikt, braucht sie keinen Techniker anzurufen. Lu Miao erledigt das. Der 30-jährige Maschinenbau-Doktorand ist seit drei Jahren der Mitbewohner von Helga Poschenrieder. Er wohnt in einem Zimmer im Haus der 81-Jährigen in Garching bei München, nur eine U-Bahn-Station entfernt von der Technischen Universität, die in Garching einen Campus betreibt. Als der Ehemann der pensionierten Diplom-Psychologin vor drei Jahren starb, war sie plötzlich allein in dem großen Haus. Das müsse ja nicht sein, habe sie gedacht und gleich zum Telefon gegriffen, als sie von "Wohnen für Hilfe" las.

In mehr als 30 deutschen Universitäts- und Hochschulstädten organisieren Vereine, das Studentenwerk oder die Stadt dieses Projekt, bei dem Senioren, Berufstätige oder Familien den Studenten zum günstigen Preis ein Zimmer anbieten und im Gegenzug Hilfe im Alltag erhalten. "Einige kaufen für ihren Wohnpartner ein, andere erledigen die Gartenarbeit", sagt Marion Schwarz, die als Geschäftsführerin des Seniorentreffs Neuhausen für das "Wohnen für Hilfe" in München verantwortlich ist. Manchmal gehe es auch einfach nur um "das gute Gefühl, dass man nachts nicht alleine in der Wohnung ist", sagt Schwarz. Außer Pflegeleistungen ist so ziemlich alles möglich.

60 Euro Miete für ein Zimmer in der Nähe von München - ein paradiesisch anmutender Betrag

Lu Miao zum Beispiel schneidet an diesem Nachmittag im Herbst ein paar karge Äste im Garten mit der Heckenschere ab, er mäht regelmäßig den Rasen oder geht abends mit Hund Harun Gassi. Für ungefähr 15 Stunden Hilfe pro Monat wohnt er mietfrei in einem 15 Quadratmeter großen Zimmer mit eigenem Bad im Haus von Helga Poschenrieder - zahlen muss er nur die Nebenkosten, die monatlich 60 Euro betragen. Ein paradiesisch anmutender Betrag in einer Stadt, in der die Mieten zuletzt immer stärker gestiegen sind.

Für eine 30 Quadratmeter große Wohnung müssen Studenten in München im Schnitt 665 Euro Warmmiete im Monat zahlen. Das hat, wie am Mittwoch berichtet, gerade erst eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) gezeigt. Und nicht nur dort werden Zimmer und Apartments immer teurer. In Groß- und Universitätsstädten stiegen die durchschnittlichen Preise für Neuvermietungen in den vergangenen sieben Jahren um bis zu 70 Prozent, heißt es in der IW-Studie. "Diese Entwicklung betrifft nicht nur Großstädte, sondern auch typische Universitätsstädte wie Konstanz, Darmstadt oder Freiburg", sagt Achim Meyer auf der Heyde, der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Weil viele Menschen in Zeiten niedriger Zinsen ihr Geld zunehmend in Immobilien stecken, sind die Kaufpreise für Häuser und Wohnungen und folglich auch die Mieten gestiegen. Zudem ist die Zahl der Studenten in Deutschland seit 2007 um 42 Prozent gestiegen, die Zahl der öffentlich geförderten Wohnplätze jedoch nur um sechs Prozent. Zwischen Angebot und Nachfrage klafft also eine Lücke. Und die treibt die Preise.

"Ich habe Freunde, die über Monate hinweg jeden Tag bei mehreren WG-Castings waren und immer noch kein Zimmer gefunden haben", sagt Lu Miao, der aus China stammt und vor vier Jahren nach Deutschland kam, um zu promovieren.

Auch bei "Wohnen für Hilfe" übersteigt die Nachfrage nach Zimmern das Angebot. Trotzdem hat Nicole Krauße, die das Projekt in Freiburg beim dortigen Studierendenwerk verantwortet, seit 2002 in mehr als 1000 Fällen Studenten und Menschen mit Wohnraum zusammengebracht. Die verminderte Miete sollte aber nicht der einzige Anreiz sein, sich bei "Wohnen für Hilfe" zu bewerben, sagt Krauße. "Das Ganze lebt vom sozialen Miteinander." Viele Freundschaften, die beim Zusammenleben entstanden seien, hätten bis heute Bestand. Wer sich bei ihr um ein Zimmer oder um eine Wohnung bewirbt, sollte daher "kommunikativ sein und Lust auf dieses Miteinander haben", sagt Krauße.

Das heißt nicht, dass die Wohnpartner ständig Zeit miteinander verbringen. "Manchmal sehen wir uns zwei Tage lang gar nicht, wenn Lu viel unterwegs ist", sagt Poschenrieder. Aber manchmal quatschen sie "bis nach Mitternacht" über das Uni-Leben, über deutsche Redewendungen und über ihre zwei unterschiedlichen Kulturen. Inzwischen hat Miao sogar schon einmal Weihnachten mit Poschenrieder, ihren Kindern und Enkeln gefeiert.

Längst sind es nicht mehr nur Senioren, die bei "Wohnen für Hilfe" mitmachen. "Zu unseren Vermietern gehören auch Berufstätige, Familien oder Alleinerziehende, die Unterstützung gebrauchen können", sagt Krauße vom Studierendenwerk Freiburg. Manchmal stellen die Vermieter ihren Studenten ein Zimmer zur Verfügung, manchmal ist es das ausgebaute Dachgeschoss oder sogar die Einliegerwohnung. Die Bandbreite ist groß. Marion Schwarz von "Wohnen für Hilfe" in München rät aber, dass die Wohnraumbietenden mindestens in einer Drei-Zimmer-Wohnung leben sollten - sonst könnte es doch etwas eng werden.

So gut das Konzept in vielen Fällen funktioniert: Nicht alle Wohnpartner haben so viel Glück miteinander wie Helga Poschenrieder und Lu Miao. Denn wie in jeder WG kann es auch bei diesem Modell Missverständnisse, Streit und Frust geben. Genau das hat Theresa Schwarz erlebt. Die Kölner Studentin lebte zehn Monate lang neben einer älteren Dame in einem separaten Apartment - schöne Wohnung, gute Lage, vergünstigte Miete, aber auch: schlechte Stimmung. "Wenn ich nicht schnell genug geputzt oder mich nach Ansicht meiner Vermieterin ungeschickt angestellt habe, hielt sie mir vor, dass viele andere Menschen froh wären, hier wohnen zu dürfen", erinnert sich die 21-Jährige.

Wenn die Menschen mit Wohnraum so zu feilschen beginnen, dann werde sie schnell misstrauisch, sagt Marion Schwarz, die zufällig so heißt wie die Studentin aus Köln. Wer sich als Vermieter etwas dazuverdienen wolle, könne das tun, "aber lieber über die Privatzimmervermittlung des Studentenwerks", sagt Schwarz. Bei "Wohnen für Hilfe" gilt für sie die Faustregel: Gezahlt werden nur die Nebenkosten und pro Quadratmeter Wohnraum leisten die Studenten eine Stunde Hilfe im Monat. In anderen Städten wird das anders gehandhabt; in Freiburg kann durchaus Miete anfallen, wenn viel Platz da ist und nicht so viel Hilfe gebraucht wird.

Wichtig sei es aber in jedem Fall, klare Absprachen zu treffen - zum Beispiel, wie die Arbeitsstunden erfasst werden und ob sie verfallen, wenn der Vermieter im Urlaub oder der Student in den Semesterferien ist. "Kommunikation ist alles", sagt Krauße. Wie das eben in einer WG so ist.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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