Nokia-Boykott:Krokodilstränen im Schnäppchenland

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Es ist allzu leicht, Nokia für die Bochumer Werksschließung zu schelten. Ehrlicher wäre es, sich an die eigene Nase zu fassen: Denn wir alle können nur billig.

Thorsten Denkler, Berlin

Da wird Nokia Boss Olli-Pekka Kallasvuo jetzt aber zittern: Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) und SPD-Fraktionschef Peter Struck rufen zum Nokia-Boykott auf. Grund: Der finnische Weltkonzern schließt seine Bochumer Handy-Produktion.

Hauptsache billig: Hier hängen Nokia-Handys in einem Bochumer Shop. (Foto: Foto: dpa)

Mehr als 2000 Menschen verlieren ihren Job. Für die Betroffenen ist das tragisch. Ein Boykott aber hilft niemandem: weder den von Entlassung Bedrohten, noch dem Unternehmen. Nötig ist vielmehr der dringende Appell an die Verbraucher, dem Billigwahn abzuschwören.

Für global agierende Konzerne wie Nokia ist die Welt ein Dorf. Wenn in Rumänien billiger produziert werden kann, dann wird eben in Rumänien produziert. Ja, Nokia hat Subventionen für das Werk in Bochum bekommen. Aber nach Stand der Dinge gibt es noch keinen Beweis, dass das Unternehmen sich nicht an alle Vorgaben gehalten hat.

Überhaupt ist Nokia womöglich das falsche Ziel für Kritik. Der Konzern gilt seit Jahren als Branchenprimus, wenn es um nachhaltige Unternehmensführung geht - sowohl in der sozialen Verantwortung als auch in Umweltfragen. Das gilt nicht nur für den Stammsitz in Finnland, sondern für alle weltweit neun Handy-Werke.

Ein moralische Verpflichtung, für immer und ewig in Bochum zu produzieren, gibt es nicht. Es kann sie nicht geben.

Im Gegenteil: Soziale Verantwortung darf nicht allein von den Unternehmen verlangt werden. Wenn es überhaupt so etwas wie eine moralische Verpflichtung gibt, dann liegt sie auch bei den Konsumenten, sprich: den Handy-Käufern.

Die meisten Verbraucher kümmern sich beim Kauf eines Handy einen feuchten Kehricht um die sozialen Bedingungen in einem Unternehmen, die Bezahlung der Mitarbeiter oder gar den Wirtschaftsstandort, der diese Firmen ansiedeln lässt. Wichtig für den Konsumenten ist bislang noch allein der Preis: möglichst viel Produkt für möglichst wenig Geld.

Das gilt selbstverständlich für alle Branchen. Beispiel Lidl: Inzwischen dürfte allgemein bekannt sein, dass die Mitarbeiter dort schlecht entlohnt und Betriebsräte nicht gerne gesehen sind. Dennoch rennen die Deutschen diesem und anderen Discountern die Bude ein. Die Schnäppchenjäger im Land haben die Moral längst besiegt. So sägen wir fleißig alle miteinander an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Wenn sich am Kaufverhalten der Konsumenten nichts ändert, werden die Produzenten weiter von Billiglohnland zu Billiglohnland ziehen. Boykott ist da keine Lösung. Nicht allein den Preis entscheiden zu lassen, schon.

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