Niederlande:Aids-Risiko ist versicherbar

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Aids-Infizierte gelten bisher weltweit als schlichtweg nicht versicherbar. Holländische Versicherer wollen dies nun ändern und bieten Lebensversicherungs-Policen zu relativ günstigen Preise an.

Von Martin Reim

Das Geschäft von Versicherern ist es, Wagnisse einzugehen. Doch manchmal wird es selbst den Risiko-Profis zu viel.

Die rote Schleife symbolisiert weltweite Solidarität im Kampf gegen Aids. Holländische Versicherer kommen HIV-Infizierten nun entgegen, indem sie relativ günstige Lebensversicherungen anbieten. (Foto: Foto: AP)

So gibt es international keine Gesellschaft, die HIV-Infizierten eine Lebensversicherung zu einigermaßen erschwinglichen Konditionen verkauft. Grund: Die Gefahr, dass diese Menschen rasch sterben, gilt als zu groß.

Nun haben eine Reihe holländischer Gesellschaften diese Haltung revidiert. Wie ein Sprecher des dortigen Versicherer-Verbandes bestätigt, wollen Großkonzerne wie Aegon und ING die Policen "zu vernünftigen Preisen" anbieten. Es handle sich dabei um eine "Weltpremiere".

Zwei- bis dreimal höhere Prämie

Wichtigste Voraussetzung ist, dass die potenziellen Kunden die Aids-Standardtherapie erfolgreich absolviert haben. Außerdem dürfen sie sich niemals Drogen gespritzt haben.

Anlass des Umschwungs war eine breit angelegte Studie in den Niederlanden, wonach die Lebenserwartung bei solchen Rahmenbedingungen in etwa so hoch liege wie bei Zuckerkranken.

Der Verband forderte alle seine Mitgliedsfirmen auf, dies in ihrer Tarifkalkulation zu berücksichtigen. Wie der Sprecher erklärt, wird die Prämie zwar immer noch beim "Zwei- bis Dreifachen" des Niveaus bei Gesunden liegen. Bislang sei es für Infizierte jedoch bestenfalls möglich, sich zum Zehn- bis Zwanzigfachen des Normaltarifs zu versichern.

Diese Zahlen gelten nach Angaben des Verbandssprechers für so genannte Risiko-Lebensversicherungen, bei denen das eingezahlte Geld nicht verzinst wird. Bei Kapital-Policen liegen die Aufschläge niedriger.

Schwule werden "aussortiert"

Die Nachricht aus den Niederlanden sei ein "Hammer", sagt Christian Brandt, Geschäftsführer des Versicherungsmaklers Comvers. Die Firma ist auf homosexuelle Kunden spezialisiert. "Ich hoffe, dass dieses Beispiel auch in Deutschland Schule macht."

Bislang gälten HIV-Infizierte "schlichtweg als nicht versicherbar". Die Unternehmen erfahren laut Brandt von dem Risiko, wenn der Antragsteller die Frage nach Arztbesuchen in den vergangenen Jahren oder chronischen Erkrankungen korrekt beantworte.

Falls er die Infektion verschweige und dies komme anschließend auf, gebe es keinen Cent von der Versicherung. Ausnahme: Der Infizierte weiß zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nachweislich nichts von der Ansteckung.

Nach Kenntnis Brandts gibt es in Deutschland lediglich einige wenige Unternehmen, die Kapital-Lebensversicherungen unter solchen Voraussetzungen offerieren; dabei gelte allerdings erst nach dreijähriger Einzahlung die volle Deckung. Angebote für langlaufende Risiko-Lebensversicherungen sind dem Experten nicht bekannt.

Laut Brandt wollen eine Reihe von Versicherern das Risiko, HIV-Infizierte unter ihren Kunden zu haben, noch auf andere Weise senken: "Sie verweigern Männern, die einen anderen Mann als Begünstigten für den Todesfall einsetzen, ganz einfach den Abschluss. Dadurch möchten sie Schwule aussortieren."

Zurückhaltung in Deutschland

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Pendant der holländischen Vereinigung, reagiert zurückhaltend auf den Vorstoß aus dem Nachbarland.

Eine Sprecherin schließt aus, dass der GDV eine ähnliche Empfehlung abgibt. "Hier geht es um die Kalkulation von Risiken, und das ist ureigenste Sache jedes einzelnen Unternehmens." Marktführer Allianz Leben teilte mit, man verfolge "aufmerksam" die medizinischen Fortschritte.

Ein Sprecher der Ergo-Gruppe - zu ihr gehören Branchengrößen wie Hamburg-Mannheimer und Victoria - erklärte, die holländische Studie sei bei den Unternehmen "bekannt". Bis auf weiteres bleibe eine HIV-Infektion jedoch "Ausschlusskriterium".

© SZ vom 11.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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