Neue Stromtrasse:Lange Leitung

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Nach mehr als einem Jahrzehnt Bau- und Planungszeit geht die "Thüringer Strombrücke" in Betrieb. Den Transport von Elektrizität macht das deutlich billiger. Aber der Widerstand in der Bevölkerung ist groß.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Nicht überall wird gefeiert an diesem Donnerstag. Zum Beispiel nicht im Büro von Peer Schulze. "Schon enttäuschend, dass das Bauwerk jetzt dort steht", sagt Schulze. "Für mich ist das nach wie vor unglücklich gelaufen." Schulze ist Bürgermeister der Gemeinde Ilmtal in Thüringen, das Bauwerk: die Südwest-Kuppelleitung, auch bekannt als Thüringer Strombrücke. Eine Stromleitung zwischen Sachsen-Anhalt und Bayern. Bis zuletzt hatten die Gemeinden im Ilmtal gegen die Strommasten gekämpft, Alternativen ins Feld geführt, die Kalkulationen in Frage gestellt. Doch vor Gericht unterlagen sie. "Die Argumente sind nicht ernsthaft geprüft worden", sagt der parteilose Schulze. "Die Teilhabe an Politik hat das nicht gefördert." Viele in der Gemeinde seien enttäuscht.

300 Kilometer weiter ist die Stimmung am Donnerstag ganz anders. In der Zentrale des ostdeutschen Netzbetreibers 50 Hertz gibt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff persönlich das Kommando zur Zuschaltung der neuen Leitung. "Wir lassen die Brüder und Schwestern im Westen nicht im Stich", scherzt er. "Wir liefern weiter Strom." Ein kurzes Telefonat mit der Netzwarte später fließt er - Richtung Bayern. Mit dem Strom könne dort weiter die Wirtschaft wachsen, damit umgekehrt die Transferzahlungen des Länderfinanzausgleichs fließen können. So kalkuliert Haseloff, rein spaßeshalber.

"Am Anfang haben wir viele Fehler gemacht, aber wir haben unsere Lektion gelernt."

Tatsächlich aber war die Trasse einer der ersten großen Schauplätze des Widerstands gegen Freileitungen. Zu Tausenden marschierten die Thüringer gegen die Querung des Rennsteigs, bemühten Anwälte, ließen sich Gutachten schreiben. Bis vor das Bundesverwaltungsgericht ging der Streit. "Am Anfang haben wir viele Fehler gemacht", sagt Frank Golletz, technischer Leiter bei 50Hertz. "Aber wir haben unsere Lektion gelernt."

Die Strecke durch Sachsen-Anhalt und Thüringen allein hat die deutschen Stromkunden 320 Millionen Euro gekostet, errichtet hat sie 50Hertz. Das kurze Stück durch Bayern bauten die Kollegen von Tennet. Damit besteht nun eine direkte Stromverbindung zwischen Halle und Schweinfurt - und das macht das Handling des Stromnetzes wesentlich leichter. Denn in der Vergangenheit hatten große Mengen Stroms gar nicht Richtung Süden transportiert werden können. Die Folge: Im Norden mussten Windräder trotz guten Windes abgeschaltet werden, im Süden hingegen Kraftwerke ans Netz gehen, um die Stabilität des Stromnetzes zu sichern. Rund 600 Millionen Euro kostete dieses so genannte "Redispatch" allein 2016. Die Kosten dafür werden über die Netzentgelte erhoben - und somit ebenfalls von Stromkunden.

Die Strombrücke soll den Aufwand nun senken. "Sie wirkt einer weiteren Kostensteigerung entgegen", sagt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). "Vor allem aber erhöht der Lückenschluss die Versorgungssicherheit." Auch für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien schaffe er die Voraussetzungen. Eine erste Feuerprobe hatte die Leitung schon am Mittwoch zu bestehen: Wegen des Sturms war Westeuropas Netz proppenvoll mit Windstrom, am Mittag wurde deshalb die neue Leitung vorübergehend zugeschaltet. Prompt entspannte sich die Lage.

Schon Ende 2015 war das erste von zwei Leitungssystemen der Strombrücke in Betrieb gegangen. Die Folge war unmittelbar spürbar: Die Redispatch-Kosten im ostdeutschen Stromnetz sanken von 354 Millionen Euro 2015 auf etwas mehr als die Hälfte im Jahr darauf. "Sie sehen - Netzausbau wirkt", sagt 50-Hertz-Chef Boris Schucht. Mit einer Leistung von insgesamt 5000 Megawatt könnten durch die Leitung gleich mehrere Atomkraftwerke ersetzt werden.

Allerdings bleibt noch eine Menge zu tun, jenseits der knapp 200 Kilometer langen Strombrücke am Ilmtal vorbei. Leitungen mit einer Gesamtlänge von 5900 Kilometern finden sich derzeit im "Bundesbedarfsplangesetz", der Bibel des Netzausbaus; davon gut 3000 Kilometer als Verstärkung bestehender Netze. Genehmigt davon sind bisher 450 Kilometer, gebaut 150 Kilometer. Zuletzt waren im zweiten Quartal 2017 wieder einige Kilometer hinzugekommen: genau acht. Und der nächste Streit steht schon an, diesmal zur Nord-Süd-Verbindung Südlink. Die Landesregierung in Thüringen will verhindern, dass auch sie den Freistaat passiert.

Schließlich haben die Thüringer schon die Strombrücke erduldet.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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