Nach der Tarifeinigung:Überall Verlierer - auf der gesamten Strecke

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Endlich, die Einigung im Bahn-Tarifstreit ist da. Nach mehr als einem Dreivierteljahr Dauer-Hickhack. Der hart erkämpfte Kompromiss lässt Bahn und Lokführer so erleichtert aussehen wie frischgebackene Eltern. Dabei gibt es nur Verlierer.

Melanie Ahlemeier

Der Kompromiss war eine schwere Geburt. Zehn Monate gingen die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die Deutsche Bahn mit ihrem gemeinsamen Kind schwanger. Herausgekommen ist ein Tarifvertrag, mit dem beide Parteien leben können. Irgendwie. Groß vorzeigen und herumprahlen will aber keiner - so schön finden die Verhandlungspartner das Ergebnis dann doch nicht.

Gut gelaunt: GDL-Chef Manfred Schell war zur Kur in Radolfzell am Bodensee. (Foto: Foto: Ahlemeier)

Denn der mit viel Tamtam gefundene Kompromiss ist kein Wunschkind. Im Gegenteil: Es ist ein Werk, das nicht verhindert werden konnte und irgendwie raus musste.

Auf dem Weg zum hart umkämpften Ziel sind viele auf der Strecke geblieben. Allen voran die GDL. Den Bundesvorsitzenden Manfred Schell einem Patriarchen gleich die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber Bahn führen zu lassen, war strategisch unklug. Für viele ist Schell - vor allem aufgrund seines Auftritts in Halle an der Saale nach dem Fall der Mauer - der Ziehvater der GDL. Er hat die Gewerkschaft im Osten aufgebaut. Und mit ihm - so der Gedanke - sollte die kleine Interessenvertretung im Verhandlungspoker mit der Bahn ganz groß rauskommen. Ist sie auch. Allerdings: Anstatt mit den ebenfalls bei der Bahn organisierten Gewerkschaften Transnet und GDBA zu kooperieren und den Gewerkschaftscharakter ("Gemeinsam sind wir stark") zu pflegen, schickte die GDL den im Mai in Pension gehenden Schell vor und kämpfte nur für sich - und verkam damit aus Gewerkschaftersicht zum aufmüpfigen Außenseiter.

Denn die GDL hat die Mehrklassengesellschaft unter den Lokführern massiv vorangetrieben - auch mit den mehrfachen Streiks. All jene, die nicht GDL-Mitglied waren, hatten entweder schlechte Laune - oder wechselten im Laufe der zur Hängepartie verkommenen Tarifgespräche zur Schell-Truppe. Dort soll für neugeworbene Mitglieder eine horrende Kopfprämie gezahlt worden sein, hieß es bei der Konkurrenz. Den Gewerkschaftsauftrag - sich für die Berufsgruppe einzusetzen - hat die GDL aus den Augen verloren. Es ging vielmehr um die Symbolik, wie schnell ein Streik die Republik lähmen kann - und wie hoch die Verluste für die Bahn sind. Das Gewerkschaftsziel, das Wohl der Mitglieder zu sichern und im besten Fall zu steigern, blieb früh auf der Strecke.

Seine ausgeprägte Einzelkämpfer-Mentalität stellte Schell auch während eines mehrwöchigen Kur-Aufenthalts im idyllischen Radolfzell mediengerecht und gern zur Show: "Manni" Schell mit Genusspfeife in der Hand gegen den Rest der Welt - was für ein Bild! Wie auf Krawall gebürstet bezeichnete er Bahn-Personalvorstand Margret Suckale als "Super Nanny", den kompletten Bahnvorstand als "Außerirdische" - vom Niveau her war das keine normale Streitrhetorik, sondern eindeutig Kategorie "unterstes Niveau".

Die Bahn wird den Lokführern von März an acht Prozent und von September an dann weitere drei Prozent mehr zahlen. Mit diesem Tarifergebnis hat sich die GDL von ihren geforderten 31 Prozent zwar meilenweit entfernt. Dennoch macht es vor allem für die zwei größeren Bahngewerkschaften GDBA und Transnet deutlich, was beim Poker ums Entgelt alles machbar ist. Mit 4,5 Prozent mehr Lohn hatten sich die GDL-Konkurrenten im vergangenen Sommer abspeisen lassen - und im Herbst dann laut aufgeschrieen, dass sie ebenfalls einen "Nachschlag" wollten, sollte die GDL mehr herausholen. Beide Konkurrenten stehen am Ende des Konflikts schwach da.

Ein großer Verlierer des Dauerstreits ist aber auch die Bahn. Der ehemals mächtige Konzernchef Mehdon hielt sich nicht an die simple Absprache des Stillschweigens - und posaunte bei der Eröffnung eines Bahnhofs in Neu-Ulm Details aus den Tarifgesprächen heraus. Welch ein Kommunikations-GAU! Die von Mehdorn mutmaßlich als Druckmittel geplante Aussage, um mit der hergestellten Öffentlichkeit die GDL unter Druck zusetzen, war Symbol für eine nicht durchdachte Krisenkommunikation, die immer wieder durchleuchtete.

Auch die erst kürzlich bekanntgewordene Verfassungsklage der Bahn gegen die GDL muss unter der Rubrik "Stümperhaftigkeit" abgelegt werden. Die Klage ist ein rein formaler, juristischer Akt. Warum hat das Unternehmen das Einreichen der Klage nicht einfach kommuniziert, als es soweit war? Wenn so etwas Wochen später zufällig bekannt wird - zumal die Tarifgespräche auch da schon fast vor dem Durchbruch standen -, befördert sich die Bahn selbst aufs Abstellgleis.

Den Makel Glaubwürdigkeitsverlust wird Mehdorn nicht mehr los - egal, was künftig passiert. Dabei ist Glaubwürdigkeit das höchste Gut, das es zu verlieren gibt - gerade für einen Manager. Auch das Image der Bahn hat massiven Schaden genommen. Wer sich als an die Börse strebender Konzern von einer Mini-Gewerkschaft dermaßen gängeln lässt, verspielt Vertrauen und Kompetenz gleichermaßen. Wer soll da noch die Papiere zeichnen, falls es jemals mit dem Gang aufs Parkett klappt?

Zehn Monate lang haben sich die beiden alten Männer Mehdorn und Schell aufgeführt wie kleine Jungs im Kindergarten - als ob der eine dem anderen die Modelleisenbahn wegnehmen will. Die beiden Protagonisten sind aber nicht die einzigen personifizierten Verlierer. Auch der Bahnkunde muss dazugezählt werden. Warum? Weil er die per Zangengeburt vollzogene Tarifeinigung bezahlen muss, denn die nächste Fahrpreiserhöhung aufgrund höherer Bahn-Personalkosten kommt bestimmt. Na dann: Gute Fahrt!

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