Mohed Altrad:Die Regel der Steppe

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Der frühere Nomade führt in Frankreich eine Milliarden-Firma. Geholfen hat ihm eine Regel seiner Kultur: wenig Last tragen, das Unternehmen einfach halten.

Von Leo Klimm, Paris

Das Wichtigste für seinen Erfolg hat Mohed Altrad als Kind gelernt. Als er in der syrischen Steppe die Tiere seines Beduinen-Clans hütete. "Wer jeden Tag weiterziehen muss, um zu überleben, belastet sich nicht mit Dingen", sagt Altrad. "Deshalb achte ich heute in meinem Unternehmen darauf, dass es leichte Strukturen behält." In BWL-Handbüchern heißt das Lean Management. Bei Mohed Altrad ist es eine Grundregel des Nomadenlebens. Seine Altrad-Gruppe mag inzwischen Milliarden umsetzen. Am Firmensitz im südfranzösischen Montpellier beschäftigt er trotzdem nur zwei Dutzend Menschen. Der Rest der Arbeit wird von 17 000 Beschäftigten dort erledigt, wo sie anfällt: auf Baustellen in aller Welt.

"Meine Baugerüste sind nicht besser als die meiner Konkurrenten und meine Betonmischer drehen sich nicht schneller", sagt Altrad. Aber die Nomaden-Regel habe es ihm erlaubt, immer günstige Preise anzubieten. Das - und Zuverlässigkeit - ist Altrads schlichte Erklärung dafür, wie er zu einem der größten Anbieter von Baustellen-Bedarf weltweit wurde. Rund 1,8 Milliarden Euro wird Altrad im laufenden Geschäftsjahr umsetzen und einen Nettogewinn von geschätzt 100 Millionen Euro erzielen. Das Gros des Geschäfts macht er nicht mit Wohnungs- und Bürobauten, sondern mit Industrieanlagen wie Raffinerien und Häfen. So einen fulminanten Aufstieg konnte sich Altrad - grau melierter Bart, sanfte Stimme - als junger Mann nicht träumen lassen.

Er weiß ja nicht einmal, wie alt er ist. Er wurde als Kind vom Vater verstoßen. Als dann noch die Mutter starb, zog ihn die Großmutter auf. Er ist 1948 oder 1951 geboren, so viel weiß er. Um nach westlichem Brauch seinen Geburtstag feiern zu können, loste er sich irgendwann auch ein Datum zu. Es wurde der 9. März.

Überhaupt, als Altrad 1972 mit einem Begabtenstipendium in Montpellier ankam, war das ein Schock. Er hatte von den hehren Werten Frankreichs gelesen: Brüderlichkeit und all das. Die Wirklichkeit war anders. Ihm, dem "Wirtschaftsflüchtling", schlug Ablehnung entgegen. Er musste in Sprachkursen Sätze auswendig lernen wie: "Ein Essen ohne Käse ist kein französisches Essen." Aber die Rückkehr in die Heimat war auch keine Option. Altrad biss sich durch, wurde Informatiker, arbeitete zunächst bei großen Konzernen. Den Versuch, selbständig Laptops zu entwickeln, gab er aus Geldmangel auf. 1985 wechselte er in eine Lowtech-Branche: Fast für umsonst übernahm er einen pleitegegangenen Hersteller von Baugerüsten. "Ich wollte unbedingt Unternehmer sein. Das war ein Mittel, meine Nützlichkeit zu beweisen", sagt Altrad.

Er richtete den vormals kleinen Gerüst-Hersteller auf Industriekunden aus, der Beginn der Erfolgsstory. Später übernahm Altrad einen Rivalen nach dem anderen - vor Kurzem den Hauptwettbewerber, die niederländische Hertel-Gruppe. "Altrad soll ein Hort der Leistung sein", sagt er. Das klingt nach BWL-Handbuch. Manche seiner Angestellten werfen ihm vor, sich längst westliche Management-Härte angeeignet zu haben. Die Produktion lagert er an Billigstandorte in Polen und Tunesien aus. Er sagt: "Lässt sich etwas nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Kosten herstellen, geht die Sache eben zu Ende. C'est la vie." So ist das Leben. Genauso simpel sieht er es mit seiner Nachfolge: keines seiner Kinder dränge an die Firmenspitze. Dann werde eben jemand von außen übernehmen.

Bis auf Weiteres aber ist er der Chef. Nebenbei findet er Zeit, autobiografisch inspirierte Romane zu schreiben. Außerdem mischt er sich ein in die Debatte um den französischen Militäreinsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) - dessen Hauptquartier Raqqa ist. Die Stadt, in der Altrads Schule stand. "Der Krieg macht mich tief traurig", sagt er. "Soll der IS besiegt werden, müssen wir Bodentruppen schicken." Mit "wir" meint er Frankreich.

Es ist also doch noch sein Land geworden. Der Nomadenjunge ist angekommen. In Montpellier ist das auch sichtbar: Das örtliche Rugbystadion trägt seinen Namen. Und der Proficlub, der darin spielt, gehört ihm. Eigentlich interessierte sich Altrad nicht für Rugby, aber er war der Einzige, der das Geld hatte, um den Verein zu retten. "Mir selbst", sagt er, "reichen ein paar Millionen." Es soll wohl bescheiden klingen.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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