Möbelindustrie:Die Küchenschlacht

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Wenige große Händler, viele Hersteller: Wenn es um den Traum vom Kochen geht, werden die Kunden mit Rabatten gelockt.

Von Elisabeth Dostert, Verl

Martin Henkenjohann macht Tempo. Er treibt die Besucher durch das Werk Sürenheide des Küchenherstellers Nobilia in Verl. Der 54-Jährige ist in der Geschäftsleitung für die Produktion zuständig. Er bombardiert mit Zahlen und Kürzeln. 110 000 Quadratmeter ist das Werk groß, 800 Meter lang. Die Sache ist eigentlich ganz einfach: vorne Spanplatten, Beschläge und Elektrogeräte rein, hinten Küche raus. "Der Fuhrpark gibt den Takt der Produktion vor", sagt Henkenjohann. Sie ist so organisiert, dass Aufträge für bestimmte Regionen und Städte gebündelt werden, damit kein Lastwagen halb leer durchs Land fährt. Die Schränke sind Hohlräume, Nobilia fährt viel Luft durchs Land.

Alle zehn Minuten wird ein Lkw-Auflieger von der Laderampe abgezogen. Im Schnitt passen 18 Küchen in einen Anhänger. Kapazität 73 Kubikmeter, Ladung 71 Kubikmeter, ein wenig Platz muss bleiben, um die Möbel hin- und herrücken zu können. "Das ist wie Tetris für Erwachsene", sagt Henkenjohann. "Im Schnitt brauchen wir zwei bis zweieinhalb Wochen, um eine Küche herzustellen vom Auftragseingang bis zur Auslieferung an den Händler." Jedes Teil - Bretter, Schübe, Elektrogeräte - trägt einen Barcode, der es durch die Produktion führt und bis zum Händler.

Küchen sind auch ein Experimentierfeld für Architekten. Legendär ist die Frankfurter Küche aus den 1920er-Jahren. (Foto: oh)

In der Produktion kommt es auf Tempo an. Marktführer in Deutschland ist die Firma Nobilia

Das Tempo im Nobilia-Werk ist symptomatisch für den Markt. Jeder Kunde ist hart umkämpft. Es gibt eine überschaubare Zahl von immer stärker werdenden Händlern auf der einen Seite und auf der anderen jede Menge Küchenhersteller - einige große wie Nobilia, Alno, Häcker, Schüller und Nolte und viele kleine wie Bulthaup oder Allmilmö. Bei manchem Händler gleicht der Kauf einer Küche einem Basar. Erst werden die Preise aller Teile akribisch addiert. Dann folgt ein für Kunden kaum nachvollziehbarer, vom Berater gern mit Mengenrabatten der Hersteller begründeter Abschlag. 20, 30 oder 40 Prozent. Wer bietet mehr Küche für weniger Geld?

"Es gibt immer weniger Händler, die Küchen verkaufen. Das erhöht auch den Druck auf die Hersteller von Möbeln, Elektrogeräten und deren Zulieferer", sagt Kirk Mangels, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK). "Die meisten Küchen, die in deutschen Haushalten stehen, mehr als 90 Prozent, werden auch in Deutschland produziert", sagt Mangels. Marktführer in Deutschland ist Nobilia mit - nach Berechnungen des Marktforschungskonzerns GfK - einem Anteil von gut 30 Prozent. Auch in Europa sehen sich die Westfalen vorn.

Die die typische Schweden-Küche aus den 1950er-Jahren hat heute ebenso Kultstatus. (Foto: Gun Westholm/Public Domain)

Nach Angaben der GfK wurden 2014 in Deutschland gut 1,3 Millionen Küchen verkauft. Allzu oft tauschen die Deutschen ihre Küche nicht aus. Laut AMK sind knapp zehn Millionen Küchen älter als 20 Jahre. Der Durchschnittspreis einschließlich Einbaugeräte lag um die Jahrtausendwende bei rund 4500 Euro, 2014 waren es knapp 6300 Euro. In die Rechnung fließen allerdings Küchen nicht ein, die in Baumärkten verkauft werden, ebenso wenig wie die von Ikea; ein Manko, denn Ikea ist ein Schwergewicht im Markt. Kein anderes Einrichtungshaus verkauft mehr Küchen. Die Großen dominieren: 2014 setzten die zehn größten Händler nach Berechnungen des Magazins Möbel Kultur gut 2,3 Milliarden Euro um, etwa ein Drittel des gesamten Umsatzes mit Küchen in Deutschland.

Anders als den Autoproduzenten, ist es den meisten Küchenherstellern nicht gelungen, sich als Marke zu etablieren. Das ist vom Handel auch gar nicht gewünscht, sagen Marktkenner, denn dann seien die Lieferanten leichter austauschbar. "Der Handel legt in großem Stil Eigenmarken an", sagt Günter Scheipermeier, Beiratsvorsitzender von Nobilia. Und für den Kunden sei die Marke nicht so entscheidend, es sei denn die "gnädige Frau wünscht Bulthaup, um zu imponieren". Viele Hersteller verkaufen ihre Küche nicht nur unter einer Marke. Allein Nobilia agiert mit rund 50 Namen, darunter Eggo, Ixina oder Celina.

Heute ist die Kochinsel der Trend. (Foto: PR)

Die Westfalen machten Tempo, um vorne zu bleiben. 2014 setzten die Nobilia-Werke mit 2650 Mitarbeitern 946 Millionen Euro um. Für 2015 rechnet Geschäftsführer Oliver Streit mit mehr als einer Milliarde Euro. Knapp sechs Millionen Schränke und 1,45 Millionen Arbeitsplatten haben die Westfalen 2014 in den Werken Sürenheide und Kaunitz in Verl produziert. Die Kapazitäten an diesem bislang einzigen Produktionsstandort seien "spätestens 2018" erschöpft. Deshalb will das 1945 von den Brüdern Johann und Willy Stickling gegründete Familienunternehmen sowohl die Kapazitäten in Verl ausbauen, als auch in spätestens drei Jahren die Produktion im Ausland aufnehmen. Wo, das will Scheipermeier noch nicht sagen.

Keine Küche sei wie die andere, es sei denn Nobilia statte Objekte aus, sagt Henkenjohann. "Ich kann mich erinnern, dass wir mal für ein Objekt in China Tausend Küchen geliefert haben - eine wie die andere." Das ist die Ausnahme. Sonst gilt: "Losgröße 1", das sagt Henkenjohann ziemlich oft. Er jagt weiter durch das Werk. ZBK, Zubehörkommissionslager, APL, Arbeitsplattenkommissionslager, IO, in Ordnung.

Nobilia arbeitet in zwei Schichten. Falls die Produktion aus der Balance gerät, "können die Ausfälle nachts aufgeholt werden." 16 200 Typen täglich. Ein Typ gleich ein Schrank, egal wie breit, wie hoch oder tief. 16 200 Typen macht 1620 Küchen - allein im Werk Sürenheide. Für Henkenjohann zählen aber nicht allein Stückzahlen, sondern die Zeit für die einzelnen Produktionsschritte. "Alle Bereiche müssen im gleichen Takt schwingen". Über jeder Maschine hängt eine elektronische Anzeige.

Es ist kurz nach halb zehn Uhr vormittags, als der Mann durch das Werk führt. Pause. Stückzahl 1528, Abweichung 0466 blinkt es rot über einer Maschine. Die Schwingung stimmt nicht mehr. "Ein solches komplexes System ist nicht ohne Störung durchführbar", erklärt Henkenjohann. "Das holen sie wieder auf heute Nacht. Selbst Leute von Toyota waren schon hier, um sich unsere Produktion anzuschauen." Es klingt wie der höchste Orden, der einem Produktionsleiter verliehen werden kann. "Wir sind in einigen Punkten schon weiter, obwohl es doch immer heißt, die Autoindustrie sei ganz vorne", sagt Henkenjohann. Da kommt er her, früher hat er für den Zulieferer Hella gearbeitet. Weiter geht die Führung nun ins "FKL", das Frontenkommissionslager. "Hier lagern A- und B-Artikel", das sind solche, die jeden Tag gebraucht werden. Die meisten der Fronten im Lager sind weiß. Es gibt 'zig Farben, aber die meisten Menschen kaufen dann doch eine weiße Küche.

Weiß ist nicht gleich Weiß. Premiumweiß, Alpinweiß, Weiß, Magnolia. Vertriebsleiter Andreas Bielefeld zeigt den Showroom. Rote, gelbe und grüne Küchen, stehen da. "Wir sind ja irgendwie im Modegeschäft unterwegs", sagt Bielefeld. Aber auch nur irgendwie. 60 Prozent der Küchen, die Nobilia verkauft, seien weiß, weitere 20 Prozent grau: Seidengrau, Sand, Mineralgrau, Schiefergrau. Im Showroom zeigt Bielefeld, was geht - oder vielmehr, was gehen würde, wenn der Kunde wollte und Platz hätte. Opulente Küchen mit meterlangen Schrankwänden, Tische, an denen eine Fußballmannschaft Platz hätte und mächtige Kochinseln. Küchen für ein paar Zehntausend Euro. Der Durchschnitt liegt bei Nobilia bei 6446 Euro. Die "normale" Küche ist zwölf bis 14 Quadratmeter groß, sagt Bielefeld. "In die meisten Räume passt höchstens eine Halbinsel."

© SZ vom 30.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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