Modebranche:Sitzt wie gescannt

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Tom Adeyoola, Chef und Gründer von Metail, stützt sich an einer Schaufensterpuppe ab. Mithilfe dieser Puppen scannt die Internetfirma Kleidungsstücke. (Foto: Daniel Hambury/imago)

Eine Londoner Internetfirma ermöglicht es Kunden von Onlineläden, eine Anziehpuppe mit den eigenen Maßen zu erstellen.

Von Björn Finke, London

Das Lagerhaus aus braunem Backstein ist fast 130 Jahre alt. Über dem obersten Stockwerk, dem fünften, hängt immer noch ein Lastenkran an der Fassade. Hier lagerte früher Wolle, die am nahen Themsehafen angelandet worden war. Heute beherbergt der Bau in Whitechapel, dem armen bis hippen Ost-Londoner Stadtteil, Büros. Im fünften Stock befindet sich die Zentrale des Internetunternehmens Metail. Die Firma, 2008 gegründet, will das Modegeschäft umkrempeln - wie passend für einen Mieter im alten Wolllager.

Metail macht es einfacher für Frauen, bei Onlinehändlern gut sitzende Kleidung zu finden. Nutzen Modeshops die Technik der Londoner, können Kundinnen auf der Internetseite des Händlers Länge, Gewicht und BH-Größe angeben. Außerdem wählen sie eine von fünf typischen Körperformen aus. Dann erscheint dank Metails Software das Bild einer Frau, die diese Maße widerspiegelt. Die Käuferin kann mit dieser virtuellen, lebensecht aussehenden Anziehpuppe die Röcke, Blusen und Hosen des Onlineladens ausprobieren. Die Puppe kann sich drehen, sodass die Kundin weiß, wie das Kleid von hinten oder der Seite wirkt. Verschiedene Stücke können kombiniert werden. Per Klick nimmt das Modell unterschiedliche Posen ein oder steckt sich die Haare hoch. Zudem empfiehlt das Programm eine Kleidergröße.

Neun Patente schützen die Technik der Londoner, 20 weitere sind beantragt

Dank der Anziehpuppe sollen Kundinnen mehr Zeit im Internetshop verbringen, mehr kaufen und weniger Teile zurückschicken, weil sie doch nicht passen, verspricht Metail. Bisher nutzen erst vier Modehändler die Technik, drei in Asien plus House of Holland aus Großbritannien. Die Unternehmen zahlen Metail dafür eine Gebühr und eine Umsatzbeteiligung. Demnächst sollen aber viele Millionen weitere Online-Käuferinnen weltweit auf diese Weise Kleidung anprobieren. "Wir verhandeln gerade mit fünf großen, global tätigen Internethändlern", sagt Tom Adeyoola, der Gründer und Vorstandschef.

Die Firma des Briten hat 22,5 Millionen Pfund von Investoren eingesammelt und beschäftigt inzwischen 62 Angestellte - "davon 13 mit Doktortitel", sagt Adeyoola. Die Zentrale ist in London, doch die Entwickler sitzen in einem Büro in der Universitätsstadt Cambridge. Das Unternehmen hat neun Patente bewilligt bekommen und 20 weitere eingereicht. Sie schützen Metails Verfahren, Kleidungsstücke schnell und günstig zu scannen und lebensecht an der virtuellen Anziehpuppe abzubilden.

"Die Software berücksichtigt zum Beispiel auch, wie sich die Textilien dehnen können und wie sich Körperposen auswirken", sagt der 40-jährige Gründer, der in Cambridge Wirtschaft studiert hat. Im kommenden Jahr will Metail eine Version für Männermode auf den Markt bringen.

Der Gründer will, dass sein Unternehmen zum "Google für Kleidungsgrößen" wird

Bevor die Online-Anziehpuppe Kleidung anprobieren kann, müssen die Textilien erst vom Computer erfasst werden. Das geschieht unter anderem in der Metail-Zentrale. In einem Zimmer dort steht eine Schaufensterpuppe auf einem Drehteller, vor weißem Hintergrund. Ein Fotoapparat schießt Bilder der Kleidung und überträgt die Daten an den Rechner. "Kleine Händler schicken ihre Waren zu uns. Große besuchen wir mit unserer Ausrüstung", sagt Adeyoola. Oder die Modefirmen besuchen ein Fotostudio, das mit Metail zusammenarbeitet. Erst vor drei Wochen vereinbarten die Londoner eine Partnerschaft mit einem Berliner Studio.

Bislang hat Metail mehr als 80 000 Kleidungsstücke gescannt. Die Firma erfasst die Ware aber nicht nur, damit sie danach von virtuellen Anziehpuppen getragen werden kann. Das Unternehmen ermöglicht Händlern zugleich, bei Aufnahmen mit Fotomodels Geld und Zeit zu sparen. Denn Metail verfügt über eine Datenbank mit Bildern von Models in verschiedenen Posen. Software kopiert die mit der Schaufensterpuppe fotografierte Kleidung auf die Models. Das Ergebnis ist von den Resultaten eines echten Fototermins mit Model nicht zu unterscheiden.

Die zusammengefügten Fotos bebildern die Angebote auf den Webseiten der Händler. "Wir können auf diese Weise mit einer Ausrüstung 120 bis 160 Kleidungsstücke pro Tag erfassen", sagt Adeyoola. Metails Verfahren sei dreimal schneller und dreimal billiger als herkömmliche Methoden, Mode zu fotografieren.

Die Kundinnen der Onlineläden bescheren Metail außerdem einen Datenschatz: Die Frauen geben für die virtuelle Anziehpuppe ihre Maße ein. Die Londoner werten die Daten aus und erklären den Händlern, wie die Körper der Nutzerinnen in Wirklichkeit geformt sind. "Die Unternehmen können dann Stücke ändern, damit sie in Zukunft besser passen", sagt Adeyoola. Bis Frühjahr will Metail einen weiteren Service starten: Die Software soll den Kunden automatisch Kleidung aus dem Onlineladen empfehlen - auf Grundlage früherer Käufe und der Maße, die diese eingegeben haben. Solche Ratschläge seien wichtig, weil es in Internetshops oft "lähmend viel Auswahl" gebe. Durch die Datenanalysen solle Metail zum "Google für Kleidungsgrößen und -formen werden", sagt der Gründer. Ehrgeizige Ziele im alten Wolllager im Londoner Osten.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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