Modebranche:Im digitalen Boxring

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Das Model Gigi Hadid präsentiert Mode von Fendi: Die 21-jährige Amerikanerin ist inzwischen zu einem der Stars in der internationalen Modebranche geworden. (Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Plötzlich spielt die Musik in den sozialen Medien. Die einst so elitären Modefirmen müssen auf die Digitalisierung reagieren. Das Problem: Der Umbruch kommt in wirtschaftlich trüben Zeiten.

Von Ulrike Sauer, Mailand

Gigi Hadid, 21, macht gerade Urlaub von Instagram. Das kalifornische Model verabschiedet sich zum Jahreswechsel für einen Monat von ihren 27 Millionen Followern. Dass Hadid zu einem der gefragtesten Mannequins der Welt avancierte, verdankt sie auch ihrem unermüdlichen Einsatz in den sozialen Medien. In Mailand setzten bei den Herbst-Modeschauen gleich mehrere Designer auf sie. Bei Fendi trug die Amerikanerin ein extrem durchsichtiges Kleid, bei Bottega Veneta schritt sie im altrosa Anzug über den Laufsteg, bei Moschino trat sie als Papierpuppe auf.

Mit der Abstinenz der Laufsteg-Diva geht ein Jahr der rasanten Digitalisierung des Luxusgeschäfts zu Ende. "Die Insta-Girls sind keine Neuerscheinung, aber 2016 gab es vor ihnen kein Entrinnen mehr", bilanzierte Vogue. Emotionalität, Direktheit und Spontaneität - das persönliche Storytelling der Online-Dienste fasziniert die Modemarken auf einmal. Instagram sei zum "Boxring" der Glamourbranche geworden, sagt Luca Solca, Luxusgüter-Analyst bei BNP Exane Paribas. Selbst blasierte Marken übertragen ihre Modeschauen heute im Livestreaming.

So hat die digitale Revolution nun auch die Luxus- und Fashionwelt erreicht. Sie wirbelt elitäre, traditionsverhaftete Modeunternehmen durcheinander. Viel bewegt sich plötzlich bei den glitzernden Aushängeschildern der italienischen Industrie. Neue Kunden, neue Vertriebskonzepte, neue Selbstdarstellung, neue Technologien - die Branche öffnet sich. In den Unternehmen selbst geht es derweil drunter und drüber. Designerwechsel gehören zur Tagesordnung, wie man das bislang eher von Trainerwechseln im Profi-Fußball kannte. So viel Veränderung war nie.

Erst wurde in den 90er-Jahren in Nordamerika expandiert, dann kam der Boom in China

Der Umbruch fällt in wirtschaftlich trübe Zeiten. Die Branche tat sich 2016 außerordentlich schwer, ihre globalen Kunden zu einem neuen Look zu animieren. Die Luxusmarken mussten sich mit 0,5 bis einem Prozent Wachstum begnügen. Die Gewinnmarge vor Steuern ist unter zehn Prozent gesunken, das niedrigste Niveau seit der Finanzkrise 2009. Für das kommende Jahr prognostiziert die Unternehmensberatung McKinsey in ihrer Studie "The State of Fashion 2017" einen Anstieg um drei Prozent für Luxuslabel und um 3,5 Prozent für die Modeindustrie insgesamt.

Die Jubelzeiten mit zweistelligen Umsatzsteigerungen sind passé. Sich von der Welle tragen lassen geht nicht mehr. "Die Unternehmen müssen ihr Wachstum in Zukunft individuell erkämpfen", sagt Antonio Achille von McKinsey. Pradas bitterer Umsatz- und Gewinneinbruch im ersten Halbjahr zeigt: Niemand kann sich auf seiner gloriosen Vergangenheit ausruhen.

Zugleich macht die Mode epochale Veränderungen durch. McKinsey-Mann Achille sagt: "Wir erleben gerade technologische Fortschritte, die in der Lage sind, die gesamte Branche umzukrempeln." Auch Maria Luisa Frisa, Modekritikerin und Design-Professorin in Venedig, beobachtet einen schnellen Wandel. "Die großen Konzerne haben Verhalten und Strategien geändert. Endlich konstruiert eine neue Designergeneration Vorstellungswelten, die in Bewegung und von einem gesunden Pragmatismus geprägt sind." Die Auffassung von Schönheit selbst habe sich tief greifend gewandelt.

Im Rückspiegel blicken die Modemacher auf zwei Jahrzehnte turbulenten Wachstums. In den Neunzigerjahren ging es auf das Konto der Expansion in Nordamerika, in den Nullerjahren verdankten die Marken ihre Zuwächse China. Nun spiegelt die Absatzflaute die Sättigung der Märkte wider, und Italiens Vorzeigebranche denkt um. 41 Prozent der europäischen Textil- und Modeproduktion kommen von hier. Zusammen setzen sie 62 Milliarden Euro um. Allein die Fertigung von Luxusgütern trägt fünf Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes bei.

"Die Luxusbranche ist in den Achtzigerjahren von den Yuppies begründet worden", sagt Riccardo Illy, Kaffee-Hersteller aus Triest und Chef der Vereinigung Altagamma, der 115 italienische Luxusfirmen angehören. Den Klub-Mitgliedern ist schlagartig bewusst geworden, dass ihre Kunden von heute und vor allem von morgen ganz anders drauf sind als die alten Yuppies. "Die Millennials, die ein Drittel der Luxusgüter kaufen, pflegen andere, wenn nicht sogar gegensätzliche Gewohnheiten und Werte", warnte Illy Ende November in Rom. Es geht um 2,2 Milliarden Menschen zwischen 18 und 35 Jahren, die permanent im Internet unterwegs sind, Erfahrungen dem Konsum vorziehen, die Umweltfolgen ihres Kaufverhaltens bedenken und an die Nachhaltigkeit glauben. "Sie zwingen die Unternehmen zu einem deutlichen Wandel", sagt Illy.

Gucci ist ganz vorn dabei und hat Dolce & Gabbana und Burberry überholt

Gucci ist bei der Aufholjagd vorn dabei. Mit 11,7 Millionen Facebook-Followern hat die Traditionsmarke aus Florenz, die unter dem neuen Kreativchef Alessandro Michele ein spektakuläres Comeback feierte, gerade das Mailänder Duo Dolce & Gabbana überholt. Gucci verdrängte sogar Burberry von Platz eins des internationalen Internet-Index. "Unsere digitalen Plattformen und Aktivitäten waren ausschlaggebend für den Erfolg der modernen Gucci-Vision von Alessandro Michele", sagt Markenchef Marco Bizzarri. Der preisgekrönte Designer, lange Haare, dicht an dicht beringte Finger, hat das Label neu belebt. "Die Mode war wie eine gelangweilte, schöne Frau. Ich habe sie nur zum Abendessen ausgeführt, damit sie sich ein wenig amüsiert", sagt der 44-jährige Römer. Den Internet-Auftritt Guccis betreut er persönlich.

Einher geht der Umbruch mit dem Abschied von alten Vertriebsstrategien. Bis vor Kurzem war die globale Ausdehnung des Ladennetzes ein kostspieliges Muss. Die Luxusfirmen machten Boutiquen in allen Ecken der Welt auf. Bis zu 15 Millionen Euro steckten sie in die Neueröffnung eines Geschäfts. Es sei ein Fehler gewesen, sich zu große Läden zuzulegen, bekennt Herrenschneider Gildo Zegna. Die Shops hätten keine Zukunft mehr, es werde künftig weniger und kleinere geben, sagt Diesel-Gründer Renzo Rosso. Der Königsweg ist plötzlich zur Sackgasse geworden. "Online hat das Filialkonzept umgestoßen", sagt Francesca Saule, Modeexpertin bei der Beratung Accenture.

Haupttrend des kommenden Jahres werde das Überdenken der Vertriebsstrategie sein. Das Multikanal-Modell wird die Rolle der Läden verändern. "Man muss dem Personal beibringen, auch Kunden gut zu bedienen, die nichts kaufen", sagt McKinsey-Mann Achille. Sie shoppen vielleicht später per Klick. Die Luxusmarken haben sich spät und nur sehr langsam den digitalen Medien geöffnet. Sie empfanden das Netz lange als Gefahr. Denn das Internet bedroht die Preisdisziplin und die Vertriebskontrolle - die beiden Säulen der Luxusindustrie.

Die Revolution braucht Anführer und so richten die Unternehmen nun Posten für den Chief Digital Officer (CDO) ein, der direkt auf der Vorstandsetage einziehen darf. Die französische Luxusholding LVMH, die reihenweise Italo-Label aufkaufte, holte sich den früheren iTunes-Direktor Ian Rogers von Apple. Das ist ein klares Signal: LVMH-Patron Bernard Arnault meint es ernst mit der Integration des Digitalen in den Konzern. Der Trend drang bis in die italienische Provinz vor. Im umbrischen Solomeo beauftragte Cashmere-König Brunello Cucinelli seinen CDO, das gesamte Unternehmen auf digitales Denken umzustellen.

"Innerhalb von fünf Jahren haben Blogger und Instagrammer von der Abwesenheit großer Marken und Presseorganen wie Vogue profitiert und eine hohe Zahl von Followern in Beschlag genommen", sagt Solca von Exane BNP Paribas. Oft seien sie so selbst zum Verkaufskanal geworden.

Der Startschuss ins kommende Modejahr fällt am 13. Januar in Mailand, wenn die neue Männermode präsentiert wird. Nicht mehr dabei sein werden Gucci und Bottega Veneta. Beide Luxuslabel schicken ihre Herrenkollektion im Februar zusammen mit der Damenmode auf den Laufsteg. Gemischte Shows sind jetzt der letzte Schrei. So probieren die Modeschöpfer immer neue Antworten aus auf die alte Frage: Wie schafft man ein Objekt der Begierde? Ist die totale Öffnung das beste Rezept?

Pierpaolo Piccioli, Chefdesigner der stark wachsenden römischen Luxusmarke Valentino, ist skeptisch: "Die Mode versucht, zu populär zu sein. Und sie will zu viel erklären." Die Blogger und Instagrammer hätten ihr den Zauber genommen. Im Internet entstand so die Illusion, dass alle über Mode reden und schreiben können, moniert Piccioli.

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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