Mittwochsporträt:Seine weite Reise

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Infineon-Chef Reinhard Ploss vor der campusartigen Konzernzentrale im Osten Münchens: "Wenn ich jetzt ausfallen würde, würde man das wahrscheinlich gar nicht merken." (Foto: Florian Peljak)

Infineon-Chef Reinhard Ploss agiert im Verborgenen und wirkt bisweilen blass. Aber er kann Erfolge vorweisen - und er will die Kultur der ehemaligen Siemens-Firma erneuern.

Von Caspar Busse und Christoph Giesen

Was haben sie in den vergangenen Jahren nicht alles erlebt und erleben müssen bei Infineon. Kampfabstimmungen um den Vorsitz des Aufsichtsrats, eine Beinahe-Pleite, einen schillernden Chef mit einer Vorliebe für Porsche-Rennwagen, das dauernde Auf und Ab der Halbleiterbranche. All das ist Vergangenheit. So wenig Soap Opera wie heute war nie bei Infineon. Fast schon ein wenig langweilig ist es geworden bei dem Chipproduzenten, einem der wenigen, die es überhaupt noch in Europa gibt.

Wenn an diesem Donnerstag in der Münchner Messe die Hauptversammlung stattfindet, wird ein Mann ans Rednerpult treten, der einen großen Anteil an dieser neuen Ruhe bei Infineon hat: Vorstandschef Reinhard Ploss, 60. Seit 2012 ist er im Amt und seine Zahlen stimmen, sie sind sogar sehr gut. Und doch wird sein Auftritt wohl wieder verhalten ausfallen, fast ein wenig spröde. Die große Show, wie sie zum Beispiel der frühere Infineon-Chef Ulrich Schumacher zelebrierte, ist überhaupt nicht seine Sache.

Doch mit seiner ruhigen, besonnenen und zurückhaltenden Art hat Ploss einiges erreicht. Er hat Infineon stabilisiert - und er hat den bisher größten Zukauf der Konzerngeschichte in den USA getätigt, die Firma International Rectifier aus Kalifornien hat drei Milliarden Dollar gekostet. Eigentlich sollte das Unternehmen nach zwei Jahren eingegliedert sein, doch Ploss und seiner Mannschaft ist das nach nur einem Jahr gelungen. Ein beachtlicher Erfolg. Viel reden will er darüber nicht. "Wir wussten, dass wir mit der Integration von International Rectifier Neuland betreten, und haben einkalkuliert, dass es sogar etwas länger dauern könnte", sagt er knapp.

In der Öffentlichkeit ist der Mann aus Franken kaum bekannt. Er zieht es vor, im Hintergrund zu bleiben. "Ich mag keinen Personenkult. Ich mag ihn deswegen nicht, weil er zu rasch zu einer Verführung wird und man dem eigenen Kult nacheilt, um immer ein gutes Bild in der Öffentlichkeit abzugeben, anstatt das Richtige für das Unternehmen zu tun", sagt er. Nur selten lässt er sich auf ein Gespräch ein.

Wer also ist dieser Mann?

Im Vergleich zu anderen Vorstandschefs, die ihre Macht und ihren Einfluss durch große Schreibtische dokumentieren, auf viele Quadratmeter bestehen und dicke Teppiche auslegen lassen, die die Schritte ihrer Gäste schlucken, ist Ploss' Büro nicht sonderlich spektakulär. Zwei rote Ledersofas, ein Konferenztisch. An der Wand hängt eine Ehrenurkunde der österreichischen Stadt Villach. Dort hat er Anfang der Neunzigerjahre das Chipwerk geleitet - und seine Frau kennengelernt. Auch sie arbeitet bei Infineon. Zum Gespräch trägt Ploss keine Krawatte, weil aber ein Fotograf mitgekommen ist, bindet er sich rasch eine um und bittet dann zum Sofa. Es gibt Tee und Cappuccino.

Es ist nun genau 30 Jahre her, dass Ploss als junger Ingenieur bei Siemens in der Sparte Bauelemente anfing, die 1999 ausgegliedert wurde, und unter dem Namen Infineon an die Börse ging. "Was wollte ich 1986 werden, als ich eingestellt wurde? Der einzige Karriereschritt, den ich damals mit meinem Chef besprochen habe, war der, einmal Abteilungsleiter zu werden und so eine Rente und ein Auto zu bekommen", sagt Ploss. Unterschätzen sollte man diesen Mann dennoch nicht. Den Job als Vorstandsvorsitzender traut er sich zu: "Ein großer Teil der heutigen Firma ist aus einer Division hervorgegangen, die ich Anfang des Jahrtausends geleitet habe", sagt er und meint damit das Automobilgeschäft, das inzwischen einen Großteil des Geschäfts ausmacht. Infineon-Chips stecken etwa in Motoren und Airbags, aber auch in Windrädern und Maschinen.

Hört man sich bei Kritikern um, werfen diese ihm vor, ein wenig zu brav zu sein - mit Blick auf die Unternehmensgeschichte ist das fast schon ein Kompliment. Und Ploss ist Ingenieur. "Ich glaube, dass ich für viele Leute ein bisschen sperrig bin, auch wegen meiner Technikbegeisterung. Das ist nicht besonders populär bei Headhuntern", sagt er dazu. Und das sei auch der Grund, warum er seine gesamte Karriere bei Infineon verbracht hat.

"Größe entsteht nicht durch die Erniedrigung anderer"

Wie Ploss tickt, kann man bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten beobachten, zum Beispiel bei einer Reise im vergangenen August nach Kalifornien. Etwa 80 Kilometer nördlich von San Francisco und dem Silicon Valley liegt das kleine Städtchen Sonoma. In der Gegend haben einst spanische Missionare die ersten Weinberge in Kalifornien angelegt, heute findet sich hier eine vier Kilometer lange Rennstrecke, die noch bis 2011 "Infineon-Raceway" hieß. Es war der Vor-Vor-Vorgänger von Ploss, Motorsportfan Schumacher, der vor vielen Jahren einen langfristigen Sponsorvertrag abgeschlossen hatte. So wurde der Name Infineon auch im nahen Silicon Valley bekannt, aber vor allem in der Rennsportszene. Ploss kann sich noch gut an diese Zeiten erinnern. Auch er nahm dort damals an Autorennen teil und galt als wilder Fahrer, wie sich der heutige US-Chef von Infineon, Bob Lefort, erinnert. Und Ploss war gut, der Rückstand auf Schumacher soll damals bei zwei Sekunden gelegen haben. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.

Heute ist Ploss zwar oft in Kalifornien, aber nicht, um Autorennen zu fahren, sondern um nach dem Geschäft zu schauen. Zum einen wollen die Münchner vom Boom dort profitieren, bauen ihre Halbleiter etwa in die Elektroautos von Tesla ein oder in die Weltraumraketen von Boeing. Zum anderen soll mit der wachsenden Präsenz im Silicon Valley auch ein Hauch von amerikanischem Gründergeist bei Infineon einziehen. Die Münchner unterstützen beispielsweise kleine Start-up-Unternehmen, wie die Firma Finsix, die kleine Netzteile für Computer herstellen.

"Unsere Organisation muss schneller, besser, agiler werden", sagte Ploss damals in Kalifornien. Er hatte in einem Yacht-Klub zum Abendessen geladen, in ein Restaurant in Redondo Beach direkt am Strand, am Himmel konnte man die Flugzeuge sehen, die vom Flughafen Los Angeles starten, im Wasser planschten Familien, dazwischen die Surfer. Doch Ploss hatte dafür keinen Blick an diesem Abend. Er referierte ruhig und lange, er zitierte zwischendurch auch mal Goethes Faust und wurde gerne grundsätzlich. So will er auch die Kultur in einem Unternehmen ändern, das nach wie vor sehr hierarchisch gegliedert ist und das noch immer irgendwie von Siemens geprägt ist.

"Ich will dafür sorgen, dass die nächste Ebene Mut hat, um mutige Entscheidungen zu treffen", sagte er, und man glaubt ihm das auch. "Größe entsteht nicht durch die Erniedrigung anderer", fügte der Infineon-Chef an. Das ist durchaus auch als Kritik an alten Tagen zu verstehen. Denn unter dem ungeduldigen und ehrgeizigen Schumacher, der die Firma einst an die Börse gebracht hatte, regierte die Angst. Wer einen Fehler gemacht hatte, wurde schnell klein gemacht. "Ich will nicht wissen, was alles nicht geht, ich will wissen, was geht", brüllte der schon mal ins Telefon. Bei Ploss ist das kaum vorstellbar.

Auch ein halbes Jahr später in seinem Büro sagt er es wieder: "Viele reden davon, wir bräuchten auch in Deutschland eine Fehler-Kultur. Aber wer kultiviert Fehler? Das ist doch Blödsinn. Wir brauchen eine Kultur des Mutes, in der wir Risiken bewusst eingehen." Viele Führungskräfte hätten Angst zu versagen. "Das müssen wir ändern und ganz kontrolliert Risiken eingehen." Bei Infineon stecken sie 20 Prozent der Forschungsinvestitionen in Dinge, bei denen nicht klar ist, ob sie zum Erfolg führen. Ploss sagt: "Alles, was sicher ist, kann jeder." Neue Ideen, neue Produkte, früh feststellen, wer die neuen Wettbewerber sind, all das ist Ploss wichtig.

Es ist auch eine Reise, die Ploss da mit Infineon unternehmen will. Der Chef selbst wohnt nicht weit von der Konzernzentrale im Münchner Osten, die als Campus rund um einen See angelegt ist. In seiner Freizeit bastelt Ploss gerne an Modellflugzeugen, lässt einen Miniatur-Helikopter steigen. "Am Abend mal zehn Schrauben einzudrehen oder drei Teile zusammenzukleben, das macht schon Spaß und den Kopf frei", sagt Ploss. An den Wochenenden, so er denn Zeit hat, lässt er auf einem Flugplatz seine Flieger steigen. "Manchmal kommt man auch mit dem Müllsack vom Flugplatz nach Hause. Der Boden war dann härter als der Flieger", sagt er und schmunzelt. Ein erneuter Absturz von Infineon jedoch, ist nicht zu befürchten.

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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