Mittwochsporträt:Ihr schwerster Job

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Jede Geste sitzt, jedes Wort ist eingeübt. Meg Whitman bei einer Konferenz in Las Vegas. Sie hat das Internet-Auktionshaus Ebay groß gemacht. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Vor vier Jahren trat Meg Whitman, die Queen des Silicon Valley, an, um den in die Jahre gekommenen Konzern Hewlett Packard zu sanieren. Das Ergebnis ist ein Spaltprodukt.

Von Kathrin Werner, New York

Meg Whitman überlässt nichts dem Zufall. Ihre Handbewegungen sind einstudiert: Wenn sie etwas betonen will, breitet sie die Hände in Schulterhöhe aus, dann wieder formen diese die Merkel-Raute. Hände auseinander. Zusammen. Auseinander. Jede Bewegung sitzt. Ihre Rede liest sie vom Teleprompter ab, die Presseabteilung hat sie für sie geschrieben. Hinter ihr werfen die Scheinwerfer ihren Schatten gleich zweimal an die Wand. Hände auseinander, zusammen, wieder auseinander.

Bis vor ein paar Tagen war Whitman die Chefin des ungeteilten Konzerns Hewlett Packard. Am Montag ist sie nach New York gekommen, um die berühmte Glocke zur Handelseröffnung der Börse zu läuten und einer Gruppe Journalisten von dem letzten Schritt ihres großen Plans zu berichten: der Aufspaltung des Traditionskonzerns. Whitman macht aus HP zwei Unternehmen. Eines heißt HP Inc. und verkauft Drucker und Computer an Verbraucher, das andere Hewlett Packard Enterprises (HPE) und verkauft IT-Produkte und Dienstleistungen aller Art an Geschäftskunden. Hewlett Packard ist jetzt wie Whitmans Schatten - es gibt es gleich zweimal. Und es ist gleichzeitig ein Schatten seiner selbst.

Whitman hätte sich diesen Job nicht antun müssen. Sie ist 59 Jahre alt, zu jung für die Rente, aber alt genug, um in verschiedenen Aufsichtsräten die Arbeit anderer zu kontrollieren. Sie könnte sich zurücklehnen und ihre erfolgreiche Karriere genießen: Sie ist die Frau, die Ebay vom Start-up zum Weltkonzern machte. Das Magazin Forbes nennt sie die "Queen des Silicon Valley". Sie hätte noch ein Buch schreiben können über all die Abenteuer in ihrem Leben, über all die Hürden, die sie überwinden musste - zum Beispiel, wie sie einst laufen lernte, viel später als die anderen Kinder. Sie könnte sich an ihrem Vermögen von 2,1 Milliarden Dollar erfreuen. Whitman ist eine der ersten Frauen, die mit ihrer eigenen Arbeit Milliardärin wurden. Hätte. Könnte.

Stattdessen übernahm Whitman im September 2011 den Chefposten bei Hewlett Packard - und halste sich damit eine der schwersten Aufgaben der IT-Industrie auf, mehr noch: eine der größten Aufgaben der amerikanischen Wirtschaft. Die 59-Jährige sollte eine Zukunft für den seit Jahren schwächelnden Konzern finden, den Bill Hewlett und Dave Packard 1939 mit 538 Dollar Startkapital gegründet haben. An ihren ersten Erfindungen tüfteln sie in ihrer Garage in Palo Alto, sie gilt als die Geburtsstätte des Silicon Valley. Damals und in vielen Jahrzehnten danach war Hewlett Packard eines der kreativsten Unternehmen der Welt, es erfand den ersten Personalcomputer, programmierbare Taschenrechner, eine sehr präzise Atomuhr und schnelle Drucker. Doch seit Langem kommt nichts Neues mehr von HP. Der Konzern kaufte andere Firmen zu teuer zu, entließ immer mehr Mitarbeiter, der Umsatz schrumpfte von Quartal zu Quartal. Zwischen Whitmans Antritt und der Aufspaltung hat sich der Aktienkurs fast halbiert.

Glaubt man Whitman, ist der Niedergang vorbei. Glaubt man ihr, beginnt nach der Aufspaltung eine goldene Zukunft. "Heute sind wir in einer starken Position", sagt sie. Sie ist sich so sicher, dass sie sich neben all dem Lob für die gespaltene Firma sogar ein paar ehrliche Worte über die alte erlaubt: "Hewlett Packard stand im Herbst 2011 vor vielen Herausforderungen, intern und extern: viele Chefwechsel, sinkende Gewinne, zu wenige Investitionen in Forschung und Entwicklung, unsere hohe Kostenstruktur, verpasste Gewinnprognosen", sagt sie. Hände hoch, Merkel-Raute, doppelter Schatten. Seit ihrem Amtsantritt hat Whitman mehrere Versuche gestartet, um HP wieder aufzupeppen. Sie hat größere Übernahmen geprüft. Nach Medienberichten interessierte sie sich für den Speicherplatz-Konzern EMC, den dann Erzrivale Dell kaufte.

Statt HP größer werden zu lassen, hat sie sich vor einem Jahr für das Gegenteil entschieden. Nach der Spaltung ist jedes der zwei Unternehmen weiter groß genug, um zu den 50 größten börsennotierten Konzernen der Vereinigten Staaten zu zählen. Beide Unternehmen sind an der Börse, beide schreiben mehr als 50 Milliarden Dollar Jahresumsatz. Die Büros der Gründer Hewlett und Packard, die immer noch so aussehen, wie die beiden sie vor mehr als 20 Jahren verlassen haben, sind abgetrennt und haben einen separaten Eingang bekommen, sodass die Mitarbeiter von beiden Firmen sie besuchen können. Whitman ist jetzt nicht mehr Chefin von Hewlett Packard, sondern Vorstandsvorsitzende von HPE und Chairwoman von HP Inc., eine Art Aufsichtsratschefin. Das Geschäft, das sie sich für den Chefposten ausgesucht hat, hat 252 000 Mitarbeiter und bessere Wachstumschancen: Pro Jahr kaufen Unternehmen vier bis fünf Prozent mehr Server, IT-Beratung und Analyse-Software. Die Aufspaltung war ein gewaltiger Kraftakt, sagt Whitman. Die Computer und Mitarbeiter mussten auf die neuen Unternehmen verteilt, 1100 Tochterfirmen gegründet und 800 neue Bankkonten eröffnet werden. Das Ganze soll sich lohnen, weil kleinere, beweglichere Unternehmen im sich schnell wandelnden IT-Geschäft bessere Chancen haben. Und es soll Kosten sparen, 33 000 Jobs fallen in den kommenden drei Jahren weg, hat Whitman gerade verkündet - zusätzlich zu den 55 000 Stellen, die sie schon gestrichen hat. Whitman verdiente im vergangenen Jahr 19,6 Millionen Dollar.

Whitmans Job vor Hewlett Packard war das genaue Gegenteil dieser Schrumpfkur: Sie war zehn Jahre lang Chefin von Ebay. Als sie im März 1998 bei dem Online-Auktionshaus anfing, hatte es 30 Mitarbeiter und rund vier Millionen Dollar Umsatz. Als sie aufhörte, waren es 15 000 Mitarbeiter und acht Milliarden Dollar Umsatz. Seither wählt sie Forbes auf die Liste der mächtigsten Frauen der Welt. Nach ihrem Abgang hat sie versucht, Gouverneurin in Kalifornien zu werden. Und obwohl sie so viel ihres eigenen Vermögens in ihren Wahlkampf steckte wie vor ihr kein anderer Kandidat bei keiner anderen Wahl in Amerika - 144 Millionen Dollar -, verlor die Republikanerin gegen ihren Widersacher von der Demokratischen Partei. "Politik ist ein sehr hartes Geschäft", sagt sie.

Kaum jemand in der amerikanischen Wirtschaft hat eine so vielseitige Karriere wie Whitman. Sie ist eine Kämpferin - immer schon. Sie wurde mit einer Fehlbildung im Hüftgelenk geboren. Ihre ersten drei Lebensjahre lang schnürten sie die Ärzte mit Lederriemen in ein Metallkonstrukt, sie durfte sich kaum bewegen. Die Therapie glückte, das Gelenk bildete sich normal heraus. Whitman konnte rennen, Sport treiben und war immer das größte Mädchen in ihrer Klasse.

Sie hat nie zugelassen, dass ihr Geschlecht ihrer großen Karriere im Weg steht

In der Schule wurde sie zur Überfliegerin: die Highschool in einem Nobel-Örtchen auf Long Island östlich von New York schloss sie nach drei statt normalerweise vier Jahren ab. Nach dem Wirtschaftsstudium in Princeton und Harvard fing sie beim Verbrauchsgüterkonzern Procter & Gamble an und wechselte später zur Unternehmensberatung Bain in San Francisco. Dann ging sie zu Disney, später zum Schuhhändler Stride Rite, danach wurde sie Chefin des Blumenversands Florists' Transworld Delivery. Danach folgten einige Jahre beim Spielzeugkonzern Hasbro, wo sie für die traditionelle Figur Mr. Potato Head zuständig war - ein Riesengeschäft. Außerdem verkaufte sie amerikanischen Kindern Puppen aus der bunten Fernsehsendung "Teletubbies".

Sie hat nie zugelassen, dass ihr Geschlecht ihrer großen Karriere im Weg steht - obwohl Frauen in der IT-Branche noch immer in der absoluten Minderheit sind: Laut dem National Center for Women & IT sind nur rund ein Viertel der Mitarbeiter in der amerikanischen IT-Branche Frauen, in den Chefetagen sind es noch deutlich weniger. Ihre Mutter ist ein Vorbild, sie war Mechanikerin für Flugzeuge und Lastwagen im Zweiten Weltkrieg, Einsatzort: Neu Guinea.

Als Whitman an ihrem ersten Tag bei P&G im Jahr 1979 merkte, dass sie und die drei anderen neuen Frauen anders als die männlichen Kollegen keine Firmenkreditkarte bekam (weil P&G es zu gefährlich fand, wenn Frauen alleine reisen), hat sie rebelliert - das Unternehmen änderte die Politik. Heute sitzt sie bei P&G im Aufsichtsrat. Mit einem riesigen IT-Konzern, der seine besten Jahre längst hinter sich hat, hatten ihre vielen Karriereschritte zuvor wenig gemein. "Der nächste Chef muss aus der Firma kommen", sagt sie. "Teil meiner Aufgabe ist, ein Managementteam aufzubauen, das beizeiten von mir übernehmen kann." HP sei einfach zu komplex für Außenseiter wie sie oder ihre drei Vorgänger, die sich alle nicht lange im Konzern gehalten haben.

Was ihr helfe, sei ihre Zeit als Unternehmensberaterin, damals habe sie gelernt, mit dem Blick von außen die richtigen Fragen zu stellen. "Bain hat mir beigebracht, neue Industrien sehr schnell kennenzulernen", sagt sie. "Junge, Junge, diese Fähigkeit ist hier bei HP auf die Probe gestellt worden. Ich wusste ja nicht viel über das Drucker-Geschäft. Oder das PC-Geschäft." Sie hat schnell gelernt. Und sie hat einen Plan. Ob er klappt, werden die kommenden Jahre zeigen.

Es gibt viele, die zweifeln. "Die Aufspaltung verkörpert all die Fehler von HP. Sie arbeiten schon wieder nur an ihrer Finanzstruktur, sie verbessern ihre Produkte nicht und heuern auch nicht die besten Leute an", sagt James Chanos, Gründer des Hedgefonds Kynikos Associates. "Was ist schlimmer als ein schwerfälliges HP? Zwei", schrieb die Bloomberg-Kolumnistin Shira Ovide. Auch die Aktionäre glauben Whitmans Rede von der ganz neuen Firma nicht, die HPE-Aktie beendete ihren ersten Handelstag mit Verlusten.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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