Nicola Leibinger-Kammüller::"Die CDU ist keine Partei der Unternehmen"

Lesezeit: 5 min

Nicola Leibinger-Kammüller ist promovierte Literatur-Wissenschaftlerin, führt aber einen Technologie-Konzern, dessen Produkte weltweit Maßstäbe setzen. Seit ihrem Start 2005 als Chefin der Firma Trumpf haben sich Umsatz und Mitarbeiterzahl verdoppelt. (Foto: Johannes Simon)

Trumpf-Chefin fordert von Politikern mehr Einsatz für die Belange des Mittelstands.

Von Stefan Mayr, Berlin

Ja, sagt Nicola Leibinger-Kammüller, sie habe "gelegentlich schon" Gewissensbisse, wenn sie als Aufsichtsrätin von Siemens, Axel Springer und Voith einem Millionenvertrag für einen Top-Manager zustimmen müsse. Sie verstehe das Unbehagen angesichts der Verteilung des Vermögens, und wenn ein Manager exorbitant mehr als ein Facharbeiter verdiene, "dann muss man das diskutieren". Andererseits sehe sie die "immense Leistung" von Vorständen, die ihrer Verantwortung für Konzerne und deren Mitarbeiter gerecht werden.

Die 57-jährige Chefin des schwäbischen Maschinenbauers Trumpf versucht, diese Verantwortung selbst zu leben. Im Umgang mit ihren 12 000 Mitarbeitern und vier Kindern beruft sie sich auf die christlichen Werte.

Ist es eine Lüge, wenn ich einem schwächeren Mitarbeiter sage, er mache das gut?

Am Reformationstag hielt sie in ihrer Heimatgemeinde in der evangelischen Matthäuskirche in Gerlingen eine Predigt. In ihrer Familie wird jeden Morgen eine Bibellosung verteilt, die alle zu lesen (und zu leben) haben. Zum 16. Geburtstag bekommt jedes Kind die Familien-Charta überreicht. "In schönem Leder gebunden", wie sie sagt. In dem Verhaltenskodex steht geschrieben, wie die Familie mit Mitmenschen umgehen will und was jemand können muss, wenn er in der Firma mitmischen will. Auch das soziale Engagement und der Bezug zur Kirche sind festgehalten. "Man muss den Kodex feierlich unterschreiben, dann ist man Teil der Familienrunde", erzählt Leibinger-Kammüller. Ein vorbildliches Leben stellt sie sich so vor: "Man strengt sich an, man prahlt nicht, und Begabungen bedeuten immer auch die Pflicht, aus diesen Talenten etwas zu machen." Diesen Werte-Kompass habe sie von ihren Eltern mitbekommen, "sie haben die Werte vorgelebt und gefordert."

Ist es denn überhaupt möglich, ein Großunternehmen zu führen und gleichzeitig die Zehn Gebote zu achten? Gibt es wirklich nie eine Lüge vor Geschäftspartnern oder vor dem Personal? Sie antwortet mit einem Stakkato an Gegenfragen: "Ist es eine Lüge, wenn ich einem Mitarbeiter in schwierigen Situationen Mut mache? Ist es eine Lüge, wenn ich einem schwächeren Mitarbeiter sage, er mache das gut und er schaffe das schon?"

Nicola Leibinger-Kammüller ist dafür bekannt, sich auch mal in öffentliche Debatten einzumischen. Damit setzt sie sich ab von anderen Unternehmenslenkern, die zur Politik oder zu Gehaltsexzessen in den eigenen Reihen lieber schweigen. Und so nutzt sie denn auch ihren Auftritt beim SZ-Wirtschaftsgipfel für ein paar kritische Anmerkungen. Diese treffen insbesondere ihre eigene Partei, die CDU, und Kanzlerin Angela Merkel, zudem - wenn auch indirekt - die ehemalige Volkswagen-Vorständin Christine Hohmann-Dennhardt. Das überrascht, denn Leibinger-Kammüller bezeichnet sich stets als überzeugte Christdemokratin, die schon im Jugendalter der CDU beigetreten ist. Sie ist nicht nur Beraterin der Kanzlerin, sondern gilt auch als ihre Vertraute. Dennoch sagt sie: "Vielleicht interessiert sich Frau Merkel am Ende ja doch nicht so sehr für die Wirtschaft." Ihre Schelte packt Leibinger-Kammüller in ein Gleichnis. Sie erzählt die Geschichte von der "schwäbischen Geiß". Die Ziege habe von ihrem sparsamen Bauern jeden Tag etwas weniger zu fressen bekommen. "Und grad, als er es geschafft hat, gar nix mehr zu geben", erzählt sie, "ist die Geiß gestorben."

Genauso fühle sie sich als Unternehmerin in Deutschland. Die Politiker wollen immer nur melken, ohne sich um die Kuh zu kümmern. Das gelte auch für ihre Partei: "Die CDU ist keine Partei der Unternehmen." Da ist sie einer Meinung mit dem ehemaligen Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz, der an selber Stelle wenige Stunden zuvor dieselbe Aussage gemacht hat. Es gebe zwar einige CDU-Leute, die sich um die Unternehmen kümmern, sagt sie. Dieser Flügel sei aber "viel zu klein". Die große Mehrheit der Partei denke: "Das läuft sowieso, die Unternehmen sind so innovativ und gut, das wird schon klappen."

Die Grünen? "Kretschmann ist sehr vernünftig geworden."

Da scheint jemand mit seiner Partei arg im Unreinen zu sein. Und wenn sie über die Grünen und die FDP redet, dann ist man sich nicht mehr sicher, welcher Partei sie - derzeit - mehr Sympathien entgegenbringt. Über Winfried Kretschmann, den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg sagt sie: "Kretschmann ist sehr vernünftig geworden." Nicht zuletzt, weil er gegen das Verbot von Verbrennungsmotoren ist. Auf die Frage, ob sie ihm das zugeflüstert habe, entgegnet sie: "Er kann einfach gut zuhören." Der Saal quittiert es mit einem verständnisvollen Lachen. Kretschmann, sagt Leibinger-Kammüller, sei klug und wisse, dass man keine unüberlegten Schritte machen soll.

Der FDP empfiehlt sie bei Koalitions-Verhandlungen "hart zu bleiben". Die Freidemokraten hätten am meisten zu verlieren, "denn sie wurden gewählt, um das zu machen, was die CDU nicht gemacht hat". Deshalb dürfe sie jetzt nicht nachgeben, "auch im Sinne unseres Landes". So viel Lob und Ansporn für Grüne und FDP - und für die CDU gibt es nur Kritik? Nicola Leibinger-Kammüller stellt, als sie dazu gefragt wird, auch klar, dass sie mit der Kanzlerin nicht befreundet ist. "Wir sind uns so nah, wie man Frau Merkel nah sein kann."

Solche Worte haben Gewicht, denn Nicola Leibinger-Kammüller gilt als Vorzeigeunternehmerin schlechthin, von der Zeit wurde sie jüngst als "Königin des Mittelstands" bezeichnet. Sie führt ein Technologie-Unternehmen, dessen Produkte weltweit Maßstäbe setzen. Trumpf stellt Maschinen her, die andere Firmen zur Produktion benutzen, etwa Daimler oder Apple. Die Display-Scheiben des iPhones werden mit Lasern von Trumpf zugeschnitten. Die "Ultrakurzblitze" aus Ditzingen bei Stuttgart können das offenbar exakter, schneller und mit glatteren Kanten als jeder andere. Das Familienunternehmen ist in 70 Ländern präsent und machte zuletzt mehr als drei Milliarden Euro Umsatz im Jahr.

2005 wurde Leibinger-Kammüller überraschend zur Chefin ernannt. Ihr Vater Berthold zog sie ihrem Bruder und ihrem Ehemann vor, obwohl sie im Gegensatz zu denen keine technische Ausbildung hatte. Die Begründung des Firmenpatriarchen: Als Chef brauche man nicht nur strategische Fähigkeiten, sondern müsse sich auch zurücknehmen und für andere engagieren. Kaum war sie im Amt, kam die Finanzkrise. Die Aufträge purzelten in den Keller. Weltweit. Die damals etwa 6000 Mitarbeiter hatten keine Arbeit mehr. Doch Leibinger-Kammüller wollte keine Menschen entlassen. Stattdessen ließ sie das Personal weiterbilden, hierfür steuerte die Familie 75 Millionen Euro aus dem Privatvermögen bei. Der Finanzvorstand war damals alles andere als begeistert, es gab heftigen Streit. "Zwei Monate länger, dann wäre es eng geworden", sagt Leibinger-Kammüller. Als die Konjunktur wieder anzog, zahlte sich ihr Vorgehen auch betriebswirtschaftlich aus: Während die abgespeckte Konkurrenz Mühe und Not hatte, um die nun wieder nötigen Arbeiter zu finden, konnte Trumpf sofort durchstarten. Das Personal hierfür war da, musste nicht erst angelernt werden - und war besser qualifiziert als vor der Krise.

Seit Leibinger-Kammüllers Start als Chefin haben sich Umsatz und Mitarbeiterzahl verdoppelt. Inzwischen stellt Trumpf nicht nur Werkzeugmaschinen her, sondern auch Laser und Software. Zudem hat sie eine Bank gegründet, die den Kunden Kredite gibt. Wie sehr sich Trumpf gewandelt hat, belegt die Entwicklung der Kosenamen der Chefs: Vater Berthold wurde "Nibbelkönig" genannt, weil er wie kein anderer Bleche stanzen und biegen konnte. Von ihm hat sie viel gelernt - auch was, ein ehrenwerter Kaufmann tun sollte und was nicht. Und so verwundert es nicht, dass Leibinger-Kammüller in Berlin auch - ohne deren Namen oder den von VW zu nennen - auch die ehemalige Vorständin Christine Hohmann-Dennhardt kritisiert. Diese hatte im Januar nach nur 13 Monaten Amtszeit VW verlassen und eine 12,5-Millionen-Abfindung kassiert. Leibinger-Kammüller sagt dazu: "Für mich käme so etwas nicht infrage." Wie es der Zufall wollte, äußerte sich Hohmann-Dennhardt nur einen Tag später in der Welt am Sonntag erstmals seit ihrem Abgang ausführlich, auch zur Abfindung. "Ich habe ein reines Gewissen. Es ist ja kein schmutziges Geld", sagte die ehemalige Verfassungsrichterin. Freunde hätten ihr zwar geraten, einen Teil der Abfindung zu spenden. Aber sie spende seit vielen Jahren, ohne groß darüber zu sprechen. Leibinger-Kammüller sieht das anders: Auch wenn einem Geld vertraglich zustehe, "kann man ja sagen, ich verzichte auf einen Teil". Alles andere sei unangemessen und taktlos.

© SZ vom 20.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: