Minister Michel Barnier im SZ-Gespräch:"Dem Markt kann man nicht die Ernährung überlassen"

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Frankreichs Landwirtschaftsminister Michel Barnier über Hungersnöte, Milchquoten und die Frage, warum den Europäern ihr Essen eine Tankfüllung wert sein sollte.

Michael Kläsgen

Das Büro von Michel Barnier, 57, ziert ein kleines Foto von Kanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle. "Seit meinem 15. Geburtstag hängt es über meinem Schreibtisch", sagt der frühere EU-Kommissar, Außenminister und heute französische Minister für Landwirtschaft und Fischerei. "Die deutsch-französische Aussöhnung war der Grund für mein politisches Engagement." Im Europa der 27 sei die Zusammenarbeit beider Länder weiterhin wichtig. Frankreich übernimmt in wenigen Tagen die EU-Ratspräsidentschaft.

Frankreichs Agrarminister Barnier will ein Forum gründen, in dem über die Welternährungsfrage diskutiert wird. (Foto: Foto: AFP)

SZ: Herr Barnier, was sollte die Europäische Union tun, um die Lebensmittelpreise zu drücken?

Michel Barnier: Die EU darf gegenüber dem Rest der Welt nicht die Augen verschließen. Gleichzeitig ist klar, dass Europa die Europäer ernähren muss und nicht die ganze Welt. Frankreich ist für die Gründung eines Forums, in dem über die Welternährungsfrage diskutiert wird.

SZ: Immer nur diskutieren! Wäre es nicht Zeit zu handeln?

Barnier: Man muss sich ja in den Gremien erst mal einigen. Wir brauchen die Zusammenarbeit von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und der UN-Ernährungsorganisation FAO.

SZ: Und was ist mit der Welthandelsorganisation? Welthandel schafft Wohlstand, heißt es.

Barnier: Seit 40 Jahren sagt man, dass die Weltwirtschaft den Ländern zum Beispiel in Afrika helfen würde, aber seit 40 Jahren sterben dort Menschen an Hunger. Diese Hungersnöte lehren uns eines: Dass wir die Nahrungsmittelversorgung weltweit regulieren müssen.

SZ: Wie soll das gehen?

Barnier: Das Einzige, was den Hunger in Afrika beseitigen kann, ist eine funktionierende Landwirtschaft vor Ort. Dazu müssen sich die Länder in Afrika zusammenschließen, so wie wir es in Europa gemacht haben. Es geht hier nicht um Protektionismus, sondern um eine gemeinsame Regionalpolitik. Dort können wir als EU helfen, und zwar mit Geld und Expertise. Warum sollten Afrikaner kein Recht haben, auch autonom zu sein?

SZ: Der Zusammenschluss der Europäer, die EU-Agrarpolitik, kostet die Steuerzahler noch heute 50 Milliarden Euro jährlich. Das meiste davon verteilt die Kommission in Form von Einkommensbeihilfen aus der sogenannten ersten Säule, einen anderen Teil für besondere Investitionsleistungen etwa in Sachen Umweltschutz aus der zweiten Säule. Frankreich ist der größte Nutznießer dieser Politik. Also kein Grund, etwas zu ändern?

Barnier: Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass man die gemeinsame Agrarpolitik demontiert und nur noch dem freien Handel das Wort lässt.

SZ: Was kann der Markt regeln, was nicht?

Barnier: Dem Markt kann man nicht die Fragen der Ernährung überlassen. Der Staat muss Produktionsmengen regulieren und Gesundheits- sowie Qualitätsstandards festlegen. Solange wir keine globale Instanz haben, die das regelt, sollten wir das zumindest in Europa tun.

SZ: Wie wollen Sie das während Frankreichs Ratspräsidentschaft umsetzen?

Barnier: Wir wollen uns auf die Grundlagen der gemeinsamen Agrarpolitik besinnen. Dabei geht es im Kern darum, in Ernährungsfragen unabhängig zu sein. Dazu muss man die Landwirtschaft mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstatten und sie politisch begleiten.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Michel Barnier mehr Geld in die Landwirtschaft pumpen will - und wie die Getreidebauern nach der Meinung des Ministers künftig subentioniert werden sollen.

SZ: Noch mehr Geld für die Landwirtschaft?

Barnier: Warum nicht? Das ist im Sinne der Bürger. Sie wollen gesunde und schmackhafte Lebensmittel, deren Herkunft sie zurückverfolgen können und keine aseptische Nahrung. Und so teuer ist das gar nicht. Die Agrarpolitik kostet jeden Europäer 100 Euro pro Jahr. Das ist kaum mehr als eine Tankfüllung.

SZ: Wo bleibt da der Markt?

Barnier: Die Direkthilfen an Unternehmen und Landwirte aus der ersten Säule muss man der Konjunktur anpassen. Da muss der Markt miteinbezogen werden. Dort, wo die Preise gestiegen sind, wie beim Getreide, können die Subventionen niedriger ausfallen. Aber es gibt andere Bereiche, die leiden, die Tierzucht zum Beispiel oder die Fischerei. Die müssen wir fördern, wenn Europa weiterhin autonom sein will.

SZ: Frankreich liegt mit der Kommission derzeit beim Fangverbot für roten Thunfisch über Kreuz. Was ist Ihnen wichtiger: der Fisch oder die - französischen - Fischer?

Barnier: Die Fischer sind so stark vom steigenden Ölpreis betroffen wie kaum jemand und sie haben einen der gefährlichsten Berufe in unserer Gesellschaft. Andererseits muss der Rote Thun geschützt und ihm Zeit zur Reproduktion gelassen werden. Aber die Fischer brauchen eben auch Fische.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Barnier: Ich möchte, dass wir uns zusammensetzen und über eine Verbesserung des Systems der Fangquoten beraten. Wir sollten die Quoten nicht auf ein Jahr festlegen, sondern über mehrere Jahre verteilt.

SZ: Ein anderer Streitpunkt mit der Kommission ist, dass Frankreich, der größte Getreideexporteur der EU, weiterhin Direktbeihilfen an seine Getreidebauern zahlt, und zwar gekoppelt an die Produktionsmenge. Davon will Brüssel eigentlich weg. Halten Sie das angesichts der Preise für gerechtfertigt?

Barnier: Darüber kann man diskutieren, beim Getreide bin ich offen. Übrigens sind nur 25 Prozent der Beihilfen an die Getreidebauern gekoppelt.

SZ: Was heißt offen?

Barnier: Wenn man die Subvention an die Getreidebauern senkt, wenn man sie regelmäßig alle zwei Jahre der Preisentwicklung anpasst, kann man mit diesen Mitteln nachhaltige Betriebe fördern, Milchbauern oder Geflügelzüchter, die derzeit große Schwierigkeiten haben, oder Biobauern und die Freilandhaltung. Aber eben innerhalb der ersten Säule.

SZ: Die Kommission will das Geld aber lieber umschichten in die zweite Säule, um so Investitionen der Landwirte in die Zukunft zu fördern. Da fallen Stichworte wie erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit, biologische Vielfalt und so weiter.

Barnier: Ich plädiere dafür, das Geld innerhalb der ersten Säule umzuverteilen und nicht von der einen zur anderen Säule. Ich könnte mir vorstellen, Mittel zum Beispiel für die Milchbauern aus dieser ersten Säule mithilfe des Artikels 68 freizumachen, indem man Subventionen für die Getreidebauern kürzt.

Lesen Sie im dritten Teil, was Michel Barnier von der Erhöhung der Milchquote hält und welche Pläne er während der französischen EU-Ratspräsidentschaft umsetzen will.

SZ: Bei der Erhöhung der Milchquote im März galt Frankreich lange als Verbündeter Deutschlands gegen die Erhöhung, enthielt sich dann aber.

Barnier: Ich bin nicht gegen eine Erhöhung der Milchquote, aber man muss den Markt im Auge behalten. Der Milchmarkt ist sehr fragil und kann leicht umkippen, erste Anzeichen dafür hat es in Deutschland gegeben. Man muss ihn deswegen regulieren. Wir können jetzt nicht einfach drauflos produzieren und dann in einigen Jahren wieder auf Butterbergen sitzen.

SZ: 2015 sollen die Milchquoten abgeschafft werden. Sind Sie dagegen?

Barnier: Da muss man sich noch etwas einfallen lassen, um die Folgen aufzufangen, weil die Milchquoten auch eine geografisch ausgeglichene Entwicklung auf dem Land fördern. Schafft man die Milchquoten ab, begünstigt das eine Konzentration der Milchbetriebe auf einige wenige Regionen, da bin ich absolut dagegen. Grundsätzlich lehne ich eine Industrialisierung der Landwirtschaft ab. Wenn man die Quoten streicht, muss der Staat wenigstens intervenieren dürfen.

SZ: Ihr wichtigstes Vorhaben während der Ratspräsidentschaft?

Barnier: Ich will eine Abgabe einrichten, um Krisen abzuwenden. Die soll aus der ersten Säule finanziert werden. Damit will ich die Landwirte, deren Einkommen sehr instabil ist, gegen klimatische, gesundheitliche und wirtschaftliche Risiken absichern, und zwar auf der Grundlage eines Public-Private-Partnership, also des Zusammenwirkens öffentlicher und privater Träger. Die Kommission ist jetzt offen dafür.

SZ: Subventionieren Sie damit nicht indirekt private Versicherungen?

Barnier: Die Versicherungen würden diese Risiken nicht allein versichern. Wenn der Staat aber 20 bis 50 Prozent der Versicherungsprämien übernimmt, erklären sie sich bereit, die Risiken zu versichern. Außerdem können wir, wenn wir staatliche Förderung gewähren, gegenüber den Versicherern unser Vertragsmodell durchsetzen.

SZ: Das sieht so aus, als wollten Sie zur alten EU-Agrarpolitik der Rundum-versorgung zurückkehren wollen?

Barnier: Im Gegenteil: So erziehen wir die Landwirte zu mehr Eigenverantwortung. Denn sie müssen einen Teil der Versicherung zahlen.

SZ: Wie sieht denn die EU-Landwirtschaft der Zukunft aus?

Barnier: Europas Landwirte sollten weiterhin Qualitätsprodukte in großer Vielfalt herstellen und zwar, indem sie in zehn Jahren unabhängig vom Öl sind. Photovoltaikanlagen auf den Dächern von Bauernhöfen, so sehe ich die Zukunft. Finanziert werden können die erneuerbaren Energien mit dem Geld, das nicht ausgegeben wurde. So wie die EU im vergangenen Jahr das Satellitenprojekt Galileo bezuschusste.

© SZ vom 01.07.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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