Milliardenverlust:Im freien Fall

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Deutsche-Bank-Chef John Cryan schockt die Börse mit einem Rekordverlust, der Aktienkurs stürzt ab. Die Investoren fragen sich: Was kommt da noch alles?

Von Ulrich Schäfer und Meike Schreiber, Frankfurt / Davos

John Cryan lässt sich nichts anmerken, als er am Nachmittag im Raum Aspen 1 sitzt, einem der vielen Säle im Kongresszentrum von Davos. Neben ihm sitzt Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, und daneben, breitbeinig wie auf dem berühmten Foto von Kevin Spacey aus "House of Cards", James Gorman, der Chef der amerikanischen Bank Morgan Stanley. Cryan kommt bescheidener daher, die Beine übereinandergeschlagen, mit einer Hand hält er sich stets an der Sessellehne fest.

Der Brite liebt ihn nicht, den großen Auftritt. Auch nicht in dieser Runde, in der es um das Thema "The Transformation of Finance" geht. Seine öffentlichen Auftritte lassen sich an einer Hand abzählen, Interviews gibt er nicht. "Die Bank ist wichtig, nicht ich", sagt er beim Hinausgehen.

Diese Bank, die größte der Republik, durchlebt unter ihrem neuen Chef gerade ebenfalls eine Transformation. Wie einschneidend diese ist, wird nur vier Stunden nach der Diskussionsrunde in Davos deutlich. Da veröffentlicht die Deutsche Bank eine Zahl, die für viele ein Schock ist: den größten Verlust, den das Geldhaus in der 145-jährigen Geschichte in einem Jahr je gemacht hat. 6,1 Milliarden Euro, nach Steuern sogar 6,7 Milliarden Euro. Nicht mit einem Halbsatz hat Cryan das durchblicken lassen, als er in Davos sprach. Dabei sind es fast drei Milliarden Euro mehr als im Krisenjahr 2008 nach der Lehman-Pleite. Und mehr, als selbst die kritischsten Analysten befürchtet hatten.

Es handelt sich um Rückstellungen für den geplanten Stellenabbau, für die nicht enden wollenden Rechtsrisiken, für eine Software, die man angeschafft hat und jetzt nicht mehr braucht, aber vor allem sind es Abschreibungen auf Firmenwerte, wie den der Tochter Postbank. Sie haben den Fehlbetrag anschwellen lassen. Mehr noch: Im Investmentbanking, dem wichtigsten Ertragsbringer der Bank, läuft es im vierten Quartal erschreckend schlecht: weniger Geschäft mit Börsengängen, Anleiheemissionen oder Übernahmen. Das betrifft das Kerngeschäft - das ist kein Sondereffekt, der nur einmal belastet.

Gleichzeitig lässt Cryan aufmunternde Worte an die Mitarbeiter verschicken: Harte Arbeit erwarte sie in den kommenden beiden Jahren. Aber dann auch die Möglichkeit, die Bank wieder fit zu machen. Zu einer starken, effizienten Institution, die Kunden und Gesellschaft diene.

Eine Art Befreiungsschlag also? Ist es lediglich die bekannte Strategie neuer Unternehmenschefs, die größten Belastungen in das Jahr des Amtsantritts zu buchen, um spätere Erfolge umso glanzvoller feiern zu können? Vermutlich steckt dieses Kalkül dahinter; an der Börse jedoch verfängt es nicht. "Ist das jetzt der große Kehraus oder kommt da noch mehr?", fragt Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment. Fast 40 Prozent ist die Aktie bereits seit Cryans Amtsantritt im Juli 2015 gefallen; am Donnerstag verliert sie zeitweise bis zu zehn Prozent, kratzt kurz am tiefsten Stand seit dem Jahr 2009.

Düstere Aussichten: Die Türme der Deutschen Bank in der grauen Frankfurter Stadtansicht. (Foto: Jasper Juinen/Bloomberg)

Etwas mehr als 16 Euro kostet das Papier noch. In den besten Zeiten, im Mai 2007 kurz vor der Finanzkrise, waren es 103 Euro. Nach Börsenwert sei Deutschlands größtes Geldinstitut nun die billigste globale Bank, rechnet die Nachrichtenagentur Bloomberg vor. "Das sind wirklich extrem schwache Zahlen, viel schlechter, als wir erwartet hatten", schreibt ein Analyst. Ein zweiter kritisiert, dass die Kosten noch nicht so gefallen seien, wie versprochen. Ein dritter spricht gar vom "Verfall des Geschäftsmodells". Gemessen an der Aktienreaktion müsste eigentlich unmittelbar ein Chefwechsel anstehen: Dabei ist Cryan erst im Juli vergangenen Jahres angetreten. Er hat die Lage alles andere als schön geredet. Erst 2018 solle die Bank wieder normal werden, sagte er im Oktober. Tatsächlich geht der Brite beim Umbau des Konzerns besonders radikal vor, arbeitet die Wochenenden durch, will sich bewusst von seinem Vorgänger Anshu Jain und Noch-Co-Chef Jürgen Fitschen absetzen, die das Institut in ihrer dreijährigen gemeinsamen Amtszeit zwar häufig gepriesen, in Wirklichkeit aber in die größte Krise der Nachkriegsgeschichte geführt haben. Beide hatten tiefe Einschnitte, etwa im Investmentbanking, lange gescheut.

Jetzt aber ist es dringend notwendig, die Bank auf ein Maß zurückzustutzen, das ihr nachhaltig Erträge und Gewinne sichert, mit denen sie mit der internationalen Konkurrenz mithalten kann. Daher sollen weltweit 9000 Stellen, davon 4000 im Inland, wegfallen. Die Tochter Postbank steht zum Verkauf, um das Kapital der Bank zu entlasten, das hatte noch Jain beschlossen.

Doch bei all dem drohen weiterhin steigende Rechtskosten oder wie es einer aus dem Hause ausdrückt: "Da haben wir einfach ein großes Loch im Tanker." Mehr als zehn Milliarden Euro an Strafen musste die Bank bislang für die Fehler der Vergangenheit zahlen. Mal ging es um die Manipulation von Wechselkursen, mal um die von Zinsen. Gerade kam sogar noch Geldwäsche in Russland dazu und zu Jahresanfang auch noch eine Sammelklage von Investoren. Sie werfen der Bank vor, im Devisenhandel eine Schummelsoftware à la VW verwendet zu haben, die Kunden benachteiligt haben soll. Selbst der für dieses Jahr geplante Börsengang der Postbank könnte sich wegen Steuerthemen und der schlechten Lage am Aktienmarkt ins nächste Jahr ziehen.

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: grafik)

Bleibt die Frage, ob sich Cryan nicht doch noch eine gute Nachricht aufgespart hat, wenn er nächste Woche - zurück aus Davos - in Frankfurt zu seiner ersten Bilanzpressekonferenz empfängt.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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