Mehrwertsteuer:Absurde Sätze

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FDP-Frontmann Guido Westerwelle fordert einen verringerten Mehrwertsteuersatz für Energieträger. Viel nötiger wäre eine Vereinfachung des gesamten Regelwerks.

Nina Bovensiepen

Vor einigen Wochen veröffentlichte das Bundesjustizministerium eine Verwaltungsvorschrift zum Umgang mit Frauenmilch. Dabei ging es darum, ob die von Müttern oder Ammen stammende Milch stets mehrwertsteuerfrei ist. "Für die Steuerfreiheit der Lieferungen von Frauenmilch ist es ohne Bedeutung, ob die Frauenmilch bearbeitet, z. B. gereinigt, erhitzt, tiefgekühlt, getrocknet wird'', heißt es auf Seite127. Insgesamt sind auf 310 Seiten Regeln "zur Ausführung des Umsatzsteuergesetzes'' aufgeführt. Neben Muttermilch geht es etwa auch um die Steuer auf Blutplasma und für blinde Tankstellen-Besitzer.

Weist den Weg in die weitere Verwirrung: FDP-Mann Westerwelle plädiert für weitere Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer. (Foto: Foto: ddp)

Abschreckend anschaulich belegen die Vorschriften die Absurdität des deutschen Mehrwertsteuerrechts. Denn ob von der Steuer befreit, mit dem ermäßigten Satz von sieben oder dem vollen von 19 Prozent besteuert: Selbst Experten überblicken oft nicht mehr die Feinheiten der deutschen Umsatzsteuer.

"Brotpreis des 21. Jahrhunderts"

Dieses Durcheinander sowie die politische Ruhe der Ostertage macht sich jetzt FDP-Chef Guido Westerwelle zunutze und sorgt mit einer neuen Idee für Aufmerksamkeit. Angesichts der hohen Preise für Gas, Strom und Öl forderte Westerwelle in der Bild-Zeitung, für Energie künftig nur den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu erheben. "Bezahlbare Energie ist ein Grundbedürfnis - die Energiekosten sind der Brotpreis des 21. Jahrhunderts'', argumentiert der Oberliberale.

Zumindest insoweit hat Westerwelle recht: Für Brot gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Das folgt dem ursprünglichen Prinzip des niedrigeren Satzes, wonach wichtige Güter des täglichen Bedarfs steuerlich schonender behandelt werden sollen als etwa Luxuswaren. Insofern ist es logisch, dass für Kartoffeln und die Tageszeitung der niedrige Satz fällig wird, während es für Hummer 19 Prozent sind.

300 Seiten Vorschriften

Im Lauf der Zeit ist dieses Prinzip aber, gelinde gesagt, ausgefranst. Daran ist erstens der Staat schuld, der an Produkten mit hoher Umsatzsteuer mehr verdient. Dabei geht es nicht um Kleinkram - 2007 hat der Fiskus insgesamt 170Milliarden Euro an Mehrwertsteuer eingenommen. Zweitens erkämpfen viele Lobbyisten für ihre Klientel den niedrigeren Satz, damit die ihre Produkte günstiger anbieten können. Auch den Energie-Konzernen oder Tankstellen-Betreibern wäre das sicher recht.

In der Summe hat das ewige Gezerre aber zum Beispiel dazu geführt, dass für Hundefutter nur sieben Prozent Mehrwertsteuer anfallen, für Kinder-Malkästen dagegen 19Prozent, für Muttermilch wiederum gar nichts - und dass Mehrwertsteuer-Verwaltungsvorschriften über 300 Seiten lang sind.

Für die Schaffung neuer Ausnahmen dürfte Westerwelle in Berlin daher wenig Anhänger finden. Eigentlich hatte der Finanzausschuss des Bundestages schon 2007 beschlossen, sich den Mehrwertsteuer-Irrsinn vorzunehmen. Passiert sei seither aber nichts, kritisiert der FDP-Abgeordnete Volker Wissing. Er verlangt eine Revision des ganzen Systems.

Unterstützung bekam er darin am Mittwoch von CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos. Der lehnte den Vorschlag Westerwelles zwar ab, mit Blick auf den ermäßigten Satz für Hundefutter räumte Glos aber Ungereimtheiten ein, und sagte: "Wir müssen uns generell befassen mit dem normalen und dem abgesenkten Satz.'' Der Minister höchstselbst hat damit Erfahrung: Gemeinsam mit CSU-Chef Erwin Huber setzte er im vergangenen Jahr durch, dass für Tickets von Skiliften neuerdings die ermäßigte Mehrwertsteuer gilt.

© SZ vom 27.3.2008/jkf/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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