Mehr Investitionen:Gewerkschaften lehnen Steuersenkungen ab

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"Unser Land kann sich weitere Steuersenkungen nicht leisten", sagt DGB-Chef Michael Sommer. Stattdessen solle mehr Geld für die Bildung ausgegeben werden.

Von Robert Jacobi

Deutlich mehr öffentliche wie private Mittel würden gebraucht, um die deutschen Universitäten wieder nach vorne zu bringen, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).

Der Versuch der Bundesregierung, einen Schwerpunkt auf die Bildungspolitik zu setzen, sei zu befürworten. "Die Worte höre ich wohl, jetzt müssen Taten folgen", sagte Sommer. Zuletzt sei der Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt noch gesunken.

Um diesen Trend umzukehren, "müssen wir aufhören, ständig neue Steuersenkungen zu fordern", ergänzte der Chef des Dachverbands der deutschen Einzelgewerkschaften. Im internationalen Vergleich sei Deutschland gemessen an der Steuerquote das Schlusslicht. Sommer räumte ein, dass zugleich die Sozialabgaben höher seien als irgendwo sonst. Abhilfe könne aber das Modell des DGB für Freibeträge bei Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sein.

Weniger Mitglieder

Die Gewerkschaften wollen nach den Niederlagen im Reformstreit des vergangenen Jahres wieder in die Offensive gehen. Schon jetzt versuchen sie, die Bevölkerung für eine europaweite Großdemonstration am ersten Aprilwochenende zu mobilisieren.

Der Protest solle sich gegen Politiker richten, die "einseitig und blind für die ökonomische Vernunft den Bürgerinnen und Bürgern in die Taschen greifen", sagte Sommer. Der Sozialstaat müsse erneuert werden, sei aber "kein Objekt für Abbruch-Unternehmer". Ähnliche Aufrufe zu Protesten gegen die Reformpolitik der Bundesregierung waren im vergangenen Jahr auf geringe Resonanz gestoßen.

Auch setzte sich der Mitgliederschwund fort: Allein 2003 verloren die acht DGB-Gewerkschaften rund 300.000 Mitglieder. Sommer sagte, vor allem Arbeitslose seien aus den Gewerkschaften ausgetreten. Junge Menschen hätten sich aber zugleich verstärkt den Organisationen zugewandt.

Zur aktuellen Debatte um eine große Steuerreform sagte Sommer, gegen Vereinfachungen sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Stufenmodell von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz für die Einkommenssteuer belaste aber Geringverdiener und entlaste die Großverdiener.

Dies habe eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ergeben. Auch sei eine Konzentration auf die Einkommenssteuer falsch. "Wenn es endlich ein gutes Programm gegen Steuerflucht gibt, dann regnet es bei der Humboldt-Universität nicht mehr durchs Dach", sagte Sommer.

Kampf um die Zuschläge

DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer bekräftigte, dass eine Steuerreform keinesfalls durch Einschnitte bei der Steuerfreiheit von Nacht- und Feiertagszuschlägen finanziert werden dürfe. "Wir werden alles mobilisieren, was möglich ist, um eine Streichung zu verhindern", sagte er. Zuvor hatte Hubertus Schmoldt, Chef der Chemiegewerkschaft, vor einer "Riesenauseinandersetzung" gewarnt.

Auch den Arbeits- und Ausbildungsmarkt wollen die Gewerkschaften in diesem Jahr wieder zu einem Kernthema ihrer Arbeit machen. Sommer und die DGB-Ausbildungsexpertin Ingrid Sehrbrock forderten die Bundesregierung auf, ihr Versprechen für eine Ausbildungsumlage einzuhalten. Sommer will daran sogar die Verlässlichkeit der SPD-Bundestagsfraktion generell messen, die eine Abgabe grundsätzlich beschlossen hat.

Betriebe, die nicht ausbilden, sollen zahlen, Betriebe mit Auszubildenden gefördert werden. Zuvor hatte Schmoldt allerdings die Gewerkschaftsposition aufgeweicht und gesagt, eine Abgabe könne kontraproduktiv wirken, weil sich Unternehmen von der Ausbildungspflicht freikauften. Nachgebessert werden müsse bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen, sagte DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer.

Mit einer Kampagne will der DGB zudem Einschnitte in die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Unternehmensführung verhindern. Sommer sagte, Deutschland müsse aus der "depressiven Grundstimmung" heraus. Einzelne Indikatoren wie der Export deuteten auf eine Erholung hin.

© SZ vom 13.01.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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