Medien:Hinter den Wahrheiten

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Alles Bohlen, oder was? Wie "Bild" über die Karriere von Stars entscheiden will.

Von Nina Berendonk

(SZ vom 02.12.2003) — An Selbstbewusstsein mangelt es Kai Diekmann, 37, nicht. Neulich gab er dem Fachblatt Medium Magazin ein Interview: "Heute macht Bild die Musik", erklärte er: "Heute ist Bild der Meinungsführer."

Zum Politiker-Diäten-Streit in Schleswig-Holstein fiel ihm ein: "Das war gelungenes Agenda-Setting. Erst als Bild darüber berichtete, wurde es zum landesweiten Thema."

Der Chefredakteur der größten deutschen Boulevardzeitung nennt etliche politische Erfolgsthemen, und auch sein derzeit wohl wichtigster Schlagzeilen-Lieferant kommt in der Jubelbilanz vor: Musikproduzent Dieter Bohlen, der in Diekmanns Umfeld die Bestseller Nichts als die Wahrheit und Hinter den Kulissen fabrizierte, und für den Bild die Marke "Pop-Titan" schuf.

Diekmanns Blatt ist vor allem eine Entertainment-Zeitung - die davon lebt, dass Stars beim "Agenda-Setting" richtig mitmachen. So hat es Bild zur Großmacht im bunten Gewerbe gebracht.

Wer brav ist, kann Ruhm ernten. Wer aber nicht kuscht, hat es schwer. Vor allem Künstler, die sich zuletzt gegen Bohlen und Bild aufgelehnt haben, müssen publizistische Breitseiten befürchten. Von "Vendetta-Journalismus", spricht ein Kenner des Metiers.

Riewa, Elvers, Herman

Ganz besonders hat es Prominente wie Jens Riewa und Jenny Elvers erwischt, die sich gegen den Abdruck bestimmter Passagen in Bohlens Zweit-Buch Hinter den Kulissen wandten - woraufhin Bild einfach die vom Gericht inkriminierten Stellen abdruckte.

Damit habe sich das Blatt "wissentlich über ein ihm bekanntes gerichtliches Verbot hinweg gesetzt", empört sich der Berliner Medienanwalt Christian Schertz. Er ortet eine "Hartnäckigkeit des Verstoßes" und glaubt, "die Zeitung scheint das Gefühl zu haben, sich im rechtsfreien Raum zu bewegen". Einstweilige Verfügungen, die andere Verlage betreffen, "sind für uns rechtlich nicht verbindlich", heißt es dagegen in Hamburg bei Bild.

Eine Leidtragende ist auch Eva Herman: Seit die Tagesschau-Sprecherin gegen Bohlen vor Gericht zog, wurde die seriöse Nachrichten-Frau in der Bild-Zeitung mehrfach als "die neue Susan Stahnke" verhöhnt.

Vorzugsweise erschien sie ("Wieviel Stahnke steckt schon in Eva Herman?") in Dessous und im Marilyn-Monroe-Outfit, weil sie sich 1995 einmal so hat fotografieren lassen.

Vor sechs Wochen wies die Tagesschau-Frau in einem Zeit-Interview auf die Tatsache hin, dass Diekmanns Frau, die langjährige Bild-Klatschkolumnistin Katja Keßler, als Ghostwriterin für beide Bohlen-Bücher wirkt.

Es verwundere sehr, "dass das Ehepaar Diekmann/Keßler offenbar in Kauf nahm, dass der Verdacht entstehen musste, dass das Cross-Marketing auch der Familienkasse in erheblichem Maße zugute kommt", so Herman: "Was im Rahmen dieser persönlich-beruflichen Verflechtung dort im Augenblick passiert, ist eigentlich ein Fall für das Kartellamt." Inzwischen mag sich die TV-Frau, die von Anwalt Matthias Prinz vertreten wird, nicht mehr äußern.

"Pfiffe und Buhs"

Bild-Chef Diekmann verneint strikt, dass es eine Pro-Bohlen-Kampagne gebe. Der Mann habe sich ja selbst auf die bundesdeutsche Agenda gesetzt, Bild musste handeln. Und zu den per Vorabdruck gepuschten Bohlen-Büchern sagt er: "Ein Chefredakteur, der diesen Stoff ablehnen würde, gehört gefeuert."

Die Beteiligten erklären, Katja Keßler habe für ihre Schreibhilfen ein fixes Honorar erhalten und sei nicht an Verkaufserlösen beteiligt. In Diekmanns Umfeld wurden einmal 25.000 Mark für das erste Buch genannt. Andere berichten von wesentlich höheren Summen.

Pikant ist, dass ausgerechnet die Wochenend-Schwester Bild am Sonntag (BamS) in der Axel Springer AG bei gleichen Themen einen ganz anderen Journalismus pflegt.

Nach Bohlens umstrittenem Einsatz bei Wetten, dass...? vom 4.Oktober darf der "Pop-Titan" bei Bild am Montag "exklusiv" mitteilen: "Was ich bei Gottschalk nicht sagen durfte" und über Arbeitslosigkeit und Nächstenliebe "in diesen schweren Zeiten" schwadronieren; nebenbei setzt es einen kleinen Seitenhieb in Richtung Thomas Gottschalk, der Bohlens Ausflug in die Politik anscheinend nicht hören mochte: "Er macht 'ne tolle Sendung, hat aber vielleicht ein bisschen Leichtigkeit verloren."

Ganz anders BamS. "Bei Gottschalk gab's für Bohlen was auf die Ohren", titelt sie und bezeichnet Bohlens politische Anwandlungen als "Aussetzer"; es habe "Pfiffe und Buhs" gegeben. Außerdem lässt man "Top-Entertainer" Gottschalk sagen, was er von Hinter den Kulissen hält: "Nämlich nicht viel".

"Johlen von Bohlen"

Es wirkt, als hätten Bild und Bohlen einen Pakt geschlossen: Publicity gegen Schlagzeilen, Werbung für das Buch gegen eine Homestory. Der Pop-Produzent darf etwa sein neues Werk bewerben ("Die unzensierte Erstauflage ist jetzt schon eine tolle Geldanlage").

In der Sonntagsschwester dagegen wird der Medienstar in einer anberaumten Umfrage als "nervigster Deutscher" vorgeführt; und wenn es um die RTL-Show Deutschland sucht den Superstar und den Mit-Juroren Bohlen geht, können sich BamS-Leser unter einer 0180-Nummer das "Johlen von Bohlen" anhören.

Extrem auch die Unterschiede bei den Berichten zu den juristischen Hakeleien bei Hinter den Kulissen. Während Bild keck die geschwärzten Stellen druckt, unterhält sich BamS etwa mit Bohlens langjährigem Partner Thomas Anders über dessen Anwaltsmaßnahmen.

Ein anderes Beispiel ist Katja Flint. Die Schauspielerin sprach vor der Ausstrahlung von Liebe und Verlangen mit der BamS über den ZDF-Film, in dem sie mit Natalia Wörner ein lesbisches Paar mimt.

Es sei ihr wichtig, sagt Flint, dass erotische Szenen nur in begrenztem Maße und mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis gezeigt würden. Bild jedoch druckt nach der TV-Ausstrahlung gleich drei Szenenfotos mit Flint und Wörner beim Film-Liebesspiel; neben einem der Fotos prangt in einer Sprechblase der vermeintliche Flint-Ausspruch: "Wir kennen uns so lange, dass es uns ganz natürlich vorkam."

Ihr Anwalt Schertz setzte eine Gegendarstellung durch. Wie kommt es aber zum unterschiedlichen Star-Journalismus bei Bild und Bild am Sonntag?

"Alter Hut"

Immerhin ist Diekmann ja auch beim Ruhetagsblatt Herausgeber; zudem haben beide Zeitungen die gleichen Sport- und Unterhaltungschefs. Womöglich liegt die Antwort in der Person von BamS-Chefredakteur Claus Strunz begründet, der mit Springer-Konzernchef Mathias Döpfner einst bei der Welt arbeitete.

Döpfner plädiert gern für ethisch einwandfreien Journalismus. "Jede Redaktion ist bei uns grundsätzlich frei zu entscheiden, welche Themen ins Blatt kommen oder welche Darstellung je nach Aktualität oder Zielgruppe angemessen ist", erklärt ein Bild-Sprecher: "Diese Vielfalt ist gewollt". Der Eindruck des Kampagnenjournalismus sei "ein alter Hut".

Wenn dem so ist, müssten die Bild-Leute längst Ungelogen, geschrieben von der ehemalige Bohlen-Gefährtin Nadja Abd El Farrag, ausgeschlachtet haben.

Es handelt sich um brisanten Stoff. Sie zitiert Bohlen mit der Aussage, er sei mit der aktuellen Freundin Estefania "seit einem halben Jahr nicht mehr im Bett" gewesen: "Da habe ich auch überhaupt keinen Bock drauf." Druckt das Bild als Schlagzeile?

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