Marktbericht:Der Kuchen wird größer

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Die privaten Hochschulen in Deutschland haben sich besser entwickelt, als ihnen vorhergesagt wurde. Sie haben Nischen besetzt, die von staatlichen Hochschulen nicht bedient wurden, und den Markt ausgebaut.

Von Christine Demmer

Vergangenen Herbst noch reichte der Krankenschwester Nicole Schatz aus Mainz eine dreieinhalbjährige Berufsausbildung, um in einer Klinik eine unbefristete Stelle mit gutem Gehalt zu bekommen. Sollte ihre Tochter in ein paar Jahren in ihre Fußstapfen treten wollen, braucht sie wohl ein abgeschlossenes Hochschulstudium. In Schweden und Norwegen sei das schon lange so, hatte der Personalchef kürzlich erklärt. Außerdem wolle Schatz doch einmal eine Station leiten. Ob sie da nicht etwas für sich tun sollte? Zum Beispiel studieren? Die Krankenschwester traute sich nicht zu sagen, dass sie ihre Freizeit lieber mit ihrer kleinen Tochter verbringen will. Deshalb möchte sie ihren wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen. Ihre Tochter aber, die soll einmal bis zum Abitur durchhalten.

Der Druck, einen akademischen Abschluss zu machen, steigt

Dabei braucht man für das Bachelor-Studium Pflege-Management gar kein Abitur. Man muss auch nicht seinen Job aufgeben. In sieben Semestern Fernunterricht mit eingestreuten Präsenzphasen lässt sich der Traum von der Karriere absichern. Druck gibt es durchaus. "Mit seinen vielfältigen Herausforderungen stellt das moderne Gesundheitswesen hohe Ansprüche an leitende Pflegekräfte", mahnt die Hamburger Fern-Hochschule HfH. Sie zählt zwar nicht zu jenen fünf, an denen das zur Bertelsmann-Stiftung gehörende Centrum für Hochschulforschung (CHE) exemplarisch die "Erfolgsgeheimnisse privater Hochschulen" festmacht.

Sie passt aber in die Reihe. Denn auch die HfH beherzigt die Grundprinzipien der erfolgreichen Privathochschule: Orientierung an Praxis, Ziel, Studierenden und Bedarf. Und ganz vorne: Marktorientierung. "Das bedeutet, Zielgruppen anzusprechen, auf die sich die staatlichen Hochschulen nicht genügend einstellen", erklärt CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele.

Dazu gehört, Menschen wie Nicole Schatz - ohne Abitur, aber mit Job - erst zu Zielgruppen zu machen. Das hat der vereinte Ruf von Arbeitgebern, Wirtschaftsverbänden und Arbeitsmarktexperten nach mehr akademisch ausgebildeten Fach- und Führungskräften geschafft. "Niemand darf heute mehr damit rechnen, seinen Arbeitsplatz für die nächsten zwanzig Jahre zu haben", warnt Professor Lutz Bellmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Umso wichtiger sei es, dafür zu sorgen, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. "Früher war Weiterbildung im Job eher die Kür", sagt Bellmann. "Heute ist sie eine Notwendigkeit."

Ein gepflegtes Umfeld: Private Hochschulen wie die Bucerius Law School in Hamburg sind trotz hoher Gebühren bei Studierenden beliebt. Pluspunkte sind für viele der Praxisbezug und das Arbeiten in kleineren Gruppen. (Foto: Alamy/mauritius images)

Der Appell zeigt Wirkung. Aktuell studieren in Deutschland fast drei Millionen Menschen, so viele wie nie zuvor, und ein wachsender Teil studiert privat. Im Wintersemester 2014/15 besuchten fast sieben Prozent der Studierenden eine staatlich anerkannte private Hochschule. Mit heute 153 Bildungseinrichtungen haben die privaten gegenüber den 237 öffentlichen Hochschulen ordentlich aufgeholt. "Der Boom begann mit der Einführung des Bologna-Prozesses Ende der 90er-Jahre", berichtet Detlev Kran, Hochschulberater aus Brühl bei Köln. "Nach dem Willen der Politik sollten die privaten Hochschulen Nischenstudiengänge anbieten, die für die staatlichen Hochschulen nicht lukrativ genug waren." Für Studiengänge wie Event Management oder Game Design wollten die Bundesländer kein Geld lockermachen. "Mit den Zusatzangeboten der Privaten sollte nur die Spitze des Studentenberges abgefedert werden", sagt Kran. "Vor 20 Jahren glaubte man, dass die Studentenzahlen bald drastisch sinken würden."

Die Prognosen erwiesen sich auch deshalb schon bald als überholt, weil die Politik den Appetit der privaten Anbieter auf Marktanteile unterschätzt hatte. Die Privathochschulen schneiden sich nicht nur einen immer größeren Teil aus dem Studentenkuchen heraus, sondern vergrößern den Kuchen insgesamt. Mit geschicktem Marketing nähren sie gleichzeitig die Hoffnung ihrer Zielgruppe auf sozialen Aufstieg. Vorschub dabei leistet der Wandel am Arbeitsmarkt aufgrund der Digitalisierung. Der ruft tatsächlich nach einem Mehr an Kompetenzen.

Die gewinnt man zwar auch an staatlichen Hochschulen. Aber wenn man dem Erfolg der Privaten nachspüren will, kommt man an einigen Fakten nicht vorbei. Die Lernbedingungen an staatlichen Hochschulen sind auf junge, nur-studierende Singles zugeschnitten. Und zwischen der Alltagsarbeit von Erwachsenen, die erstmals oder erneut in den Hörsaal drängen, und dem der Wissenschaft verpflichteten Lehrstoff an staatlichen Hochschulen klafft eine gewaltige Lücke.

Diese Lücke füllen die privaten Hochschulen. Mit wenigen Ausnahmen zielen sie auf den Bedarf an Führungskräften in Krankenhäusern, Pflegeheimen, im Medienmarkt und in der Digitalwirtschaft. Die meisten Privaten sind Fachhochschulen mit dem Fächerschwerpunkt Wirtschaft, Technik und Gesundheit. Von Vorteil sind der enge Kontakt zur Wirtschaft und der hohe Praxisbezug im Studium. Viele Hochschulen holen bei der Erstellung ihrer Lehrpläne den Rat von Führungskräften ein. Auch die Dozenten kommen in der Regel aus der Praxis. Das verhindert jedoch nicht immer eine falsche Bedarfseinschätzung. Bisher mussten knapp zwei Dutzend Privathochschulen wieder schließen.

Nach Angaben des Verbandes der Privaten Hochschulen (VPH) kostet ein Bachelorstudium an einer Privaten Hochschule im Monat etwa 520 Euro. Damit ist ein Studium an einer staatlich anerkannten Privathochschule deutlich teurer als an einer staatlichen Hochschule. Die Abschlüsse jedoch sind gleichgestellt. Und auch in der Qualität der Lehre ließen sich nur graduell Unterschiede finden, meint Hochschulkenner Kran: "Alle Hochschulen müssen ja durch dasselbe Akkreditierungsverfahren." Beim Betreuungsverhältnis allerdings liegen die Privaten vorn: Eine Person in der Lehre kommt auf 20 bis 25 Studierende. Professoren an staatlichen Hochschulen betreuen mehr als 60 Studierende. Nicole Schatz wundert das nicht. Das Zahlenverhältnis kennt die Krankenschwester von ihrer Station, Privatversicherte haben in der Regel dort auch einen besseren Status als gesetzlich versicherte Patienten.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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