Mäzenatentum:Zum Wohle aller

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Es ist keine Laune, sich für Wohlfahrt oder Kultur einzusetzen. Oft verbinden Unternehmer das eine mit dem anderen. Der ästhetische Kulturbegriff wird immer deutlicher zu einem sozialen Kulturbegriff.

Von andrian kreye

Als die Könige Europas entmachtet waren und die Generäle auf den Schlachtfeldern des Amerikanischen Bürgerkrieges zu elenden Herren über den Tod wurden, hatte das Reiterstandbild ausgedient. Die neuen Helden waren Fabrikanten und Firmengründer. Sie eroberten die Welt nicht mit Waffen, sondern mit Fortschritt und Wohlstand. Dabei sahen sie sich jedoch nicht als Helden und Eroberer. So mussten neue Denkmäler her. Sie sorgten dann selbst für die Feier ihres Ruhms. Die Philanthropie und das Mäzenatentum waren bald die Sockel, auf die sie ihr Vermächtnis stellten. Zum Wohle aller und der Kunst. Diese Tradition reicht nun von den Herrschaftsvillen der Eisenbahn-und Stahlmagnaten des 19. Jahrhunderts bis in die Cyberhäuser der Milliardäre aus dem globalen Silicon Valley - von Andrew Carnegie bis Bill Gates.

Diese beiden Männer bilden derzeit die historische Klammer jener Arbeit, die der Kulturförderpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI gemeinsam mit dem Handelsblatt und der Süddeutschen Zeitung alljährlich auszeichnet - an diesem Donnerstag in Berlin zum zehnten Mal. Carnegie schrieb den philosophischen Grundsatztext und machte den Anfang. Bill Gates brachte mit seinem Beispiel die heutige Generation der Philanthropen und Mäzene dazu, ihr Wirken nicht als Luxus und Laune zu betrachten.

"On Wealth" (Das Evangelium des Reichtums) lautete der Titel des Essays, das Andrew Carnegie 1889 im North American Review veröffentlichte, Amerikas erstem Literaturmagazin. Sein Text war von einem fast religiösen Furor getrieben, der die Arbeit verherrlichte und die Verschwendung verdammte. Von der moralischen Pflicht, sein Vermögen zu spenden, schrieb er. Das war keine bloße Empfehlung. Das war ein ethisches Fanal. Nichts war Carnegie mehr zuwider als jene Erben des europäischen Adels, die ihr Vermögen an den Küsten des Mittelmeeres verprassten. Er wurde da sehr deutlich - die "Faulen, die Trunkenen, die Unwürdigen" sollten keinen Reichtum behalten. Der Millionär solle ein Treuhänder der Gesellschaft und besonders der Armen sein, der nicht nur sein Geld, sondern auch sein Wissen um den richtigen Umgang mit Geld für das Allgemeinwohl einsetze. "Wer reicht stirbt", so stand da, "der stirbt entehrt."

Carnegie, der seinen Reichtum in der Stahlindustrie gemacht hatte, ging auch gleich mit Beispiel voran. 90 Prozent seines Vermögens spendete er ab dem Jahr 1901 für wohltätige Zwecke, wobei ihm Bildung, Wissenschaft und Kultur am wichtigsten waren. Heute sind seine Stiftungen und Institutionen jene Denkmäler, die sein Vermächtnis buchstäblich in Stein gehauen haben - die Carnegie Mellon University in Pittsburgh, die mehr als 2500 Carnegie-Bibliotheken in der ganzen Welt und natürlich die Carnegie Hall in New York, bis heute eine der besten Konzerthallen der Welt. 350 Millionen Dollar gab er für solche Zwecke aus, nach heutigem Kurs rund sieben Milliarden Dollar.

Illustration: Lisa Bucher (Foto: N/A)

Als Carnegies geistiger Erbe gilt Bill Gates. Der setzt seine Milliarden, die er mit Microsoft verdient hat, für die Initiative "Giving Pledge" ein, die er gemeinsam mit dem Investor Warren Buffett ins Leben rief. Dieses Gelübde des Spendens, zumindest die Hälfte ihres Vermögens herzuschenken, haben bisher 81 Milliardäre in aller Welt unterzeichnet.

Nun ist die Fallhöhe vom Spendengelübde der Milliardäre zu den Kulturinitiativen eines Familienunternehmens in Deutschland gewaltig. Doch nicht die Summen sind entscheidend, sondern das Engagement. Und das wiederum ist bei den Bewerbern für diesen Preis durchweg so leidenschaftlich und gezielt, dass die geistige Patenschaft von Carnegie und Gates durchaus eine Rolle spielt.

Gerade in Deutschland ist es wichtig, das auszuzeichnen. In Amerika war diese Tradition immer stärker. Das hat zwei historische Gründe. Zum einen verpflichten die puritanischen Formen des evangelischen Glaubens die Gläubigen zur guten Tat. Zum anderen waren Wohlfahrtund Kultur in Amerika immer Privatsache. In Europa und Deutschland sah man das anders. Da war die Wohlfahrt vor allem eine Angelegenheit des Staates, und das steuerzahlende Bürgertum hatte in der Ära der Aufklärung die Aufgabe der Königs- und Fürstenhäuser übernommen, Kultur zu ermöglichen und zu erhalten. Und doch hat sich in der Kulturförderung auch in Deutschland in den vergangenen Jahren vieles verändert. Auch hier ist es längst kein Luxus und keine Laune mehr, sich für Wohlfahrt oder Kultur einzusetzen, oft genug mit einem Projekt gleich für beides.

Betrachtet man nämlich die Kulturförderpreisträger der letzten Jahre, so findet man alle Formen und Stoßrichtungen der Philanthropie. Die "Asylothek" beispielsweise, die im vergangenen Jahr in der Kategorie "kleine Unternehmen bis 200 Mitarbeiter" ausgezeichnet wurde. Der Nürnberger Architekt Günter Reichert etablierte in seiner Heimatstadt 2012 eine Einrichtung, die heute mehr denn je Vorbild sein kann. Denn seine Bibliothek für Asylbewerber versteht sich keineswegs als reine Bildungseinrichtung, sondern begreift die Kultur als zentrale Kraft der Gesellschaft.

Reicherts Einrichtung bietet nicht nur Regale voller Bücher. Sie ist Treffpunkt, Betreuungsstation und Anknüpfungspunkt für Menschen, die ihre Wurzeln verloren haben und erst einmal keine neuen schlagen dürfen. Da treffen sich klassische Philanthropie und Kulturförderung in einem.

Wobei auch die Rolle des klassischen Mäzenatentums aus Leidenschaft nicht zu unterschätzen ist. Das Risch-Art-Projekt des Münchner Bäckereibetriebes Rischart, das 2013 in der Kategorie mittlere Unternehmen von 200 bis 2000 Mitarbeiter ausgezeichnet wurde, zeigt, wie man mit klassischem Mäzenatentum mehr erreichen kann als mit der Förderung einzelner Künstler. Als das Projekt im Sommer des Preisträgerjahres im Alten Botanischen Garten eine Ausstellung zum Thema "Märchen" ausrichtete, ging es nicht nur um die Werke selbst, sondern um einen Ort, an dem sehr viele Münchner zu einer ganz neuen Auseinandersetzung mit jenen universellen Geschichten gebracht wurden.

Es gibt aber auch die Projekte, die über eine ganz einfache Idee Visionäres versuchen. Die Dialogreihe "Das Weiße Meer" ist so ein Beispiel, welche die Allianz-Kulturstiftung 2010 gemeinsam mit dem Literarischen Colloquium Berlin startete und die im vergangenen Jahr in der Kategorie große Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern die Auszeichnung bekam. Rund um das Mittelmeer finden da seit fünf Jahren regelmäßige Abende statt, an denen Schriftsteller, Aktivisten und Bürger zunächst in den Hafenstädten ihrer Heimatländer am Mittelmeer und dann in Berlin lesen und diskutieren. Seit aus dem Paradies zwischen den Kontinenten ein Krisenherd wurde, wurde daraus sehr viel mehr als bloß ein Kulturaustausch.

Und genau dieser Punkt begegnet einem nicht nur immer öfter, wenn man in der Vorjury des Kulturförderpreises die vielen Einreichungen sichtet. Auch in der Arbeit im Feuilleton begegnet einem dieser Wandel mit Beharrlichkeit - der ästhetische Kulturbegriff der vergangenen Jahrzehnte wird immer deutlicher zu einem sozialen Kulturbegriff. Gerade in den Ländern außerhalb Europas und Amerikas bekommt Kultur eine Dynamik und Funktion, die weit über ihre rein künstlerischen Werte hinausgehten.

Das ist auch für die Bewertung der Preise ein Kriterium. Kultur existiert nicht mehr im geschützten Kokon der L'art pour l'art, der Kunst um ihrer selbst willen. Sie wirkt im Kontext ihrer Zeit und ihrer Umgebung. So werden die traditionellen Grenzen zwischen Philanthropie und Mäzenatentum verschwinden. Zum Besten aller.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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