Lohnpolitik:Höhere Löhne stabilisieren die Wirtschaft

Jahrelang forderte die Deutsche Bundesbank von den Gewerkschaften, es bei Tarifverhandlungen nicht zu übertreiben. Nun plädiert sie selbst für kräftige Lohnerhöhungen. Das ist kein Widerspruch, sondern ganz im Sinn der deutschen Wirtschaft.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt

Damals, als die Zeit noch gut und die Welt schön übersichtlich war, funktionierte die Lohnfindung hierzulande nach einem einfachen Strickmuster: Die Gewerkschaften stellten eine unverschämt hohe Forderung, die Arbeitgeber konterten mit einem unverschämt niedrigen Angebot - und am Ende traf man sich in der Mitte.

Begleitet wurde dieses Ritual von mehr oder weniger klugen Wortmeldungen diverser Experten, zu denen sich gelegentlich auch die vornehme Deutsche Bundesbank gesellte: Übertreibt's nicht, schallte es dann aus Frankfurt an die Adresse der Tarifpartner, sonst werden wir eure Beschlüsse durch eine ordentliche Leitzinserhöhung wieder zunichtemachen.

Nicht die Währungshüter, die Umstände haben sich gewandelt

Angesichts der Vorgeschichte mag sich mancher wundern, dass dieselbe Deutsche Bundesbank dieser Tage plötzlich kräftigen Lohnerhöhungen das Wort redet. Kritiker werden den Appell als neuerlichen Beleg für die immer unverblümtere Einmischung der Notenbanken in die Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geißeln. Doch es sind nicht die Währungshüter, die sich gewandelt haben, es sind die Umstände: Wenn die Bundesbank in Zeiten hoher Inflation vor zusätzlich preistreibenden Lohnabschlüssen warnt, dann ist es nur folgerichtig, dass sie bei einer ungewöhnlich niedrigen Teuerungsrate eben solche Beschlüsse anmahnt. Gesamtwirtschaftlich gesehen sind dauerhaft sinkende Preise sogar noch gefährlicher als kräftig steigende.

Das heißt nicht, dass die Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer im vergangenen Jahrzehnt falsch war. Im Gegenteil: Sie hat - weit mehr als die viel gerühmte Agenda 2010 des Kanzlers Schröder - dazu beigetragen, dass einstmals malade Unternehmen heute auf den Weltmärkten vor Wettbewerbskraft nur so strotzen.

Es gibt deshalb für die Beschäftigten auch nichts aufzuholen, nachzuholen, zurückzuholen, wie die Linkspartei mit ihrer Behauptung insinuiert, den Menschen seien eine Billion Euro "vorenthalten" worden. Wohl aber müssen jetzt, da die Unternehmen den Lohn der Reformbemühungen einfahren, die Arbeitnehmer daran beteiligt werden.

Eine Drei vor dem Komma sollte locker drin sein

Ein solcher Kurswechsel ist jenseits aller geld- und verteilungspolitischen Fragen noch aus zwei weiteren Gründen vonnöten. Erstens würde der Exportriese Deutschland durch eine Stärkung der Binnennachfrage einen Beitrag zur Beseitigung weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte leisten. Einfach ausgedrückt: Wenn ein Bundesbürger sein höheres Gehalt für eine zusätzliche Urlaubswoche in Griechenland ausgibt, dann stärkt das nicht nur sein Wohlbefinden, sondern auch den Zusammenhalt der Euro-Zone.

Und zweitens: Da in Deutschland praktisch alle wirtschaftspolitischen Schlüsselgrößen - von den Steuer- und Beitragseinnahmen über die Rentenhöhe bis zum Kindergeld und den Hartz-IV-Sätzen - an der Entwicklung der Gehälter hängen, tragen höhere Löhne auch zur Sanierung der öffentlichen Haushalte und zur Beseitigung sozialer Unwuchten bei. Schließlich haben neben den Arbeitnehmern auch die Empfänger staatlicher Hilfen einen Beitrag zur Gesundung der Wirtschaft geleistet.

Kurzzeitig können die Lohnerhöhungen sogar einmal über die als volkswirtschaftlich vernünftig erachtete Summe aus Zielinflation der Notenbank und Produktivitätsfortschritt hinausgehen. Das hieße: In den allermeisten Branchen sollte eine Drei vor dem Komma locker drin sein. Auf der anderen Seite darf die Lohnpolitik natürlich weder zu einer neuerlichen Zerstörung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit noch zur Verteilung irrwitziger Wahlgeschenke führen, wie die große Koalition das mit ihrem Rentenpaket bereits praktiziert hat.

Gut zu wissen, dass die Bundesbank in einem solchen Fall keinerlei Hemmungen hätte, in ihre vertraute Rolle als Mahnerin und Regierungskritikerin zurückzufallen.

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