Linde:Schönes München

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Die Gespräche über eine Fusion der beiden Industriegase-Anbieter Linde und Praxair sind überraschend gescheitert. Die Deutschen wollten ihre bayerische Zentrale nicht opfern. Und jetzt?

Von Caspar Busse, München

Was sollte das für eine Rückkehr werden. Im Mai erst hatte Wolfgang Reitzle, 67, nach zweijähriger Abstinenz den Posten des Aufsichtsratschefs beim Münchner Gase-Konzern Linde übernommen. Wenige Monate später verkündete der Konzern, dass mit dem amerikanischen Konkurrenten Praxair eine Fusion verhandelt werde. Es ging um 27 Milliarden Euro, eine der größten Fusionen, die ein deutscher Konzern je verhandelte. Wichtiger noch: Linde und Praxair wären zusammen Weltmarktführer im Geschäft mit Industriegasen. Und Reitzle sollte neuer Verwaltungsratsvorsitzender werden.

Doch nur vier Wochen nach der Bekanntgabe ist das ehrgeizige Projekt schon wieder Geschichte. Die Fusion ist geplatzt. Der Linde-Aufsichtsrat beendete am Montagmorgen bei einer Telefonkonferenz die Verhandlungen. Bei der Erörterung von Detailfragen habe sich gezeigt, dass keine übereinstimmende Auffassung erzielt werden kann, teilte das Unternehmen mit. Konzernchef Wolfgang Büchele, 57, habe deshalb eine Absage empfohlen. Der Aufsichtsrat unter Reitzle folgte ihm.

"Es hatte einfach keinen Sinn mehr, mit der Brechstange weiterzumachen."

Beide Seiten konnten sich Insidern zufolge nicht über zentrale Fragen einigen, insbesondere nicht über den Konzernsitz. Die Amerikaner wollten alle Kompetenzen in den USA bündeln, am bisherigen Standort Danbury im US-Bundesstaat Connecticut, die Deutschen haben auf München bestanden. Auch die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie möglichst viele Jobs wollten sie hier erhalten. "München hätte eine Menge verloren", sagt ein Beteiligter. Die Amerikaner hätten alles gefordert, das Ganze sei keine "Fusion unter Gleichen" mehr gewesen. "Es hatte einfach keinen Sinn mehr, mit der Brechstange weiterzumachen", sagt ein Insider.

Die Enttäuschung ist groß, zumindest an der Börse. Die Linde-Aktie verlor mehr als acht Prozent. Im Moment kontrollieren vier große Konzerne etwa zwei Drittel des Weltmarktes für Industriegase, also etwa Sauerstoff, Stickstoff, Edelgase, die in vielen Fabriken eingesetzt werden. Linde-Praxair wäre gemeinsam auf einen Anteil von 40 Prozent gekommen. Linde ist beim Umsatz fast doppelt so groß wie Praxair, dafür erwirtschaften die Amerikaner deutlich mehr Gewinn und sind an der Börse mehr wert. Eine Fusion "auf Augenhöhe" wollten die Deutschen, Praxair-Chef Stephen Angel, 60, aber wollte die Bedingungen diktieren. Einen "Ausverkauf von Linde" wollten weder Büchele noch Reitzle.

Das Scheitern ist eine Schlappe für Büchele, aber auch für Reitzle, der als treibende Kraft hinter dem Zusammenschluss galt. "Ich bin darüber persönlich sehr enttäuscht, weil eine Fusion prinzipiell sehr viel Sinn machen würde", schrieb Büchele am Montag an die Mitarbeiter. Aber weitergehende Zugeständnisse mit Blick auf Standorte und Management seien "nicht verhandelbar" gewesen. "Wir werden uns jetzt wieder voll auf die Weiterentwicklung unserer eigenen Organisation konzentrieren", schrieb Büchele weiter.

Für Reitzle hätte es einen größeren Fehlstart als Chefaufseher wohl kaum geben können. Er musste auf seine Rückkehr bei Linde ohnehin zwei Jahre ungeduldig warten. 2014 hatte der als ehrgeizig geltende Manager den Chefposten bei Linde widerwillig, aber altersbedingt aufgegeben und musste dann, wie vom Gesetz vorgesehen, zwei Jahren lang "abkühlen", bevor er Mitglied des Aufsichtsrats werden konnte. In der Zwischenzeit hatte er mit Argwohn beobachtet, was bei Linde alles schiefläuft. Der Münchner Konzern liegt ihm sehr am Herzen. Der ehemalige Automanager (BMW, Ford) hatte in seiner Amtszeit als Linde-Chef von 2003 bis 2014 aus einem Mischunternehmen in Wiesbaden mit mehreren Sparten, das er zudem bald nach München holte, einen reinen Gase-Konzern gemacht. Dann übernahm er den britischen Konkurrenten BOC und setzte sich an die Weltmarktspitze, Umsatz und Gewinn stiegen. An der Bilanz der Amtszeit Reitzles gab es nicht viel auszusetzen.

Reitzle wollte als Chefaufseher jetzt schnell einiges wieder in Ordnung bringen, insbesondere die nach der Fusion von Air Liquide und Airgas verlorene Weltmarktführung zurückholen. Doch das ist nun gescheitert. "Es ist unser klares Ziel, wieder Marktführer zu werden, und das ist in absehbarer Zeit erreichbar", hatte Büchele, der im Falle einer Fusion seinen Job wohl losgeworden wäre, im Mai gesagt. Damit ist er mit Reitzle einer Meinung. Doch über das Wie wird weiter diskutiert.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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